Nach massiver Kritik aus den Reihen der Automobilbranche an den geplanten Fahrverbot für ältere Dieselfahrzeuge reagiert nun die Politik und nimmt ihrerseits den Verband der Automobilindustrie (VDA) unter Feuer.
Stuttgart - Das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart weisen die Kritik von Vertretern der Automobil- und Zulieferindustrie an den für 2018 in Stuttgart geplanten Fahrverboten für ältere Dieselmodelle zurück. Im Gegenzug werden schwere Vorwürfe gegen den Verband der Automobilindustrie (VDA) und dessen Präsidenten Matthias Wissmann laut. Wissmann, früher CDU-Bundesverkehrsminister und seit 2007 Chef der Lobbyorganisation, hatte zuvor gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die temporären Fahrverbote heftig kritisiert.
„Der neueste Diesel hat in Sachen Stickoxidausstoß einen enormen Sprung nach vorne gemacht“, sagte Wissmann. Der Anteil der Feinstaubemissionen aus privatem Kraftfahrzeugverkehr mache lediglich vier Prozent am Gesamtaufkommen aus. Die Fahrverbote bezeichnete Wissmann als Schnellschuss. Der Eingriff in den Verkehr soll ab 2018 nicht nur wegen der in Stuttgart stark überschrittenen Feinstaub-, sondern vor allem wegen der stark überschrittenen Stickstoffdioxid-Grenzwerte erfolgen. Hauptquelle des gesundheitsschädlichen Gases ist der Straßenverkehr (am Neckartor mit insgesamt 72 Prozent), und hier vor allem der Diesel.
Die Kritik aus der Automobilbranche will Uwe Lahl nicht unwidersprochen stehen lassen. Lahl ist Amtschef im baden-württembergischen Verkehrsministerium und unter anderem zuständig für die Luftreinhaltung. Von 2000 bis 2009 war er Abteilungsleiter für Immissionsschutz im Bundesumweltministerium unter den Ministern Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) und als solcher auch für die Festsetzung der Schadstoffgrenzwerte für Autos zuständig. Lahl führte auch die Verhandlungen über die Grenzwerte bei der EU-Kommission in Brüssel. In dieser Zeit habe er hautnah miterlebt, wie Vertreter des VDA auf die Bundespolitik Einfluss genommen hätten, um die Gesetzgebung in ihrem Interesse zu beeinflussen. „Der Verband der Automobilindustrie hat die Einführung der Euronorm 6 für Dieselmotoren durch seine Lobbyarbeit um mindestens zehn Jahre verzögert. Das ist genau der Zeitraum, der uns jetzt fehlt, um die aktuell geltenden EU-Grenzwerte bei Feinstaub und Stickstoffdioxid heute einhalten zu können“, erklärte Lahl gegenüber dieser Zeitung. Manche Kritik am Fahrverbot erscheine ihm in diesen Tagen vor diesem Hintergrund besonders befremdlich.
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Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) erklärte unterdessen in einem Brief an Wissmann, der dieser Zeitung vorliegt, es gehe der Landesregierung nicht, wie oft behauptet, um eine „Verbotspolitik gegen den Diesel“. Das Gegenteil sei richtig, so Hermann weiter. Die Landesregierung habe die modernen Dieselmotoren gegen alle pauschalen Angriffe verteidigt und lehne auch der Forderung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) nach generellen Fahrverboten für alle Diesel ab.
Er habe seine Amtskollegen in den anderen Bundesländern eindringlich auf die Gefahr einer pauschalen Dieselkritik „im Fall der Blockade der Blauen Plakette“ hingewiesen, schreibt Hermann und zeigt damit in Richtung des Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt (CSU), der sein Veto gegen die Kennzeichnung besonders schadstoffarmer Diesel eingelegt hatte. Wissmann wie auch Daimler-Chef Dieter Zetsche plädierten stattdessen für weniger Staus. Städte sollten die sogenannte grüne Welle einführen, damit der Verkehr rolle.
Sowohl Verkehrsminister Hermann als auch ein Sprecher der Stadt Stuttgart wiesen darauf hin, dass derzeit allein in Stuttgart bereits 346 Signalanlagen an 70 grüne Wellen angebunden seien, also Ampelschaltungen, die Stop-and-go-Verkehr verhindern sollen. Allerdings, so Hermann, stoße auch dieses Instrument an seine Grenzen, „wenn es um die persönlichen Wünsche der Verkehrsteilnehmer oder die Bevorrechtigung des öffentlichen Nahverkehrs geht“. Er setze stattdessen „auf die Innovationskraft der Wirtschaft“ bei der Entwicklung sauberer Dieselmotoren.
Daimler etwa hat für die Marke Mercedes bereits ein neu entwickeltes Dieselaggregat angekündigt, das als 220 d in diesem Frühjahr in der E-Klasse Premiere feiern soll. Der neue Motor sei „auf die Erfüllung der zukünftigen Emissionsgesetzgebung ausgelegt“, sagt Daimler, er solle in das gesamte Modellprogramm einziehen.
Die neue Gesetzgebung orientiert sich am realen Fahrbetrieb. Bisher unbegrenzt zulässige Überschreitungen der Prüfstandswerte von 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer sind ab 2020 nur noch mit dem Faktor 1,5 zugelassen. Die Industrie reagiert darauf. Heutige Mercedes-Modelle stoßen nach Messungen im Auftrag der Zeitschrift „Auto, Motor und Sport“ im Stadtverkehr das Sechs- bis fast Zehnfache (Modelle V 250 d und C 250 d) der zulässigen Stickoxidmenge aus.
Der Regionalgeschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Gerhard Pfeifer, reagierte am Freitag mit Unverständnis auf die Einschätzung von Daimler-Chef Dieter Zetsche, das drohende Fahrverbot sei unfair gegenüber Besitzern älterer Dieselmodelle. „Wenn Zetsche von Unfairness gegenüber Altdiesel-Fahrern spricht, spreche ich von Unfairness gegenüber der Gesundheit der Schüler an der Römerschule und den übrigen Innenstadtbewohnern“, so Pfeifer in Anspielung auf bevorstehende Luftschadstoffmessungen in den Klassenzimmern der an der Hauptstätter Straße liegenden Schule.