Zum Frühstück gibt es Wurst, Käse, geriffelte Butterscheibchen, Rührei. Dazu Brötchen, Gemüse, Obst, Marmelade, Orangensaft, Tee oder Kaffee. Klingt wie ein ganz normales, üppiges Hotelfrühstück. Oder? Nur dass sowohl die Wurst, als auch der Käse, die Butter und das Rührei rein pflanzlich sind. Die Produkte sind etwa aus Nüssen, Tofu oder Seitan. Denn das Hotel Köhler im Stuttgarter Osten ist seit wenigen Wochen komplett vegan. Erst vergangenes Jahr wurden im dazugehörigen Restaurant alle tierischen Produkte ersetzt – nun gilt das für das ganze Haus.
Vielleicht ist der Wandputz nicht vegan
„Alles, was man benutzt, ist vegan“, sagt Andreas Kuch, der Mann der Chefin. Es könne theoretisch sein, dass etwa der vor vielen Jahren aufgebrachte Putz an den Wänden noch tierische Bestandteile enthalte. Aber Möbel, Bettwäsche, Pflegeartikel, Reinigungsmittel und eben das Frühstück inklusive der Betthupferl seien rein pflanzlich.
Seit der Coronapandemie habe sich die Hotellerie nicht mehr richtig erholt, erläutert Daniela Glinski. Weil viel weniger Geschäftsreisen stattfänden, müsse jedes Hotel durch etwas Besonderes hervorstechen. „Und weil wir keinen Skilift haben, setzen wir auf Tradition, verbunden mit Entwicklung.“ Einerseits sei das Hotel-Restaurant Köhler seit 1915 ein schwäbisches Haus und solle ein Gefühl „wie bei Oma“ vermitteln, andererseits will Daniela Glinski den Menschen zeigen, wie gut vegan sein kann.
Dehoga spricht von „Marktnische“
Die 41-Jährige ist seit mehr als 20 Jahren Vegetarierin, in der Coronapandemie wurde sie zur Veganerin. „Wenn man die Möglichkeit hat, etwas Gutes zu tun, sollte man dies angesichts der negativen Entwicklung der Welt zurzeit machen“, findet sie. Und eine vegane Lebensweise sei besser fürs Klima, für die Tiere, für die Umwelt.
Das Paar ist sich bewusst, dass „vegan“ für viele abschreckend klingt. Als sie im Köhlerstüble die tierischen Produkte von der Speisekarte nahmen, ernteten sie viel Kritik. Die beiden wissen, dass sie ein Risiko damit eingehen, sich nun auch als veganes Hotel zu präsentieren. „Wir werfen alles in die Waagschale und schauen, ob’s klappt“, sagt Daniela Glinski. Sie wolle aber nichts mehr machen, das ihr nicht entspreche.
Aber braucht es angesichts von lediglich 1,5 Millionen Veganern in Deutschland wirklich ein veganes Hotel? Hat das eine realistische Chance? Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga äußert sich zurückhaltend. „Aktuell stellt die Gruppe der Menschen, die Wert auf ein komplett veganes Angebot legen, eine Marktnische dar“, sagt Daniel Ohl, der Dehoga-Sprecher für Baden-Württemberg. Unabhängig davon könnten vegane Angebote aber erfolgreich sein, da sie sich auch an Flexitarier richteten, die vegane Küche schätzen, sagt Ohl.
Fleischfans müssen vorher die veganen Kreationen testen
Darauf setzt man auch im Hotel Köhler. Es trudelten zwar erste Anfragen von Menschen ein, die genau wegen des Vegan-Aspekts kämen, sagt Daniela Glinski. Auf der Buchungsplattform Booking.com bewirbt sie es auch als „erstes veganes Hotel Stuttgarts“. Allerdings bilde die Hauptzielgruppe all jene, die dadurch positiv überrascht würden: „Die Leute sollen danach sagen, dass das Vegane gar nicht weh getan habe.“
Nachdem Andreas Kuch für das Köhlerstüble bereits Rostbraten, Maultaschen, Schnitzel und Gulasch „veganisiert“ hat, probiert er sich derzeit viel an Wurstalternativen fürs Hotelfrühstück aus – alles ohne Zusatzstoffe oder Geschmacksverstärker. Seine Frau bezeichnet ihn deshalb als „vegan butcher“, also pflanzlichen Metzger. Bevor die Hotelgäste seine Kreationen serviert bekommen, lädt das Paar jedoch immer Freunde ein, die noch regelmäßig Fleisch essen. Erst wenn die zufrieden sind, wird der etwas andere Schinken oder die etwas andere Salami auch den Gästen serviert.