Fellbach ist am verlängerten Wochenende die Fahrradstadt an Rems und Murr. Der „Tour Ginkgo“ folgt am Sonntag beim Radkulturtag der kreisweite Auftakt der Aktion Stadtradeln. Außerdem wird als Pilotprojekt die erste Sommerstraße im Kreis eröffnet.

Aileen Hocker, Stadträtin der Freien Wähler/Freien Demokraten in Fellbach, brachte kürzlich ihre Kenntnisse der deutschen Reklamegeschichte zur Anwendung. So formulierte sie den knackigen Werbespruch einer renommierten Molkereimarke auf aktuelle Belange ihrer Heimatstadt um: „Alles Fahrrad, oder was?“

 

Denn allzu oft würden vermeintlich tolle Ideen statt mit „Augenmaß“ eher mit der Förderung per „Gießkanne“ umgesetzt, die Verkehrslage werde gar „verschlimmbessert“. Beispielsweise dürfe der Einzelhandel nicht durch wegfallende Parkplätze belastet werden. Ihre Fraktion sei zwar keineswegs gegen mehr Radverkehr. Aber: „Fellbach ist nicht Kopenhagen oder Amsterdam, die Gegebenheiten sind anders. Deshalb können und wollen wir aus Fellbach nicht von heute auf morgen eine Fahrradstadt machen; eine fahrradfreundliche(re) Stadt aber durchaus.“

Fellbach, keine Fahrradstadt? Nun, spätestens seit dem Donnerstagmorgen haben Menschen in Radlerklamotten das Zepter in der Hand beziehungsweise den Fuß fest eingeklickt im Pedaleurpedal. Rund 100 Teilnehmer der derzeitigen „Tour Ginkgo“ rollten um 7.30 Uhr zum Start in den Rathausinnenhof, und die Baubürgermeisterin und leidenschaftliche Radlerin Beatrice Soltys konstatierte in ihrer Begrüßung: „Dieses Jahr ist Fellbach eine richtige Fahrradstadt.“

Für diese Einschätzung gibt es einige Indizien. Denn kaum sind die „Tour-Ginkgo“-Radler nach ihren drei Tagen mit Start und Ziel in Fellbach am Sonntagabend abgezogen, erobern am nächsten Morgen weitere Radfahrende den Stadtkern: Am Sonntag, 2. Juli, dreht sich von 11.30 bis 17 Uhr beim zweiten Fellbacher Radkulturtag alles den Drahtesel, wie es früher hieß. Dabei kommt aus Frankreich, dem Gastland des derzeitigen Europäischen Kultursommers in Fellbach, das pedalbetriebene Treibholz-Karussell „Bestiaire Alpin“ zur Geltung, begleitet von Thierry Leest live am Piano. Ein weiteres Highlight ist das „graphic recording“ in der Kirchhofstraße, bei dem der Künstler Tim Schuster in Echtzeit ein Wimmelbild der Sommerstraße erstellt.

Außerdem gibt es Info- und Aktionsstände des Rems-Murr-Kreises, der Stadt, der Verkehrs- und Fahrradclubs VCD und ADFC sowie der „Tour Ginkgo“. Beim Rad-Check kann man Fahrräder kostenlos ertüchtigen lassen: In einer Art mobilen Fahrradwerkstatt stellen fachkundige Mechanikerinnen und Mechaniker Bremsen ein, pumpen Reifen auf oder ölen die Kette. Musik des Duos Artango, ein Foodtruck und eine Fahrradtour zu „Das Remstal singt“ am Nachmittag beim Großen Haus in Fellbach-Schmiden runden das Programm ab.

Am Sonntag wird in Fellbach zudem um 12 Uhr auch die kreisweite, bis 22. Juli dauernde Aktion Stadtradeln gestartet. „Ich freue mich, dass zum 50-Jahr-Jubiläum des Rems-Murr-Kreises mit 29 Städten und Gemeinden so viele Kommunen wie noch nicht mit von der Partie sind“, sagt der Landrat Richard Sigel. „Im vergangenen Jahr haben wir mit mehr als 5000 Radelnden und über 1 250 000 Fahrradkilometern bereits ein beeindruckendes Ergebnis eingefahren“, sagt Sigel, selbst passionierter Radler.

Damit die Teilnahme für Schülerinnen und Schüler noch attraktiver wird, findet in diesem Jahr erstmals ein eigener Wettbewerb statt. Bei der Sonderwertung „Schulradeln“ treten ausschließlich die einzelnen Schulen im Land und im Landkreis gegeneinander an und machen unter sich aus, welche Schule am radaktivsten ist.

Auch Waiblingen ist beim Stadtradeln mit dabei. Dort findet die offizielle Auftaktveranstaltung ein paar Tage später, am Donnerstag, 6. Juli, statt. Das Startsignal gibt der Erste Bürgermeister Ian Schölzel gegen 17.30 Uhr auf dem Rathausplatz.

Läuft also im Remstal alles geschmiert wie eine geölte Fahrradkette? Kleine Zweifel sind erlaubt. Nicht nur, weil der künftige Radschnellweg durch Fellbach wegen der beengten Straßenverhältnisse lediglich als abgespeckte Version in „stadtverträglicher Variant“ kommt. Sondern auch, weil generell noch Luft nach oben ist. Im kürzlich veröffentlichten Fahrradklimatest 2022 des ADFC kommt Fellbach auf die Schulnote 3,7 (unverändert gegenüber dem Test 2020), das bedeutet Platz 94 bei 447 Orten vergleichbarer Größe in Deutschland. Winnenden liegt mit 3,8 knapp dahinter (Platz 134), Weinstadt kommt auf 3,9 (Rang 194) Schorndorf erreicht die Note 4,1 (Platz 270), Backnang kommt auf 4,2 (Platz 320). Waiblingen wiederum liegt in der Kategorie zwischen 50 000 und 100 000 Einwohnern mit der Note 3,9 auf Platz 40 bei bundesweit 113 Orten.

Mehr zum Stadtradeln im Landkreis unter: www.stadtradeln.de/rems-murr-kreis