Die Pest ist Inbegriff ansteckender, todbringender Krankheiten. Durch das Bakterium Yersenia pestis ausgelöste Pandemien rafften Millionen Menschen dahin. Daneben gab es in der Spätantike, im Mittelalter und in der Neuzeit immer wieder regionale Pest-Epidemien – auch in Süddeutschland.
Tübingen - Mitte des sechsten Jahrhunderts wurden die Menschen im Oströmischen Reich plötzlich von einer rätselhaften Krankheit dahingerafft. Sie bekamen Fieber und seltsame Beulen am ganzen Körper. Kurz darauf starben sie qualvoll – einer nach dem anderen, zu Tausenden und Zehntausenden.
Die verheerende Epidemie, die in Wellen zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert bis zu einem Viertel der Bevölkerung des Mittelmeerraumes auslöschte, benannten die Zeitgenossen nach dem damaligen Herrscher auf dem Thron von Byzanz, Kaiser Justinian I., der von 527 bis zu seinem Tod 565 n. Chr. in Konstantinopel regierte.
Pest-Wellen entvölkerten in der Antike und im Mittelalter Europa
In der Folge suchte die Seuche für fast 200 Jahre Europa und den Nahen Osten heim. Studien unter Leitung des Archäo- und Paläogenetikers Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, konnten in den vergangenen Jahren nachweisen, dass tatsächlich der Pesterreger, das Bakterium Yersinia pestis, für diese und die folgenden Pandemien wie den Schwarzen Tod im 14. Jahrhundert verantwortlich war.
Die Forscher untersuchten menschliche Überreste aus Mehrfachbestattungen von 21 archäologischen Fundorten in fünf Ländern. „Trotz der Vielfalt haben die Genome nur eine einzige gemeinsame Abstammungslinie. Dies deutet darauf hin, dass die Pest wohl nur einmal in den Mittelmeerraum beziehungsweise nach Europa eingetragen wurde“, erklärt der Leipziger Archäogenetiker Marcel Keller.
Der Schwarze Tod wütet in Süddeutschland
Auch in Süddeutschland brach die Pest demnach aus – und das in der Spätantike und im Mittelalter wohl häufiger. „Diese Entdeckung ist sehr bedeutsam, da wir im Gegensatz zu den anderen Regionen für die Pest im frühmittelalterlichen Bayern keinerlei schriftliche Belege haben. Anhand der nun insgesamt sechs bayerischen Fundorte mit Pestnachweis können wir sehen, wie umfassend die Region damals von der Seuche betroffen war“, erläutert Brigitte Haas-Gebhard von der Archäologischen Staatssammlung München.
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„Pestis“ und „Pestilentia“ – Geißel der Menschheit
Wir sprachen mit dem Althistoriker Professor Mischa Meier von der Universität Tübingen über die Auswirkungen der Pest in Europa und die schwierige Suche nach der historischen Wahrheit hinter den Berichten rund um den Schwarzen Tod:
Herr Meier, zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert forderte die Justinianische Pest, die in Wellen über das Oströmische Reich und Europa hinwegfegte, Millionen Menschenleben. Kam die Pestilenz auch nach Süddeutschland?
Vermutlich schon. Es gibt Pestgräber in Aschheim bei München. Dort hat man in einer Nekropole die DNA von Yersinia pestis nachgewiesen, die aus dem 6. Jahrhundert stammt.
Info: Die Pest-Gräber im bayerischen Aschheim
In der bayerischen Gemeinde Aschheim im Landkreis München fanden Forscher Hinweise, dass es schon im Frühmittelalter Pest-Epidemien gab. 1997 war in Aschheim ein Gräberfeld mit bis zu 450 Gräber aus dem 5. bis 7. Jahrhundert entdeckt worden. Aus Zähnen von zwei Toten isolierten die Forscher DNA. Anhand des Erbguts konnten sie feststellen, dass die zwei frühmittelalterlichen Aschheimer tatsächlich an der Pest gestorben waren.
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Es gab in der Menschheitsgeschichte eine Vielzahl an Infektionserkrankungen. Wie können die Forscher sicher sein, dass es sich bei den Epidemien tatsächlich um den Pesterreger handelt?
Das ist ein grundsätzliches Problem. Wenn überhaupt kann man den Nachweis einer Seuche in der Vergangenheit nur über die DNA erbringen. Die holt man sich am besten aus den Zähnen, weil das Erbgut dort am besten konserviert wird. Das grundsätzliche Problem ist, dass der menschliche Stoffwechsel und die Krankheitserreger sich im Laufe der Jahrhunderte verändert haben.
Was bedeutet das?
Auch wenn in antiken Texten Symptome beschrieben werden und das auf eine Krankheit passt, die wir heute kennen, kann es trotzdem eine ganz andere Krankheit sein.
Pest – Synonym für todbringende Krankheiten
War die Pest bereits in der Antike ein Synonym für ansteckende, todbringende Krankheiten?
Ja, und auch das ist ein Problem. Wenn in den Quellen „Pestis“ oder „Pestilentia“ steht, weiß niemand genau, was wirklich damit gemeint ist. Es kann sich um jede Art von epidemischer Krankheit handeln.
Gilt das auch schon für die Antoninische Pest, die während der Regierungszeit von Kaiser Mark Aurel Mitte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. im Römischen Reich ausbrach?
Das ist auch schon so. Später wurde die Pest noch mehr zum Inbegriff verheerender Epidemien. In der Antike differenzierten die Mediziner bereits, um welche Krankheit es sich handelte. Man konnte grob die verschiedenen Krankheitsbilder abgrenzen. Aber die medizinischen Texte sagen über die Pest fast nichts. Es gibt einige Anspielungen bei Galenos, Ende des zweiten Jahrhunderts, die sich auf die Antoninische Pest beziehen. Von dieser Seuche wissen wir mit Sicherheit, dass es keine Pest war – vielleicht eine Pocken-Epidemie.
Sind die Pestgräber in Aschheim die einzigen bekannten Hinweise auf eine Pestepidemie in Süddeutschland zur Zeit der Antike?
Historiografisch ist für den süddeutschen Raum nichts vorhanden. Das bedeutet aber nicht, dass es keine regionalen Pest-Ausbrüche in der Spätantike gegeben hat, sondern nur, dass wir keine Überlieferungen haben.
Handelt es sich bei dem Bakterium Yersinia pestis, das für die Justinianische Pest verantwortlich war, um denselben Erreger, der auch spätere Epidemien auslöste?
Da müssen Sie Naturwissenschaftler fragen. Der Leipziger Archäo- und Paläogenetiker Johannes Krause glaubt nachweisen zu können, dass die Justinianische Pest von demselben Erreger, aber von einem anderen Strang herkommt wie der Schwarze Tod im 14. Jahrhundert. Die naturwissenschaftlichen Ergebnisse sind aber widersprüchlich.
Jede historische Zahl an Pest-Toten ist Spekulation
Was die Opfer der verschiedenen Pest-Epidemien angeht, gehen die Zahlen sehr weit auseinander. Wie kommt es zu dieser Unterschieden?
Wir wissen letztendlich nicht, wie viele Opfer die Pest gefordert hat. Jede Zahl ist Spekulation. Als man in den 1970er und 80er Jahren damit begann, die Justinianische Pest zu erforschen, ging man aufgrund der Quellen von Fantasiezahlen aus. Fakt ist, dass die Justinianische Pest aufgrund der Mortalitätsrate bei den Zeitgenossen einen unglaublichen Eindruck hinterlassen hat.
Es war aber nicht nur der Pest-Erreger dafür verantwortlich?
Im Gefolge der Pest und anderer Seuchen wie Grippe oder Typhus, aber auch Naturkatastrophen, Kriegen und Hunger haben die Bevölkerungszahlen während der Spätantike im Mittelmeerraum und im Nahen Osten dramatisch abgenommen. Die Menschen hatten nichts, womit sie sich gegen Erreger hätten schützen können. Man kann wohl davon ausgehen, dass sich die Gesamtbevölkerung zwischen der Mitte des 6. und dem 8. Jahrhundert um 25 Prozent verringerte. Aber letztlich haben wir bezüglich der Zahlen nichts Sicheres in der Hand.
Wie hat man sich eine solche Epidemie vorzustellen? Kam es zu einer großen Pandemie oder wurden die Landstriche von kleineren, regionalen Ausbrüchen überzogen?
Es gab immer wieder lokale Ausbrüche an unterschiedlichen Orten, die auch nicht vorhersehbar waren. Genau das hat die Zeitgenossen so zermürbt, dass ganz plötzlich in einem Ort die Pest ausbrechen konnte und der Nachbarort verschont blieb.
Warum ebbte die Justinianische Pest im Laufe des 8. Jahrhunderts relativ plötzlich ab?
Das weiß niemand. Die Forscher rätseln darüber, aber haben darauf keine Antwort.
Zur Person: Mischa Meier
Der in Dortmund geborene 48-jährige Historiker lehrt als Professor für Alte Geschichte an der Universität Tübingen. Er gilt international als einer der besten Kenner der Spätantike und insbesondere der Zeit Kaiser Justinians I., über die er 2002 an der Universität Bielefeld habilitierte.
Seit 2004 lehrt er an der Eberhard Karls Universität Tübingen.
Er ist Herausgeber des Sammelbandes „Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas“, Klett-Cotta, Stuttgart 2005.