Wenn sich CDU und CSU von Freitag an in der Nähe von Potsdam treffen, sollen die aktuellen Konflikte keine Rolle mehr spielen. Schließlich, sagt Südwest-CDU-Chef Strobl, handele sich um keine „Familientherapie“.

Berlin - Über eines sind sich die ungleichen Unionsparteien diesmal ungewohnt einig: Wenn sich die Spitzen von CDU und CSU in wunderschöner Umgebung auf der Halbinsel Hermannswerder, bei Potsdam, zur Klausur treffen, dann herrscht unbedingte Friedenspflicht. „Auf keinen Fall“ werde es neue Konflikte geben, schalmeit der sonst so streitbare CSU-Chef Horst Seehofer, und selbst der lauteste aller Lautsprecher, CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, säuselt demutsprall, man wolle sich doch „wieder zusammenraufen“ und wieder „zu einer echten Union werden“.

 

Dass sich der bayerische Löwe so lammfromm geriert, findet man in Reihen der CDU gut. Dort spricht man längst voll Bitternis über die Schwesterpartei und macht sie für das schlechte Abschneiden der Christdemokraten bei den zurückliegenden Landtagswahlen entscheidend mitverantwortlich. Man will Seehofers CSU beim Wort nehmen. Jeder Streit soll in Potsdam verhindert werden. Stattdessen soll der Blick nur nach vorn gerichtet werden. Thomas Strobl, Partei-Vize und Chef der Südwest-CDU, sagt unserer Zeitung, er sehe „weder einen Sinn noch die Notwendigkeit, Themen der vergangenen Monate nochmal hochzuköcheln.“ Sicher wüssten „jetzt alle, dass CDU und CSU vor allem eines schadet: öffentlicher Streit.“ Deshalb beschäftige sich die Union in Potsdam „mit dem, worauf es ankommt: mit Sachthemen, die unser Land beschäftigen und es voranbringen.“ Schließlich gingen die Unionsschwestern in Potsdam „nicht zum Familientherapeuten“.

Zu Allgemeinplätzen Zuflucht suchen

Das schafft nur ein Problem: Wenn die zerrütteten Beziehungen wieder neu angesponnen und alle Streitpunkte vermieden werden sollen – bleibt nicht mehr viel Handfestes übrig, über das geredet werden kann. Dann kann die Flüchtlingsfrage keine Rolle spielen, in der es unauflösliche Gegensätze gibt. Dann wird weder über das Rentenniveau, noch über die von der CSU angestrebte Steuersenkung oder über den von der CSU befürworteten Abbau der Russland-Sanktionen gesprochen – über all das gibt es in der Unionsfamilie kein Einvernehmen mehr. Wenn CDU-Generalsekretär Peter Täuber Gemeinsamkeiten beschwören will, muss er zu Allgemeinplätzen Zuflucht suchen: Schon vor der Beginn der Klausur sei doch klar, „dass die beiden Unionsparteien gemeinsam in den kommenden Bundestagswahlkampf ziehen“. Und selbst das ist gar nicht so klar. Die CSU behält sich ein eigenes Wahlprogramm vor, das dann allerdings nicht so heißen soll, sondern zum Beispiel „Bayernplan“. CSU-Landesgruppenchefin hat das längst angedeutet. Ähnlich war es ja auch schon bei den Bundestagswahlen 2013. Und im Vorfeld wird es dann wieder viel Spielraum – man kann auch sagen Provokationspotenzial – bei der Frage geben, ob das CSU-Programm nun eine Alternative oder bloß eine Ergänzung zum CDU-Manifest sein soll.

Preußische Disziplin, bayerische Geradlinigkeit

Für die anwesenden Parteichefs und CDU-Ministerpräsidenten, für die versammelten Partei-Vizes und die beiden Generalsekretäre, für die teilnehmenden Minister Schäuble, Altmaier (beide CDU) und Dobrindt (CSU), für Fraktionschef Volker Kauder und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt stellt sich also die Frage, worüber man überhaupt reden soll, ohne sich gleich wieder in rhetorische Schlägereien zu verwickeln. Mit „preußischer Disziplin und bayerischer Geradlinigkeit, sagt Peter Tauber, will man sechs Themenfelder bearbeiten, die so allgemein gehalten sind, dass alle Gegensätze im friedlichen Ungefähr verwischt bleiben können: Entwickelt werden sollen Leitlinien zu Europa, Wettbewerbsfähigkeit, Innovation, Digitalisierung, Zusammenhalt der Gesellschaft und – Vorsicht! – Migration. Das Ziel: Erste Themenbausteine für ein Wahlprogramm zu erkennen.

Das ist so allgemein gehalten, dass es erst gar keine Papiere, Beschlüsse oder Erklärungen geben soll. Nicht ohne Hintersinn hat CDU-Chefin Angela Merkel für die Klausur den Termin unmittelbar nach dem britischen Referendum gewählt – das mediale Scheinwerferlicht soll diesmal nicht auf die Union fallen. Die Tage auf der Potsdamer Halbinsel sollen vor allem eines sein: eine Wieder-Einübung ins aggressionslose Gespräch. Und das ist dann doch sehr nah an der Familientherapie.