Nächste Woche soll der Koalitionsvertrag unterzeichnet werden. Viel Zeit bleibt den Unterhändlern nicht, um sich über Stuttgart 21 zu einigen.

Stuttgart - Wenigstens eine gute Botschaft haben die grün-roten Eventualkoalitionäre am Dienstag in Empfang nehmen können, und dies ausgerechnet aus der Feder des scheidenden Finanzministers Willi Stächele (CDU). Im ersten Quartal 2011 nahm das Land eine halbe Milliarde Euro mehr Steuern ein, als dies bisher geplant gewesen war. Damit lässt sich bei den Koalitionverhandlungen viel Segensreiches anfangen.

 

Ganz anders sieht es indes bei Stuttgart 21 aus. "Das ist der große Stolperstein dieser Koalition", hatte der Grünen-Verhandlungsführer und designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann Anfang der Woche der "Süddeutschen Zeitung" anvertraut. Er fügte hinzu: "Ich bin überzeugt, dass der Stresstest ergeben wird, dass das Projekt nicht funktionabel ist oder zu teuer und nicht effizient." Diese Sätze zeigen die Linie auf, mit welcher die Grünen in die Koalitionsgespräche mit der SPD gegangen waren.

Kostenlimit vs. Volksentscheid?

Zwar hat man vor der Wahl eine Volksabstimmung versprochen, aber vielleicht ist die gar nicht mehr nötig, weil das Projekt das Kostenlimit überschreitet. Diese Grenze liegt für die Grünen bei 4,5 Milliarden Euro. Die SPD betonte bisher hingegen, man könne Stuttgart 21 und die Volksabstimmung nicht beerdigen, nur weil das Projekt 100 oder 200 Millionen Euro teurer werden könnte.

Dafür, dass die Grünen den Volksentscheid eigentlich schon für erledigt halten, reden sie viel darüber. Kretschmann sagte am Dienstag, er mache einen Volksentscheid von einer Änderung der Landesverfassung abhängig. Nach geltender Verfassungslage müssen die Projektgegner bei einem Volksentscheid nicht nur die Mehrheit erlangen, sondern zugleich auch die Zustimmung eines Drittels der Wahlberechtigten.

Der Bundestagsabgeordnete und Grünen-Unterhändler Winfried Hermann hatte im Interview der Stuttgarter Zeitung den Volksentscheid als vernünftigen Kompromiss mit der SPD und wichtig für den Schulterschluss im Wahlkampf bezeichnet. "Nun aber geht es um die konkrete Umsetzung und ein demokratiefreundliches Verfahren." Dahinter steckt die Vorstellung, bei einer Volksabstimmung das in der Verfassung verlangte Zustimmungsquorum von einem Drittel unbeachtet zu lassen. Die Abstimmung trüge den Charakter einer Volksbefragung, an deren Ergebnis sich die grün-rote Landesregierung halten müsste. 

Der Stresstest für Grün-Rot

Allerdings halten die Sozialdemokraten diesen Vorschlag für verfassungsrechtlich bedenklich. "Dann könnte jeder CDU-Bürgermeister sich weigern, die Wahlurnen für den Volksentscheid aufzustellen", heißt es. Nils Schmid, der SPD-Chefunterhändler, glaubt außerdem, die grün-rote Koalition marschiere auf diesem Weg sehenden Auges in eine Niederlage vor dem Staatsgerichtshof.

Am Mittwoch wollen sich die grün-roten Unterhändler erneut treffen. Es ist bereits das dritte Mal, dass sie im Streit um Stuttgart 21 nach einer Lösung suchen. Ob es zu einer Einigung kommt, ist ungewiss. An ein Scheitern der Koalitionsverhandlungen will keiner der Beteiligten denken. Die Grünen wollen nicht die Chance vergeben, den ersten grünen Ministerpräsidenten zu stellen. Und in der SPD herrscht die Vorstellung vor, bei der nächsten Wahl als Splitterpartei zu enden, ginge man mit der CDU zusammen.

CDU hegt leise Hoffnung

Bei den Christdemokraten gedeihen indes schon Hoffungen. Zumindest versucht man einen Keil in die grün-roten Reihen zu treiben. Christian Bäumler, der Chef der CDU-Sozialausschüsse, sprach sich am Dienstag für Sondierungsgespräche mit der SPD aus. "Wenn Herr Kretschmann schon so ratlos ist, dass er mit der CDU über eine Verfassungsänderung sprechen will, können die Christdemokraten auch mit der SPD über die Zukunft des Landes sprechen", sagte er.

CDU-Fraktionschef Peter Hauk sagte zu einer Änderung der Landesverfassung zur Erleichterung von Volksabstimmungen: "Konstruktiven Gesprächen wird sich meine Fraktion nie verschließen, aber dafür müssen alle Karten auf den Tisch - sofort und nicht erst nach der Wahl des Ministerpräsidenten." FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke bot an, das Zustimmungsquorum in der Landesverfassung von einem Drittel auf ein Fünftel der Wahlberechtigten zu senken. 

Hintergrund: Der Weg zur Volksabstimmung

Volksabstimmung
Nach der Landesverfassung kann die Regierung ein vom Landtag beschlossenes Gesetz zur Volksabstimmung bringen, wenn ein Drittel der Abgeordneten dies beantragt. Außerdem kann die Regierung auf Wunsch eines Drittels der Abgeordneten eine von ihr eingebrachte, aber vom Landtagabgelehnte Gesetzesvorlage zur Volksabstimmung bringen. Bei der Volksabstimmung entscheidet die Stimmenmehrheit, allerdings ist das Gesetz nur dann beschlossen, wenn ein Drittel der Stimmberechtigten zustimmt. Die Grünen wollen dieses Zustimmungsquorum abschaffen.

Vorschlag
Reinhard Hackl vom Verein Mehr Demokratie schlägt eine Volksabstimmung zur Änderung der Landesverfassung vor, um künftig Volksentscheide zu erleichtern. Dabei ist aber ein Zustimmungsquorum von 50 Prozent zu beachten. Dies glaubt Hackl zu erreichen, wenn die Volksabstimmung auf den Tag einer Bundestagswahl gelegt wird. Immerhin sprächen sich regelmäßig parteiübergreifend 80 Prozent der Wahlberechtigten dafür aus, Volksentscheide zu erleichtern, argumentiert Hackl.