Die Wahlbeteiligung bei den jüngsten Landtagswahlen war schwach wie nie. Dabei tut sich Spannendes: das Parteiensystem ist so stark in Bewegung wie lange nicht mehr, kommentiert Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Die Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen haben vier Entwicklungen bestätigt, die allesamt das Format haben, die Parteienlandschaft der Bundesrepublik grundlegend zu verändern. Erstens: der Niedergang der FDP geht ungebremst weiter, die Liberalen sind in keinem ostdeutschen Landtag mehr vertreten. Zweitens: die Alternative für Deutschland (AfD) sitzt jetzt in drei Landtagen – und etabliert sich damit als national-konservative Kraft. Drittens: die Linkspartei ist bereit, inhaltlich alles Sozialistisch-Revolutionäre abzuwerfen, um erstmals einen Regierungschef zu stellen. Und viertens: diese spannenden Veränderungen finden – wie die schwache Wahlbeteiligung zeigt – vor den Augen einer in weiten Teilen desinteressierten Bevölkerung statt.

 

Ob man den Absturz der FDP und den Aufstieg der AfD für ein Glück oder Unglück hält, kann jeder für sich persönlich beantworten. Egal sollte es keinem sein. Mit der FDP verschwindet aus dem politischen Diskurs eine historisch bedeutsame Stimme, die seit Gründung der Bundesrepublik für die Rechte des Bürgers, für dessen wirtschaftliche und politische Autonomie gegenüber den Zudringlichkeiten des Staates eingetreten ist. Bislang ist nicht erkennbar, wer anstelle dieser Partei das liberale Gedankengut weiterträgt.

Die AfD punktet mit den alten Themen der Union

Mit diesem Wahlsonntag ist auch die Hoffnung der Union und anderer Parteien dahin, die AfD sei mit ihrem Anti-Euro-Getöse nur eine monothematische Partei, deren programmatische Schmalbrüstigkeit so auffällig ist, dass sie jenseits einer Europa- und allemal jenseits einer Bundestagswahl keine Breitenwirkung beim Wähler erzeugen wird. Das Thema Euro spielte in den Landtagswahlkämpfen keine Rolle. Trotzdem gelang es der AfD, Wähler in größerer Zahl anzuziehen – durch ein politisches Personal, das hinreichend solide wirkte; aber auch mit geschickter Ansprache von Themen, die mit der Europawährung gar nichts, mit konservativen Grundstimmungen, Veränderungsängsten und allgemeiner Politikerverdrossenheit aber sehr viel zu tun haben: Kriminalität, Flüchtlinge und Familie. Waren dies nicht mal die Leib-und-Magen-Themen von CDU und CSU? Nicht nur die Union ist betroffen, die AfD fischt in allen Gewässern. Aber vor allem Angela Merkel und Horst Seehofer müssen einsehen, dass eine Strategie des Nicht-wahrhaben-Wollens das Phänomen AfD nicht verschwinden lässt.

Rot-Rot-Grün: Wandel durch Anpassung

Die SPD hat, als links neben ihr erst die Grünen und dann die Linkspartei auftauchte, viele Jahre für diese Einsicht gebraucht: auf die Phase des Ignorierens folgte bei den Sozialdemokraten jeweils das Verteufeln der Grünen und Linken, dann die Akzeptanz und schließlich die Zusammenarbeit. In Thüringen ging das Annähern schon so weit, dass Rot-Rot-Grün von den potenziellen Partnern im Wahlkampf ausdrücklich nicht ausgeschlossen wurde. Der linke Spitzenmann Bodo Ramelow trat inhaltlich so weichgespült auf, dass auch nicht mehr verwundert hätte, wenn er für die SPD angetreten wäre.

Die arrivierten Parteien können aus den jüngsten Landtagswahlen eine weitere Erkenntnis mitnehmen: erfolgreiches Regierungshandeln verhindert das Aufwachsen der AfD nicht. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg hatten sich die Messwerte für Wachstum, Arbeitsplätze, Bildung und vieles mehr positiv entwickelt. In allen drei Ländern geht es den Menschen heute besser als vor zehn oder zwanzig Jahren. Mit Stanislaw Tillich, Christine Lieberknecht und Dietmar Woidke regieren Persönlichkeiten, die pragmatisch an die Dinge herangehen und im Volke durchaus beliebt sind. Und dennoch ließen sie eine politische Lücke entstehen, in die sich die AfD erfolgreich hineinmanövriert hat.

Mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 sollte dies vor allem Angela Merkel zu denken geben.