Die Bezahlkarte für Asylbewerber bringt die Grüne Jugend beim Landesparteitag auf. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält dagegen – und Parteichef Omid Nouripour spricht eine Warnung aus.

Entscheider/Institutionen: Annika Grah (ang)

Es war der Versuch, Friede in eine Debatte zu bringen, die die Grünen seit Monaten beschäftigt. „Ich schöpfe Kraft aus Kompromissen“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) beim Parteitag am Samstag in Weingarten (Landkreis Ravensburg). „Es geht wirklich Kraft und Zuversicht aus Kompromissen, weil sie bewirken etwas.“

 

Zuvor hatte Kretschmann allerdings bei der Ministerpräsidentenkonferenz einen Kompromiss angestrebt, der Teile der Parteibasis gegen ihn aufbrachte. Schon vor der Ministerpräsidentenkonferenz hatte er Offenheit für ein System der Bezahlkarten für Asylbewerber gezeigt.

Linker Flügel warnt vor rechter Debatte

Vor allem für die Grüne Jugend ist die Bezahlkarte ein rotes Tuch. Ihre Landes-Co-Sprecherin Elly Reich sprach von einer „rechten Eskalationsspirale“ und appellierte: „Wir haben für solche Scheindebatten keine Zeit.“ Unterstützung bekam Reich vom mit breiter Mehrheit wiedergewählten Landesvorstand Pascal Haggenmüller. „Es ist wichtig, dass wir keine Scheinlösungen anbieten, die nicht tragbar sind.“ Es brauche stattdessen mehr Geld für die Kommunen, schnellere Arbeitserlaubnisse und eine Digitalisierung in den Ausländerbehörden. „Die Rechten definieren die Debatte. Das dürfen wir nicht zulassen.“

Die Ministerpräsidenten der Länder hatten am Freitag nach der Ministerpräsidentenkonferenz nicht nur gefordert, Voraussetzungen zur Einführung einer bundesweit einheitlichen Bezahlkarte für Asylbewerber zu schaffen, sondern auch effektive Maßnahmen zur Beschleunigung der Asylverfahren zu ergreifen. In ihrem Beschluss verlangten die Länder vom Bund außerdem mehr Geld, unter anderem für die Unterbringung von Geflüchteten.

Kretschmann wirbt für Einigung

„Das ist der richtige Weg. Davon bin ich ganz fest überzeugt. Es ist der Weg im Sinne unseres Landes, im Sinne des sozialen Friedens und im Sinne unserer Demokratie“, sagte Kretschmann. Die Kommunen seien im Modus der Überlastung. „Wenn wir im Namen der Humanität die Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft auf Dauer massiv überfordern, dann werden wir die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger verlieren“, warnte er. Die aktuelle Krise habe die Wucht, das demokratische Gemeinwesen zu erschüttern. Daraus folge aber nicht Menschen zu verteufeln, die auf der Suche nach einem besseren Leben zu uns kommen oder gar das individuelle Grundrecht auf Asyl in Frage zu stellen. „Ich bin sehr sehr froh, dass ich keine Stimme auf der Ministerpräsidentenkonferenz gehört habe, die das infrage stellt“, sagte Kretschmann. Gleichzeitig sei es die Aufgabe, irreguläre Migration zu begrenzen und reguläre Migration erleichtern.

Der Bundesvorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, warnte vor einer Polarisierung in der Debatte. „Wir müssen alles dafür tun, dass wir in dieser Situation Empathie nicht unter die Räder kommen lassen“, sagte er. In Richtung der eigenen Reihen warb er angesichts der 2024 anstehenden Wahlen in Kommunen und Europa für mehr Einigkeit. „Der Zusammenhalt dieser Partei, gerade wenn der Wind von vorne kommt, war immer die Stärke der Partei.“

Klare Haltung gegen Antisemitismus

So leidenschaftlich die Grünen am Samstag beim Umgang mit Geflüchteten stritten, so einig verurteilten sie den Terror der Hamas in Israel. „Wir stehen an der Seite Israels“, sagte Nouripour. Zuvor hatte der Antisemitismusbeauftragte des Landes, Michael Blume, betont: „Antisemitismus bekämpft man entweder überall oder man bekämpft ihn gar nicht.“ Antisemitismus sei ein Angriff auf das Miteinander.

Landtagspräsidentin Muhterem Aras forderte, die Zusammenarbeit mit den Islamverbänden in Deutschland auf den Prüfstand zu stellen, die sich in ihren Augen zu relativierend zu den Angriffen der Hamas auf Israel geäußert hatten. „Mit voller Wucht und Barbarei hat die Terrororganisation Hamas einen Massenmord verübt, den die Welt in dieser Form nicht mehr zu kennen glaubte“, sagte sie. Auch die Opfer im Gazastreifen seien zu beklagen. „Diese Bilder lassen uns nicht kalt“, sagte Aras, betonte aber: „Diese Toten verantwortet die Hamas.“

Bei der zweitägigen Landesdelegiertenkonferenz wählten die Grünen Landesvorstand und Parteirat neu. Das Vorstands-Duo aus Pascal Haggenmüller (95 Prozent) und Lena Schwelling (74,4 Prozent) wurde bestätigt. Schwelling kandidiert im Oktober auch als Oberbürgermeisterin in Ulm und kündigte an, im Falle eines Wahlsiegs ihr Amt bei der Partei aufzugeben. Am Sonntag stimmen die Grünen über einen Leitantrag zur Kommunalwahl ab. Außerdem wird die Bundesvorsitzende Ricarda Lang erwartet.