Viele veränderte Lebensmittel sollen in Europa künftig ohne spezielle Kennzeichnung verkauft werden können. Umweltschützer sind alarmiert.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Die EU-Kommission will die Regeln für den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft lockern. Mit diesem Vorschlag löste die Behörde am Mittwoch einen vielstimmigen Chor zwischen Empörung und Jubel bei Befürwortern und Gegnern aus. „Die EU-Kommission erweist Mensch und Natur einen Bärendienst“, poltert Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament. Norbert Lins (CDU), Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses im Parlament, kontert: „Die Techniken bieten Verbesserungsmöglichkeiten in den Bereichen Umweltschutz und Klimaanpassung, welchen wir uns nicht verschließen sollten.“ Durch den sicheren Einsatz der neuen Gentechnikverfahren hätten Landwirte Zugang zu widerstandsfähigeren Pflanzen, die etwa weniger Pestizide benötigten, verteidigte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans am Mittwoch das Papier.

 

Präzise Eingriffe in den Genpool einer Pflanze

Die Kommission hatte die Präsentation des Vorschlages mehrfach verschoben. Der nun präsentierte Gesetzestext sieht vor, dass Lebensmittel auf Basis gentechnisch veränderter Pflanzen in Zukunft nicht mehr gekennzeichnet werden müssen, wenn die Veränderungen auch natürlich oder durch konventionelle Züchtungen entstehen könnten. Konkret geht es um sogenannte Neue Genomische Verfahren (NGT), mit denen präzise Eingriffe an der DNA einer Pflanze möglich sind. Die Kommission erhofft sich durch NGT-Verfahren neue Pflanzensorten, die sich besser an klimatische Veränderungen anpassen können, weniger Wasser benötigen oder resistenter gegenüber Krankheiten sind. Zudem sollen schneller neue Sorten auf den Markt kommen.

Ausgenommen von den Erleichterungen sind Pflanzen, deren Erbgut auf die bisher übliche Weise genetisch verändert wurde. Sie müssen weiterhin gekennzeichnet und einer Risikobewertung unterzogen werden. Ausdrücklich nicht gelten die neuen Bestimmungen für Pflanzen, denen Gene von artfremden Organismen übertragen wurden, hier sollen weiterhin die bestehenden sehr restriktiven Vorgaben angewandt werden.

Bio-Bauern sind die Veränderungen untersagt

Ausgenommen sind laut Gesetzentwurf außerdem die Bio-Landwirtschaft. Dort soll der Einsatz von NGT-Pflanzen auch in Zukunft verboten bleiben. Genmodifiziertes Saatgut soll aus diesem Grund gekennzeichnet werden, zudem soll ein Register mit allen NGT-Produkten entstehen.

Die vor gut zehn Jahren entwickelte sogenannte Genschere Crispr/Cas steuert gezielt Gene an, die für eine bestimmte Eigenschaft verantwortlich sind. Der Genstrang wird an einer bestimmten Stelle geschnitten und dann vom zelleigenen Reparatursystem wieder zusammengefügt. Dadurch entstehen Veränderungen im Erbgut, die auch auf natürliche Weise auftreten können.

Viele Anträge auf Zulassung von veränderten Pflanzen

Derzeit liegen rund 90 Anträge auf Zulassung von NGT-Pflanzen vor, heißt es aus Brüssel. Ein Drittel davon befindet sich in fortgeschrittenen Forschungsstadien. Maispflanzen in Belgien und Kartoffeln in Schweden werden bereits auf den Feldern getestet. Kommerzielle Produkte gibt es derzeit auf dem EU-Markt noch nicht. Die EU-Kommission erwartet auch nicht, dass in absehbarer Zeit viele neue NGT-Sorten auf den Markt kommen werden. Bevor die Vorschläge Realität werden können, müssen zudem die EU-Staaten und das Europaparlament noch einen Kompromiss aushandeln, wie die Gesetzgebung am Ende aussehen soll.