Die Deutsche Bahn hat aus Sicht des Rechtsprofessors Urs Kramer keine Genehmigung dafür, die Gäubahn über Jahre vom Stuttgarter Hauptbahnhof abzuhängen. Das müsse sie beantragen.

Die neueren Pläne der Deutschen Bahn AG zu einer etwa zehn Jahre währenden Unterbrechung der Gäubahnstrecke zum Stuttgarter Hauptbahnhof sind nicht durch die geltende Baugenehmigung für Stuttgart 21 gedeckt. Zu diesem Fazit kommt Professor Urs Kramer in einem Gutachten für mehrere Umweltverbände. Kramer hat an der Uni Passau eine Lehrprofessur für Öffentliches Recht inne.

 

Die Deutsche Bahn AG sei verpflichtet, die Gäubahnstrecke in die City auch mit der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 weiter zu betreiben. Wenn sie das nicht wolle, müsse sie beim Eisenbahn-Bundesamt (Eba) eine Stilllegung der Stecke und die Änderung der Planfeststellung für Stuttgart 21 beantragen.

Planung für Gäubahn nicht mehr haltbar

Die genehmigten Pläne der DB sehen vor, den Tiefbahnhof Ende 2025 in Betrieb zu nehmen. Etwa vier Monate zuvor kappt sie die Gäubahn. Züge aus Singen und Freudenstadt sollen dann in Stuttgart-Vaihingen oder einem noch zu bauenden Halt am Nordbahnhof enden, Reisende auf S- oder Stadtbahn umsteigen. Im Dezember würde das Interim enden und die Gäubahn über den Flughafen zum Tiefbahnhof geführt.

Diese Pläne sind inzwischen allerdings nicht mehr haltbar. Nach aktuellem Stand würde die Gäubahn erst etwa zehn Jahre später wieder direkt an den Hauptbahnhof angeschlossen. Zuvor müsste für sie der Pfaffensteigtunnel zwischen Böblingen und dem Landesflughafen gegraben werden. Darüber entscheidet der Bund. Er rechnet für den Tunnel mit einer siebenjährigen Planungs- und sechsjährige Bauphase. Für eine zehnjährige Unterbrechung liegt laut Kramer keine Genehmigung vor. Zugestanden seien der Bahn wenige Monate, ein „mehr oder weniger zeitgleicher Ersatz“ der alten durch die neue Verbindung. Zehn Jahre „Abbindung“ der Gäubahn können „Auswirkungen auf das rechtliche Gesamtgefüge der Planungen für Stuttgart 21 und deren Zulässigkeit haben“.

Veränderte Sachlage macht Klage möglich

Für die Auftraggeber hat Kramer ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus 2018 geprüft. Damals hatte ein privater Bahnbetreiber ein Stilllegungsverfahren für die Altanlagen in Stuttgart, die er übernehmen wollte, gefordert. Er scheiterte. Das Gericht hatte argumentiert, dass keine Streckenstilllegung, sondern nur eine „Änderung der Streckenführung“ gegeben sei, ein Teilstück werde durch ein anders verlaufendes ersetzt, sämtliche Verbindungen zum Hauptbahnhof blieben „unter veränderter Streckenführung“ erhalten. Genau das sei aber nun bei der Gäubahn nicht mehr der Fall, so Kramer: „Es gibt keinen lückenlosen 1:1-Ersatz für die alte Strecke.“ Man habe eine „veränderte Sachlage, die die Rechtskraft des Urteils durchbricht“.

Dass die Stilllegung der alten Strecke durch das Eba genehmigt wird, hält Kramer für möglich. Allerdings könne anstelle der DB ein anderes Unternehmen am Betrieb Interesse zeigen. Das wäre „der stärkste Hebel gegen eine Stilllegung“. Für ausgeschlossen hält er eine Freistellung der Strecke vom Eisenbahnbetrieb und die Verwertung der Gäubahn-Flächen als Baugrundstücke. Dem stehe ein öffentliches Interesse und der Erhalt einer Umleitung für die S-Bahn entgegen. Sollte sich die Deutsche Bahn AG in der Gäubahnfrage nicht bewegen, sieht Kramer nicht einzelne Fahrgäste, aber zum Beispiel von der Kappung betroffene Kommunen entlang der Strecke klageberechtigt.

Verbände: Abbau von Infrastruktur

In Auftrag gegeben hatten das Gutachten der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Landesnaturschutzverband (LNV), Pro Bahn und Verkehrsclub Deutschland (VCD). Sie sehen sich bestätigt. Die DB habe selbst 2018 eingeräumt, dass die jahrelange Unterbrechung für nur rund zwei Millionen Euro vermieden werden könne, indem der Anschluss der Gäubahn an den Kopfbahnhof nach den Arbeiten für die S-Bahn wiederhergestellt werde. Aus städtebaulichen Gründen solle diese aber „zum Nachteil der Reisenden“ unterbleiben, moniert Klaus Arnoldi vom Verein für Förderung des Schienenverkehrs. Man wolle mit der Stadt Stuttgart, Gäubahnanrainern und dem Verband Region Stuttgart das Gutachten besprechen.

„Wir stehen vor einem beispiellosen Abbau von Infrastruktur“, so Stefan Frey für den LNV. Fahrgästen dürfe kein Umstieg zugemutet werden, durch den sie „leicht eine Stunde verlieren können“, so Wolfgang Staiger von Pro Bahn. Das Gutachten sei ein „deutliches Zeichen an die Stadt, dass sie sich ehrlich machen muss“, sagte Gerhard Pfeifer für den BUND bei der Vorstellung. Die Gäubahngleise lägen in dem von der Stadt geplanten Rosenstein-Wohnquartier auf Grünflächen, würden die Bebauung also nicht tangieren. „Die Stadt muss auf die Situation reagierten“, fordert Pfeifer.