Boris Palmer Ob es um die Flüchtlingspolitik geht, um Corona oder um politische Korrektheit: Der Tübinger Oberbürgermeister provoziert, was teils empörte Reaktionen bei seinen grünen Parteikollegen hervorruft. Etwa als er 2015 zur Zeit der Flüchtlingskrise davon sprach, dass Deutschland „nicht Platz für alle“ habe.
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Oder als Palmer im April 2020 zum Umgang mit Coronapatienten sagte: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Den jüngsten Eklat gab es um einen Facebook-Kommentar des Politikers über den ehemaligen Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo, in dem Palmer das N-Wort benutzte. Als Konsequenz daraus entschied sich ein Landesparteitag der Grünen für ein Parteiausschlussverfahren gegen Palmer. Am Sonntag kündigte Palmer an, er werde nun als unabhängiger Kandidat bei der OB-Wahl im Herbst antreten.
Was treibt ihn an? „Boris Palmer fühlt sich wohl in der Rolle des Aufmischers, er ist gerne der, der es nicht so macht wie die anderen“, analysiert der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann. Aber steckt hinter Palmers Aussagen eine gezielte Strategie, um Aufmerksamkeit zu erregen? Püttmann glaubt das nicht: „Dafür wirkt mir Palmer zu überzeugt. Ich glaube eher, dass er diese Aufmerksamkeit unterbewusst genießt“, meint Püttmann.
Hans-Georg Maaßen Bei ihm fragen sich viele: Warum ist er noch nicht in die AfD übergetreten? Der CDU-Politiker ist in seiner Partei wegen AfD-nahen Äußerungen extrem umstritten. Erst kürzlich distanzierte sich der CDU-Bundesvorstand geschlossen von Maaßen, weil dieser auf Twitter vor angeblichen Gefahren durch das Impfen warnte – und sich dabei auch auf den umstrittenen Forscher Sucharit Bhakdi bezog, der bereits mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen war. Für den Politologen Torben Lütjen ist der Fall klar: „Das, was Maaßen sagt, sind AfD-Positionen.“ Und dennoch scheint der Politiker nicht an einen Parteienwechsel zu denken – was für Lütjen nur logisch ist: „Solange Maaßen als CDU-Politiker AfD-Positionen vertritt, hat das für die Öffentlichkeit einen Nachrichtenwert. Sobald er wechselt, wäre das nicht mehr gegeben.“
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Auch, dass Politiker wie Maaßen eher Positionen rechts von der Parteilinie vertreten, ergibt für den Politologen Sinn: „Zur wahren Provokation taugt nur noch rechts, die linkeren Positionen dagegen genügen nicht mehr für den Tabubruch.“ Früher war das anders, da schlugen die Unruhestifter in der Partei eher mal nach links aus: in der Union etwa Norbert Blüm und Heiner Geißler, in der SPD Hermann Scheer.
Könnte einer wie Maaßen aber nicht auch einen Vorteil für die Partei bedeuten? Indem er etwa andere Wählermilieus anspricht? Dem widerspricht Lütjen: „Wenn ein Wähler so weit rechts wählen will, wie es Maaßen vertritt, dann wählt er lieber das Original – und das wäre die AfD.“ Zudem gebe es wohl auch CDU-Wähler, die sich von Maaßen abschrecken lassen und am Ende ebenfalls ihre Stimme einer anderen Partei geben.
Sahra Wagenknecht Gendern und die sogenannten Lifestyle-Linken sind der Linken-Politikerin ein Dorn im Auge – und ihre Kritik daran behält sie nicht für sich. Im Gegenteil: Sie macht ihrem Ärger in Büchern Luft oder in den zahlreichen Talkshows, in die sie immer wieder eingeladen wird.
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Die Linken haben wohl das größte Problem mit ihrer Unruhestifterin, denn Wagenknecht ist immer noch ein Gesicht der Partei, vermutlich das bekannteste – und zieht damit auch Wähler an. „Sahra Wagenknecht signalisiert mit ihren Äußerungen, dass sie das verfolge, wofür die linke Partei wirklich stehe, als quasi die Hüterin der wahren linken Politik“, analysiert Lütjen.
Püttmann bezeichnet die Linken-Politikerin als ein „personifiziertes Hufeisen“, das linke Positionen mit rechten verbinde. Dass Wagenknecht so häufig in Talkshows auftritt, führt er auch auf die Art zurück, wie sie in die Rolle der Unbequemen schlüpfte: „Wenn man mit diesen Positionen ständig eingeladen wird, stärkt das das Ego und man schöpft Kraft daraus, sich gegen große Teile der eigenen Partei zu stellen.“
Oswald Metzger Im Gegensatz zu den anderen Unruhestiftern hat Oswald Metzger sich 2008 für die Partei entschieden, die besser zu ihm passte: Er wechselte von den Grünen zur CDU – und musste damit auch an Bekanntheitsgrad einbüßen.
„Metzger ist das perfekte Beispiel dafür, dass solche Politiker nur so lange interessant sind, wie sie in der Partei bleiben, gegen die sie rebellieren“, sagt Lütjen. Denn seit der Politiker in der CDU sei, spiele er in der Öffentlichkeit keine große Rolle mehr. „Diese Persönlichkeiten wollen eigentlich nicht austreten, weil danach der Nachrichtenwert nachlässt“, so Lütjen. Metzger sei ähnlich wie Palmer zu charakterisieren: „Sie sind beide Reformer, die gegen Denkverbote sind und fordern, sich anderen Ansichten zu öffnen.“
Thilo Sarrazin Was Palmer und Otte noch blühen könnte, hat Thilo Sarrazin schon hinter sich: 2020 wurde der Politiker per Parteiausschlussverfahren aus der SPD befördert. Lange hatte er mit seinen einwanderungs-und islamkritischen Positionen Empörung hervorgerufen.
„Sarrazin hatte diese Kälte und ein mangelndes soziales Gespür, was nicht zu Sozialdemokraten passt“, analysiert Püttmann. Der Politiker habe sich gegen die linke Strömung in der SPD „verhärtet“ und durch sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ auch die Resonanz bekommen, die ihn in seinen Ansichten bestärkt habe. Für Lütjen ist Sarrazin ein gutes Beispiel dafür, wie eine Partei unter einem Unruhestifter wie ihm leidet: „Er hat der SPD nur geschadet.“
Max Otte Es war ein Paukenschlag, der es in sich hatte: Der CDU-Politiker Max Otte wurde am 25. Januar von der AfD für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen. Und was machte Otte? Er nahm die Nominierung an – und der Ärger in der eigenen Partei war programmiert. Denn schon lange werfen Kritiker in der CDU Otte vor, mit der Werteunion als konservative Strömung der Partei näher an die AfD heranrücken zu wollen. 2017 teilte Otte sogar mit, bei der Bundestagswahl die AfD zu wählen.
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„Otte ist, gemessen an seinen Äußerungen der letzten Jahre, ideologisch ein AfD-Mann – und betreibt anscheinend seit geraumer Zeit ein falsches Spiel. Es ist schwer vorstellbar, dass er in den letzten zehn Jahren seine eigene Partei, die CDU, gewählt hat“, sagt der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann. Hinter der akzeptierten Nominierung für das Bundespräsidentenamt steckt laut Püttmann Kalkül. Mit dem Ziel, der CDU zu schaden – und der AfD gleichzeitig das zu geben, was sie will: „Otte ist als CDU-Politiker viel wertvoller für die AfD, weil er so eine viel größere Medienpräsenz hat“, sagt Püttmann.
Für Otte hat sein Verhalten nun persönliche Konsequenzen: Am vergangenen Sonntag kündigte er nun an, er wolle sich nach seiner Kandidatur für das Bundespräsidentenamt aus der aktiven Parteipolitik zurückziehen. „Das Amt des Bundespräsidenten oder die Kandidatur steht über den Parteien und am Ende einer politischen Laufbahn. Was soll danach noch kommen?“, sagte er. Den Vorsitz der Werte-Union lege er zudem mit sofortiger Wirkung nieder.
Palmer und Otte – Wie ist der aktuelle Stand?
Otte
Die CDU-Spitze hat gegen Otte nicht nur ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet, sondern ihn auch vorläufig aus der Partei ausgeschlossen. Der Ausschluss gilt bis zur Entscheidung eines Parteigerichts. Otte hat am Sonntag nun angekündigt, sich nach seiner Kandidatur für das Bundespräsidentenamt vollständig aus der aktuellen Parteipolitik zurückzuziehen.
Palmer
Über den Ausschluss von den Grünen soll ein parteiinternes Schiedsgericht auf Landesebene entscheiden. Bei der OB-Wahl in Tübingen will Palmer nicht für die Grünen antreten.