Aus dem harmlosen Party-Ohrwurm „L‘amour toujours“ von Gigi D’Agostino ist eine rechtsextreme Erkennungsmelodie geworden. Auf Partys und Volksfesten werden auf die eingängige Melodie rechtsradikale Parolen gegröllt. Wie konnte es dazu kommen?

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Kennen Sie dieses Phänomen auch? Sie hören einen Song und wie von Zauberhand geht diese Melodie nicht mehr aus Ihrem Kopf. Die Töne haben sich in Ihr inneres Gehör regelrecht eingebrannt und lassen sich nicht mehr resetten.

 

Wenn eine Melodie zur Dauerschleife wird

Es gibt Musik, die ist so genial gut, dass man sie immer und immer wieder hören möchte. Und dann gibt es auch noch jene „Tralala“, bei der man sich schon nach den ersten Tönen am liebsten die Ohren mir Oropax zustopfen will. Leider steht es nicht immer in unserer Macht – oder der unseres Gehirns –, welche Musik zur nervigen Dauerschleife wird.

Gemeinsam ist allen Ohrwurm-Medleys, das sie einen hohen Wiedererkennungswert sowie eine exzellente Mischung aus Vertrautheit und Überraschungseffekt besitzen. Welchem Genre sie entstammen – ob E(rnste)- oder U(nterhaltungs)-Musik – ist eigentlich ziemlich egal.

Musikwissenschaftler haben sich intensiv mit diesem Phänomen auseinandergesetzt – und sind zu folgendem Ergebnis gekommen: Die Wiederholung eines 3- oder 4-Takte-Motivs ist ideal für Ohrwürmer.

Ohrwurm „L‘amour toujours“

Der Italo-Dance-Song „L‘amour toujours“ von DJ Gigi D‘Agostino gehört definitiv zu dieser Kategorie Ohrwurm. Und ausgerechnet dieses völlig harmlose und unverfängliche Liebeslied hat aufgrund seiner eingängigen Melodie und Party-Qualitäten eine unrühmliche Karriere gemacht, die mit Musik überhaupt nichts mehr zu tun hat. Was ist da bloß passiert?

Rassistisches Gegrölle zum Ohrwurm

Der rassistische Vorfall an Pfingsten in einem Nobel-Lokal auf Sylt hat bundesweit Empörung ausgelöst. In einem kurzen Video, das in sozialen Medien verbreitet wurde, grölen junge Erwachsene zum Party-Hit „L’amour toujours“ „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“.

Die fremdenfeindliche Abwandlung von „L‘amour toujours“ hat mittlerweile bundesweit für Polizeieinsätze gesorgt. In mehreren deutschen Städten wurde die Melodie am Rande von Feierlichkeiten in Verbindung mit „Ausländer raus“-Parolen gegrölt. In Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz ermittelt deswegen nun der Staatsschutz. Es ist fast wie eine Epidemie, die unzählige Festivitäten im ganzen Land erfasst hat.

Gigi D’Agostino: „L’amour toujours“ ist nur ein Liebeslied

DJ Gigi D’Agostino hat jetzt klargestellt, dass es in seinem Song ausschließlich um Liebe geht. „In meinem Lied ‚L’amour toujours‘ geht es um ein wunderbares, großes und intensives Gefühl, das die Menschen verbindet. Es ist die Kraft der Liebe, die mich hochleben lässt“, teilte D’Agostino mit. Zentral sei zudem die Freude über die Schönheit des Zusammenseins.

Den Song „L’amour toujours“ hatte Gigi D’Agostino einst als Hommage an die große Liebe geschrieben. 1999 war der Song zunächst in einer ruhigen Version auf dem gleichnamigen Album erschienen, 2001 folgte dann die heute aus den Clubs bekannte „L’Amour-Version“ mit Synthesizer-Melodien. Der Text wird von dem britisch-nigerianischen Sänger Ola Onabulé gesungen.

Von Italo-Dance-Song zur rechten Hass-Hymne

Rechtsextreme haben „L’amour toujours“ regelrecht gekapert. Im Netz kursiert der Partyhit – vor mehr als 20 Jahren komponiert als politisch unverfängliches, tanzbares Liebeslied – seit einigen Monaten auf verschiedenen rechten Plattformen, umgedichtet zur rechtsradikalen Hass-Hymne und zu einem Art politisch-musikalischem Code.

Der Dance-Song wird mittlerweile auch auf Dorffesten und bei diversen Feierlichkeiten von „ganz normalen“ Bürgern mit fremdenfeindlichen Parolen versehen. In Gigi D‘Agostinos Original kommt der Refrain ohne Text aus. Nun singen immer mehr Party-Gäste und Festzelt-Besucher auf die eingängige Melodie die rechtsradikale Parole „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“.

Liebeslied für Rassismus-Parolen missbraucht

Der Song „L’amour toujours“ sei mittlerweile immer mehr mit den rassistischen Parolen verknüpft, erklärt die Co-Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht. „Das macht ja auch was im Gehirn.“ So schafften Rechtsextreme eine Akzeptanz solcher Parolen in der breiten Gesellschaft.

Für die Cemas-Expertin verdeutlicht der Fall: „Rechtsextremismus ist nicht nur ein Problem, das man in Ostdeutschland sieht oder bei Menschen, die ein geringeres Einkommen haben, sondern auch bei höheren Schichten.“

Rassismus in allen Bevölkerungsschichten anzutreffen

Das Bedrohliche für Betroffene sei vor allem die strukturelle Macht, die diese Personen potenziell einmal ausüben könnten, betont Pia Lamberty. Das Video zeige: „Rassismus geht auch von Menschen aus, die an Universitäten studiert haben oder in Managementpositionen stehen.“ Rechtsextremismus und rassistische Einstellungen seien etwas, was man in der gesamten Gesellschaft finde. 

Erstellt mit AFP/dpa-Agenturmaterial.