Bohren und Hämmern bilden zurzeit die Geräuschkulisse zum politischen Umbruch: Die Sitzreihen im Landtag werden umgebaut.

Stuttgart - Die Gewinner und die Verlierer begegnen sich jeden Tag auf den Fluren. "Sie können ruhig reinkommen, ich hab auch einen Meterstab da", sagt eine FDP-Mitarbeiterin als ihr der Grünen-Pressesprecher Wolfgang Schmitt auf dem Flur begegnet. Sie lacht. Er grinst. Schmitt ist nicht zum Ausmessen der Büros unterwegs, aber Neckereien sind derzeit fester Bestandteil der Flurgespräche.

 

Das Abgeordnetenhaus wird in diesen Apriltagen neu geordnet. Während die einen sich ein Regierungsprogramm ausdenken, müssen die anderen Umzugskartons bepacken. Mit der FDP hatten die Grünen in dem Gebäude zwischen der Landesbibliothek und dem Haus der Geschichte jahrelang ein U gebildet. Drei Flügel belegten die beiden Fraktionen in der ersten Etage. Nun muss die FDP ihre Schreibtische für die Grünen räumen, die neue Regierungspartei braucht mehr Platz. Die Ökopartei hat mit 36 Abgeordneten doppelt so viele Plätze wie zuvor. Die Liberalen haben nur noch sieben - und ziehen unters Dach.

Grundlegende Veränderungen können auch leise sein

Bohren und Hämmern bilden die wahrnehmbare Geräuschkulisse des politischen Umbruchs. Es ist seine laute Seite. In einem Besprechungsraum des Hauses zimmern die Arbeitsgruppen der Koalition derweil möglichst lautlos eine neue Regierung. Lauschen ist nicht erwünscht. Grundlegende Veränderungen können auch leise sein.

Und nicht überall entdeckt man sie sofort. Noch gelangt, wer im Aufzug den Knopf für den ersten Stock drückt, in das gemeinsame Revier von FDP und Grünen. Noch trennt im Aufzug die beiden Parteien lediglich ein Schrägstrich. Künftig sind es neben den politischen Anschauungen nun auch zwei Stockwerke. Dank Klebestreifen können Änderungen auch ohne großen Aufwand verkündet werden. Wo sich nach der Aufzugstür die Wege teilen, ist der Wegweiser mit einem aktuellen Hinweis überklebt. "Wegen Umbauarbeiten ist die Fraktion der Grünen nur über die Gänge der FDP zu erreichen."

Differierende Programme in identischen Kulissen

Der FDP-Abgeordnete Friedrich Bullinger vermutet hinter der Umleitung Methode. "Jetzt laufen die Sieger immer bei uns vorbei", sagt er und streckt dem Kollegen von der Grünen-Fraktion dann auch gleich die Hand zur Gratulation entgegen. Ja, er müsse auch unters Dach, erzählt Bullinger, doch erst müssten die Kollegen von SPD und CDU oben ihre Zimmer räumen. "Die haben da nämlich noch ein paar Ausweichbüros gehabt."

Seinen Schreibtisch nimmt Bullinger nicht mit. Der gehöre hier zum Inventar. Ob der Tisch rund oder eckig sein soll, können sich die Abgeordneten aussuchen, doch prinzipiell gleichen sich die Einrichtungen. Auch die Größe der Büros entspricht einem Einheitsmaß, und so werden differierende Programme in identischen Kulissen erdacht. "Wichtig ist, dass ich den Kopf mitnehme", sagt Bullinger. Der vorbeieilenden Kollegin der Grünen wirft er seine Absichtsvermutung über die Umleitung scherzend zu. Der alternative Weg wäre denkbar umständlich, klärt sie ihn auf: Er würde direkt über den Schreibtisch der Grünen-Landtagsabgeordneten Theresia Bauer führen.

Die Plätze im Landtag werden knapp

Der politische Wandel riecht nach Baustaub und nassem Beton. An manchen Stellen vollzieht er sich gemächlich, an anderen Orten bricht er herein. Die Wand, die einst den Fraktionssaal der Grünen und der FDP voneinander trennte, ist schon eingerissen. Für ihren Besprechungstisch braucht die Ökopartei künftig einen großen Raum. Der Elly-Heuss-Knapp-Saal der FDP ist mit dem Durchbruch verschwunden, nur ein Namensschild erinnert noch an ihn. Ob es noch einmal gebraucht wird, ist nicht sicher. Im vierten Stock gibt es noch keinen neuen Fraktionssitzungssaal. Die FDP wird zunächst improvisieren müssen. Mit nur noch sieben Leuten eine lösbare Aufgabe.

Umzüge sind für Abgeordnete nach Wahlen nichts Ungewöhnliches. Doch dieses Mal ruckelt es im Haus der Abgeordneten mehr als sonst. 1986 wurde es erbaut, für vier Fraktionen ist es ausgelegt. Wie dringend eine Entscheidung über die Vergrößerung des Landtags getroffen werden muss, zeigt sich hier. Einige Mitarbeiter der FDP müssen dauerhaft in das Ausweichquartier in der Ulrichstraße 19 ziehen. Die Büros unter dem Dach des Parlamentarierstammsitzes sind knapp. Auch im Neuen Schloss hat der ein oder andere Abgeordnete schon mal ein Büro bezogen, erzählt der Landtagssprecher Quintus Scheble. Noch viel früher hätten auch im Königsbau ein paar Schreibtische für Parlamentarier parat gestanden.

Die Kunst haben FDP und Grüne gemeinsam ausgesucht

Manche Veränderungen haben geschmerzt. Damals, als im Jahr 1992 die "Republikaner" in den Landtag eingezogen sind, das sei "richtig schlimm gewesen", erinnert sich der Grünen-Sprecher Schmitt. Auch andere Abgeordnete denken nicht gerne daran zurück, wie für die "Republikaner" die Büros im vierten Stock freigeräumt werden mussten. Nach zwei Wahlperioden war der Spuk vorbei.

Auf dem blauen Teppich der Flure im Abgeordnetenhaus steht ein Gitterwagen voll Altpapier. Oben liegt ein Staatshaushaltsplan für 2010/2011, unter einem Beschlussprotokoll lugt ein alter Wandkalender hervor. Unterlagen drunter und drüber. Bleiben werden die Kunstwerke an den Wänden. Die haben FDP und Grüne einst gemeinsam ausgesucht. Diese Entscheidung bildet eine Konstante.

Im Landtag muss Wandel schnell gehen

Der Weg zu weiteren Veränderungen führt unter die Konrad-Adenauer-Straße. Ein unterirdischer Gang verbindet das Abgeordnetenhaus mit dem Landtag. Er ist die Laufstrecke der politischen Entscheider. Hinter den braun getönten Scheiben im Schlossgarten wird für den Wandel geschraubt. Wo sonst eine Doppeltür mit Holzbeschlag in den Plenarsaal führt, klafft nun ein Loch.

Vom Saal selbst ist kaum etwas zu sehen: Von den Besucherrängen spannt sich eine blaue Folie wie ein Wasserfall bis zum Boden. Die Sitze und die Regierungsbank sind staubdicht verpackt, die ersten beiden Reihen werden momentan umgebaut. Für mehr reicht die Zeit nicht. Die Legislaturperiode wurde verkürzt, nur vier Wochen haben die Handwerker Zeit, die neue Sitzordnung umzumodeln. Hier muss sich der Wandel schnell vollziehen.

Das Mobiliar zeigt keine Spuren von Empörung

In der Schule galt in der ersten Reihe zu sitzen nicht unbedingt als Privileg, im Landtag ist es eines. Bisher hatten die Grünen nur einen Platz ganz vorne, nun sind es drei Stühle. Genauso viele sind für die SPD reserviert, von der künftigen Oppositionspartei CDU sitzen fünf Abgeordnete in der ersten Reihe des Halbrunds, eigentlich wären sechs Plätze für die stärkste Fraktion bestimmt gewesen. Für die FDP blieb förmlich nur die zweite Reihe. Aus alter Verbundenheit hat die CDU nun einen Platz an den derzeitigen Koalitionspartner abgetreten.

Die Stühle, auf denen die künftigen Abgeordneten sitzen, werden dieselben sein wie bisher. Sie stehen genau wie die Tische und die Regierungsbank unter Denkmalschutz, einfach mal austauschen funktioniert daher nicht. Deshalb hege und pflege man sie auch, erklärt der Direktor des Landtags, Ulrich Lochmann. Das Holz wird poliert, mehr als ein paar Kratzer müssen meist nicht entfernt werden. Die zeitweilige Empörung über Aussagen des politischen Gegners hinterlässt keine Spuren am Mobiliar, auch wenn immer mal wieder einer mit der Faust darauf haut.

Keine geschlossene Oppositionsfront mehr

Zurzeit beherrscht das Stemmeisen die Handlungen im Plenarsaal. Die Sitze sind fest mit dem Boden verbunden. Die Handwerker wuchten sie heraus, bohren neue Löcher, um sie an anderer Stelle wieder festzuschrauben. Wer künftig neben wem sitzt, das hat Lochmann gemeinsam mit Geschäftsführern der Fraktionen grundsätzlich besprochen: "Detailfragen klären die Fraktionen dann untereinander." Eine Bank für zwei Abgeordnete wurde mit einem Einzelplatz getauscht; sonst hätte ein Liberaler neben einem Grünen sitzen müssen. Kommt nicht infrage.

Dem Wandel ins Auge sehen vom 1. Mai an die Oppositionsparteien - und das nicht nur sprichwörtlich. Sie bilden künftig keine geschlossene Front mehr mit der Regierungsbank. Dabei war das fast immer so. Tagte der Landtag, saß der Ministerpräsident 58 Jahre lang auf der Regierungsbank. Vor sich seine Partei, die CDU. Blickkontakt in einer Beinlänge Entfernung war dabei ebenso unvermeidbar wie erwünscht.

Zuflüstern, Dokumente reichen, die Stirn runzeln, den Kopf schütteln, all das wird selbstverständlich weiterhin möglich sein, nur könnte sich der ein oder andere dabei vom politischen Gegner beobachtet fühlen: Schauen die CDU-Abgeordneten nach links zur Regierungsbank, sitzt dort künftig Winfried Kretschmann. Er blickt auf die Opposition, seine 36 Grünen-Abgeordneten sitzen weiter links. So gesehen hat der Wandel dann auch ein Gesicht.