Angela Merkel findet im Bundestag starken Rückhalt für ihre Europa-Politik. Sogar ein prominenter Genosse applaudiert der Kanzlerin.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Zunächst sieht es danach aus, als würde sich die Rettung des Euros weiter verzögern. Die Sitzung des Bundestags, die jenem hehren Ziel gilt, beginnt mit 13 Minuten Verspätung. SPD-Chef Sigmar Gabriel erweckt an diesem Schicksalstag den Eindruck, als müsse er das Titanenwerk höchstselbst und ganz alleine verrichten. In Feldherrenpose, die Arme vor der Brust gekreuzt, empfängt er seine Genossen - und all die anderen illustren Gesprächspartner, denen es ein Bedürfnis zu sein scheint, bei ihm vorstellig zu werden. Die Sozialdemokraten spielen in den folgenden Stunden mehr als eine oppositionsgerechte Nebenrolle.

 

Die Szenerie erinnert ein bisschen an die Zeiten, als die SPD noch offiziell mitregiert hat. Der CDU-Mann Stefan Kampeter, Staatssekretär im Finanzministerium, eilt herbei, um Gabriel die Hand zu schütteln. Sie fachsimpeln angeregt. Auch die Kanzlerin stößt hinzu, noch bevor sie den Liberalen, ihren eigentlichen Koalitionspartnern, die Aufwartung macht. Angela Merkel ist es gelungen, eine informelle Große Koalition zu schmieden. Die SPD und auch die Grünen tragen ihre Eurorettungspolitik mit. Sie wird das später in ihrer Regierungserklärung ein "wertvolles" Signal nennen.

Parlament steht hinter der Kanzlerin

In dem Abstimmungsmarathon, dem Merkel sich erneut unterziehen muss, spiegeln sich Macht und Ohnmacht der Kanzlerin als zentraler Figur beim Ringen um die Rettung des Euro. Ihr Handlungsspielraum ist eng an die Beschlusslage des heimischen Parlaments gebunden. Dessen geschlossenes Votum stärkt sie jedoch in Brüssel. Kein anderer der Staatsmänner, mit denen sie es dort am Mittwoch Abend zu tun hat, genießt bei den heiklen Verhandlungen einen vergleichbaren Rückhalt im eigenen Land.

Merkel weiß das zu schätzen. Schon der Auftakt zu ihrer Regierungserklärung ist eine Reverenz an großkoalitionäre Leistungen. Die Bundeskanzlerin erinnert an "gemeinsame Anstrengungen", dank derer es gelungen sei, die erste Welle der Finanzkrise zu bewältigen. Einer, der sich unmittelbar angesprochen fühlen darf, sitzt nicht in vorderster Reihe: der frühere SPD-Finanzminister Peer Steinbrück, dem man unterstellen darf, dass er Merkel gerne beerben würde. Zurückgelehnt verfolgt er ihre Worte, spendet ab und an sogar Beifall - was ansonsten nur wenige seiner Genossen tun.

Schnelle Korrekturen sollen getroffen werden

Merkels Rede hat noch andere Adressaten: ihre eigenen Leute, natürlich. Ihnen gilt die Ankündigung, sie wolle sich dafür einsetzen, die europäischen Verträge so zu ändern, dass Möglichkeiten geschaffen würden, gegen Schuldensünder "durchzugreifen". Manche dieser Ankündigungen klingen so, als sollten sie durchdringen bis nach Brüssel, wo Merkel später dann weiterverhandelt. Nirgendwo stehe geschrieben, dass die fälligen Korrekturen am Regelwerk der EU "immer eine Dekade" dauern müssten. Die Kanzlerin sieht Deutschland auch hier als Musterbeispiel: Der Einigungsvertrag sei damals in wenigen Monaten fertig geworden.

Historisches Pathos ist Merkels Sache nicht. An diesem Tag verfällt sie gleichwohl in eine Tonlage, die daran erinnert. Sie nennt die Herausforderung, die es für Europa zu meistern gelte, "die größte Belastungsprobe, die es je gegeben hat". Das gilt auch für Merkel ganz persönlich. Die Krise des Euro bedeutet für ihre Regierung eine Zerreißprobe - ihre Bewältigung könnte Merkels letzte Chance sein, die nächste Wahl noch einmal zu bestehen.

Merkel sympathisiert mit Demonstranten

Sie erklärt die Rettung der Gemeinschaftswährung zu ihrem ganz "persönlichen Anliegen" - und verschweigt auch nicht die Risiken, die es dafür in Kauf zu nehmen gelte. Aus Merkels Mund hört sich das alternativlos an: "Wenn ich es für vertretbar halte, muss ich es eingehen, auch wenn es ein Risiko ist." Auch auf politische Risiken kommt die Kanzlerin zu sprechen. Sie erwähnt die Protestaktionen vor Banken, bekundet "großes Verständnis" für die Demonstranten.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wundert sich prompt, dass die Abgeordneten der FDP und der CSU dieser Kanzlerin überhaupt noch Beifall spenden. Was er Merkel zu sagen hat, klingt nicht nach einer heimlichen Neuauflage der Großen Koalition, eher nach einer großen Abrechnung. Er lastet der Regierung einen "unverschämten" Umgang mit dem Parlament an, sie habe "Informationen zurückgehalten" und "Nebelkerzen gezündet". Das Krisenmanagement der Kanzlerin umschreibt er mit dem "Merkel'schen Gesetz": Je bestimmter sie etwas ausschließe, desto sicherer werde es hinterher realisiert.

Die Kanzlerin ist sich ihrer Sache sicher

Die Stimmen der Sozialdemokraten für Merkels Rettungspolitik, so Steinmeier, seien dem europäischen Projekt geschuldet, das "auf der Kippe" stehe. Er will die Unterstützung nicht missverstanden wissen. Es werde schließlich nicht über die Regierung abgestimmt - eine Regierung, die "schon gescheitert" sei.

Die Kanzlerin scheint das alles nicht zu bekümmern. Sie lauscht den Mängelrügen des SPD-Mannes ohne erkennbares Missvergnügen, plaudert derweil mit ihrem Nebensitzer, dem liberalen Vizekanzler Philipp Rösler, der ansonsten an diesem Tag keine Rolle spielt. Merkel ist sich ihrer Sache offenbar sehr sicher - obwohl sie weiß, dass noch "ein mühevoller Weg" vor ihr liegt und die Euromisere nicht mit einem "Paukenschlag" zu beenden sei. Der mühevolle Weg wird zunächst in Brüssel und demnächst auch wieder im deutschen Parlament fortzusetzen sein. Anders als ihr Fraktionschef Volker Kauder deutet Merkel an, dass sie erwägt, die Details des Rettungskonzepts erneut vom Plenum des Bundestags billigen zu lassen.