Schlechte Zukunftsaussichten für Baden-Württemberg Land braucht digitale Nachhilfe

Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut kritisiert: „Baden-Württemberg tickt nicht digital“. Die Manager von Daimler und Porsche sehen außerdem große Lücken bei Infrastruktur und Bildung.
Stuttgart - Baden-Württemberg ist für die Herausforderungen durch die Digitalisierung nur unzureichend gerüstet. Zu diesem Schluss kommen bei einem Interview mit unserer Zeitung aus unterschiedlichen Gründen Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Daimler-Personalchef Wilfried Porth und Porsche-Vertriebsvorstand Detlev von Platen. Alle drei sitzen im Vorstand des Transformationsrats, den die Ministerin gegründet hat, um die Folgen des Umbruchs in der Autoindustrie abzumildern.
„Wir müssen feststellen, dass Deutschland und auch Baden-Württemberg nicht wirklich digital ticken“, sagt Nicole Hoffmeister-Kraut. „Wenn wir uns den Zukunftstechnologien gegenüber nicht stärker öffnen, laufen wir Gefahr, dass wir wichtige Entwicklungen verpassen und gegenüber den USA oder Asien zurückfallen.“ Sie kritisiert, dass die Wirtschaft zu wenig dagegen unternehme, dass die großen IT-Konzerne aus den USA im globalen Kampf um Talente die besten Mitarbeiter aus Baden-Württemberg abwerben. Zu viele junge Köpfe würden von den IT-Unternehmen aus den USA für horrende Summen abgeworben, um deren Wissen abzuschöpfen, so Hoffmeister-Kraut: „Um das zu verhindern, sind auch die Unternehmen gefordert, die permanent daran arbeiten müssen, als Arbeitgeber attraktiv zu sein.“
„5G ist kein Wunsch, sondern ein Muss“
Die Auto-Manager fordern hingegen ein stärkes Engagement beim Ausbau der digitalen Infrastruktur: „Es ist schön, dass in Stuttgart irgendwann mal jeder schnelles Internet hat“, sagt Daimler-Personalchef Porth. „Aber wenn das bis 2030 dauert, wonach es jetzt aussieht, ist das schlicht viel zu spät für die Wirtschaft.“ Ganz entscheidend sei die flächendeckende Abdeckung mit dem neuesten Mobilfunkstandard. „5G ist kein Wunsch, 5G ist ein Muss“, ergänzt Detlev von Platen, der Vertriebsvorstand bei Porsche. „Vor allem, wenn das autonome Fahren Wirklichkeit werden soll.“
Damit Baden-Württemberg bei den Geschäftsmodellen der Zukunft nicht den Anschluss verliert, will die Autoindustrie ein Bündnis für Bildung ins Leben rufen: Das Problem sei, dass das pädagogische Personal in vielen Kindergärten, Schulen und Berufsschulen heute selbst nicht mit der Digitalisierung groß geworden sei, stellt Wilfried Porth fest. „Wir wollen diesen Menschen Bildungsangebote machen, die sie dazu befähigen, Themen wie Softwarekompetenz, den Umgang mit neuen Technologien und das Wissen um neue Berufe und Geschäftsmodelle viel früher in die Bildungskette einfließen zu lassen“, so der Manager.
Bündnis für Bildung ist mehr als nur Hardware-Ausrüstung
Bei dem Bildungsbündnis soll pädagogisches Personal direkt bei den Firmen aus dem Land lernen: „In keinem Bundesland gibt es eine höhere Dichte an Weltmarktführern als in Baden-Württemberg“, so Porth. „Jeder von ihnen hat die Kompetenz, solche Bildungsangebote zu machen. Wir denken da an Patenschaften zwischen einzelnen Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Verbänden“, sagt der Daimler-Manager.
Das Bündnis für Bildung sei jedoch mehr als nur eine Ausrüstungsinitiative mit Technik: „Es wäre relativ leicht, überall Laptops und Tablets zu verteilen“, meint Porth. „Aber damit ist es eben nicht getan. Es geht weniger um die Hardware als um die Frage, was man damit machen kann – außer darauf rumzudaddeln.“
Der Transformationsrat arbeitet seit 2017 und hat nun ein Positionspapier erarbeitet, das der Vorstand im Interview mit unserer Zeitung erstmals vorstellt.
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