Wer piepst, hat nichts zu melden. Natürlich ist auch der Inhalt wichtig, aber wie ein Mensch spricht, bestimmt die Wirkung des Gesagten. Und das lässt sich üben.

Man stelle sich ein Treffen der Europäischen Zentralbank vor, auf dem Präsidentin Christine Lagarde mit piepsiger, aufgeregter Stimme für die Erhöhung des Leitzinses argumentieren würde. Vermutlich wäre Europas Preisstabilität endgültig verloren.

 

Und das läge dann nicht nur an Spekulanten, Kriegen und Pandemien, sondern auch an Lagardes Klangfarbe, die zum Glück im wahren Leben tief und vertrauenerweckend ist. Ja, Kompetenz und Optik sind wichtig, aber eben auch unsere Stimme.

Diese wird vererbt, genau wie Statur, Haarwuchs oder Augenfarbe. „Jede Stimme hat eine individuelle mittlere Stimmlage, so wie eine Körpergröße oder eine Schuhgröße“, erklärt Anne Kühl, Autorin („Deine Stimme – deine Power“) und Sprechtrainerin.

„Die Stimme“, erklärt Kühl, „ist definiert durch die Anatomie: die Länge der Stimmbänder und der Luftröhre, die Größe des Kehlkopfes und des Nasen- und Rachenraumes. So hat man entweder eine tiefe oder hohe Stimme. Allerdings sprechen viele Menschen über ihrer individuellen Stimmlage. Durch Spannungen wird die Stimme nämlich höher.“

Das muss man jedoch nicht zwangsläufig hinnehmen, sondern kann es verändern durch Atemübungen und Bewegung. Wer stets mit krummem Rücken am Schreibtisch sitzt, dessen Stimme wird sich verändern, wenn er das Büro gegen die Natur oder einen Tanzsaal eintauscht.

Mehr mit dem Zwerchfell, tiefer in den Bauch hinein

Wer körperlich aktiv ist, atmet nämlich besser. Auch das Singen kann Wunder wirken. Hier ist ebenfalls die richtige Atmung ausschlaggebend, so Kühl: „Das ist wie Sport. Wenn man trainiert, sieht man Erfolge. Man kann sich neue Atemmuster angewöhnen, indem man mehr mit dem Zwerchfell und tiefer in den Bauch atmet.“

Dennoch geht es bei der Stimme nicht nur um laut oder leise, hoch oder tief. Wer gelegentlich Menschen mit monotoner Sprechweise längere Zeit zuhören muss, weiß, dass dies die Wirkung einer Schlaftablette haben kann. Denn die Energie einer Stimme ist mindestens so entscheidend wie die Klangfarbe, wenn es darum geht, Begeisterung, Sympathie oder Mitgefühl zu erzeugen.

Ob man eine Stimme schön findet, ist aber auch Geschmackssache. Die eine liebt Herbert Grönemeyers Töne, die andere kriegt davon Ausschlag. Der eine rockt bei Gianna Nannini mit, der andere sucht rasch das Weite.

„Markante Stimmen sind Erkennungszeichen und Persönlichkeit“, erklärt Gerrit Winter, Autor des Buches „Sei eine Stimme, nicht nur ein Echo“ und Kommunikationscoach. „Nicht jeder singt wie Whitney Houston, aber jeder kann irgendwie singen und versuchen, die beste Version seiner selbst zu werden. Außenministerin Annalena Baerbock beispielsweise hat keine brillante Rednerstimme, aber trotzdem hält sie die bedeutsamsten Reden. Wichtig ist, dass wir mit unseren Stimmen berühren.“

Schöne Stimme? Eine Frage der Mode

Das kann je nach Epoche unterschiedlich sein, denn Mode gibt es nicht nur bei Klamotten, sondern auch bei Stimmen. Blicken wir zurück in die 30er bis 60er Jahre, dann klangen Filmheldinnen wie Marilyn Monroe hoch und aufgeregt. Damals galt das als erotisch.

Auch die Herren sprachen in hohem Tone, dazu nasal und mit rollendem „R“ und wollten so besonders schneidig wirken. „Die hohen Stimmen setzten sich an der Front besser durch, man konnte sie auf weite Entfernung besser hören“, erklärt Kühl den Trend von einst. Heute würden Befehle in militärisch-schriller Tonlage allenfalls noch zur Persiflage taugen. Die tiefen und ruhigen Stimmen sind jetzt in.

Kommunikationstrainer Gerrit Winter sagt über die Tonlage: „Wenn wir den gleichen Satz in verschiedenen Stimmungen und Betonungen sprechen, erzeugen wir unterschiedliche Reaktionen. Ein Satz hat eine andere Botschaft, wenn ich ihn begeistert statt genervt sage.“

Die Tonlage drückt nämlich häufig viel mehr aus als Inhalte, und so kann die Stimme gar Einblick in die Seele geben. Sie ist mitnichten nur etwas Physisches, sondern hat auch enorm viel mit unserer Psyche zu tun. Die Stimme depressiver Menschen ist meist brüchig, die fröhlicher Menschen klingt fest. Wer auf die Frage „Wie geht es dir?“ mit einem gequälten „Gut“ antwortet, der zeigt durch die Stimmenergie, dass etwas nicht stimmt.

Auch bei Kindern nimmt man sofort deutlich wahr, ob sie schlecht gelaunt, aufgeregt oder traurig sind. Erwachsenenstimmen dagegen sind oftmals nur noch eine Art Echo, glaubt Gerrit Winter. „Viele Menschen verlieren ihre Stimme oder passen sie den gesellschaftlichen Normen und dem Umfeld an. In der Bahn reden wir ja anders als zu Hause. Und bei manchen Menschen ist immer eine Art Bahn um sie herum, selbst wenn sie zu Hause sind, dort aber nicht so reden, wie sie es brauchen, oder nicht das sagen, was sie wollen. Das lässt viele leise werden.“ Oder gar verstummen.

Frauen hatten leise zu sein

Ein „Sei mal leise!“ ist also fatal für das Selbstwertgefühl, und dennoch sind viele Menschen genau so erzogen worden. Vor allem Frauen im Deutschland der 50er und 60er Jahre wurde kaum Gehör verliehen. Zu unwichtig war ihre Meinung in einer männlich dominierten Welt. Während das weibliche Geschlecht aber hierzulande inzwischen lauter werden darf, wird es in Ländern wie dem Iran, Saudi-Arabien oder Pakistan leise gehalten.

Die Stimme hat also auch immer etwas mit Mündigkeit, Mut und Freiheit zu tun, und fiese Partner, cholerische Chefs, zu strenge Eltern, falsche Freunde oder übermäßiger Konsum zweifelhafter Medien können sie beeinflussen.

„Die innere Stimme und die hörbare Stimme sind miteinander verbunden“, sagt Winter. „Je lauter die innere Stimme ist, desto größer ist der Wunsch nach Selbstbestimmung und danach, gehört zu werden. Sich selbst zuzuhören, ist also die Kunst.“

Die Stimme

Zusammenspiel
Die Stimme ist kein Ding, kein Organ. Sie ist erst dann existent, wenn wir Töne erzeugen, und dafür müssen verschiedene Muskeln und Körperteile zusammenarbeiten.

Luft erzeugt Schwingungen
Im Hals sitzt der Kehlkopf, der aus Knorpeln, Muskeln und den Stimmbändern besteht. Soll ein Ton aus dem Mund kommen, so werden die Stimmbänder angespannt. Die Stimmritze, die zwischen den beiden Stimmbändern sitzt, verengt sich. Kommt nun Luft aus der Lunge, werden die gespannten Stimmbänder in Schwingung versetzt, ähnlich wie bei den Saiten einer Geige, und ein Ton entsteht.