Das hätte Bundeskanzler Olaf Scholz sich wohl nie träumen lassen: Die Jusos bestellen Führung bei ihm. Kann Scholz die Haushaltskrise lösen?

Korrespondenten: Tobias Peter (pet)

Es ist eine falsche Sicht, dass Olaf Scholz kein Gefühl für die SPD hätte. Dass er nicht wüsste, was die Genossen hören wollen. Er sagt es ihnen nur nicht oft. Das war beim Parteitag am Wochenende in Berlin anders.

 

Dort streichelte der sonst so nüchterne Scholz der Partei mit einer emotionalen Rede die Seele. Er hat dabei zur Haushaltskrise einen Satz gesagt, der sich als rote Linie auslegen lässt. „Es wird in einer solchen Situation keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben“, rief Scholz den Delegierten im Saal zu. Kritik an der geplanten Erhöhung des Bürgergelds wies er zurück.

Der SPD-Parteitag erinnerte an eine Familienfeier, bei der vorher viele Angst hatten, es könne hässlicher Streit ausbrechen. Bei der sich aber gerade deshalb alle einen Ruck geben, harmonisch zu feiern.

Der Parteitag sucht nicht mal ein Ventil

Als Kanzler ist Scholz angeschlagen, seit das Verfassungsgericht die Umwidmung von Corona-Krediten für den Klimaschutz gekippt hat. Er verhandelt seit Wochen mit Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) über einen neuen Haushalt. Die Umfragewerte des Kanzlers und auch der SPD sind dabei tief gefallen. Und das in einer Zeit, in der in der SPD ohnehin viele frustriert darüber sind, dass der Kanzler im Regierungsalltag ständig Rücksicht auf die FDP nehmen muss.

Auch wenn der Rückhalt für Scholz zuletzt gebröckelt ist, hat sich der Parteitag noch nicht mal ein Ventil gesucht. Scholz hat dazu mit seiner frei gehaltenen Rede seinen Beitrag geleistet. Doch bereits vor seinem Auftritt hatten die Delegierten die Parteiführung mit starken Wiederwahlergebnissen ausgestattet. Während viel über den Sieg bei der Bundestagswahl gesprochen wurde, der durch echte Geschlossenheit zusammengekommen sei, machte Generalsekretär Kevin Kühnert aber auch klar: Es liegt harte Arbeit vor der SPD, wenn sie wieder aus dem Loch herauskommen will.

Inhaltlich arbeiteten die Delegierten ihr Programm diszipliniert und ohne größere Störgeräusche ab. Die SPD machte sich für eine Reform der Schuldenbremse stark. Sie beschloss, mindestens perspektivisch Reiche stärker an den Krisenkosten beteiligen zu wollen und sie will mehr Investitionen in Bildung.

Die Partei definierte – als Abschluss eines längeren Prozesses – ihre Russland-Politik neu. Im Wahlprogramm von 2021 stand noch: „Frieden in Europa kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben.“ Nun heißt es: „Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen.“

Der Elefant im Raum

Selbst die Debatte über die Asylpolitik verlief ohne Blessuren für den Kanzler. Mit seinem Ruf nach mehr und schnelleren Abschiebungen hatte er in den vergangenen Monaten Jusos und einen Teil der Parteilinken gegen sich aufgebracht. Doch Generalsekretär Kühnert hatte vor dem Parteitag in mühevoller Kleinarbeit einen Antrag zusammengebastelt, mit dem die meisten gut leben können. Die Jusos fielen mit ihren verbliebenen Anträgen durch.

Auf dem Parteitag ist nichts beschlossen worden, was Scholz die Regierungsarbeit erschwert. Dennoch blieb für alle spürbar die Unsicherheit, ob Scholz sich insbesondere mit Finanzminister Lindner beim Haushalt 2024 einigen kann: etwa, indem der FDP-Chef mit Blick auf den Krieg in der Ukraine doch noch mal ein Aussetzen der Schuldenbremse zuließe. Den Elefanten im Raum – nämlich die Frage, in welchem Bereich der Kanzler eigentlich zu sparen bereit ist – sprach Scholz jedenfalls gar nicht erst an.

„Wer aus der Defensive will, muss Angriff spielen“, verlangte Juso-Chef Philipp Türmer vom Kanzler. „Du bist der Chef der Regierung, nicht der Paartherapeut von Robert und Christian.“ Türmer forderte von Scholz, er solle den Haushaltsstreit lösen. Im Sinne der SPD. „Olaf, du hast mal gesagt: Wer Führung bestellt, der soll sie bekommen“, rief Türmer. „Hiermit bestelle ich sie“, sagte er. Dass er diese Sätze mal von einem Juso-Chef hören würde, hätte Scholz wohl nie gedacht.