Der Autozulieferer ZF und die Stadt Friedrichshafen sind einander entfremdet wie nie. Zu den Kritikern des Oberbürgermeisters Andreas Brand gehören auch zwei Amtsvorgänger. Fragt sich, wie lange das Land Baden-Württemberg tatenlos zusieht.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Friedrichshafen - Wenn die ZF AG ihre Ehemaligen zur Rentnerweihnachtsfeier lädt, bricht traditionell Nachmittagsfreude aus: Kaffee und Kuchen auf Kosten des Konzerns, Blumengestecke, Akkordeonmusik und festliche Reden von Belegschafts- und Firmenvertretern, das war’s in der Regel. Dieses Jahr ist alles anders. Die Tischgespräche im Graf-Zeppelin-Haus werden von nur einem Thema beherrscht: Was passiert mit ZF, nachdem der Vorstandsvorsitzende Stefan Sommer den Machtkampf mit dem Oberbürgermeister Brand verlor? Der eilig eingesetzte Übergangschef Konstantin Sauer verspricht den Senioren vom Rednerpult immerhin, die Betriebsrenten seien sicher.

 

Langfristig sichere Renten, wieso eigentlich? „Wie es im Autobau weitergeht weiß keiner, auch nicht bei BMW oder Mercedes“, sagt draußen an der Garderobe Helmut Straub. Er ist 78, war früher im Elektronikservice von ZF beschäftigt. Über das Sommer-Drama sagt er: „Ich fand’s enttäuschend, dass er gegangen wurde. Das war ein Mann mit Visionen.“ Auch Birgit Wachter, 65, ist beunruhigt. 30 Jahre lang arbeitete sie als technische Zeichnerin. „Wir können nicht im Alten verharren. Sonst besteht die Firma nicht“, betont sie.

Scharfe Kommentare

Beschäftige, deren Altersbezüge weit in der Zukunft liegen, werden noch erheblich deutlicher. Zum Beispiel auf der Facebook-Seite „Rund um ZF und TRW“. Den US-Konkurrenten TRW schluckte ZF im Jahr 2014 für 9,5 Milliarden Dollar. Innerhalb des geschlossenen Forums stehen Hunderte teilweise bitter-ironische Kommentare. Kostprobe eines Foristen: „Gut, dass man die ZF-Rente abgeschlossen hat, mit viel Glück ist nach Abzug ins Sparschwein von Andi dann noch was übrig. Sofern es die ZF noch gibt, hab immerhin noch 25 Jahre. Wobei der Kundendienst könnte an Oldtimer-Fans noch Getriebe ausliefern.“

Der Andi, damit ist der Oberbürgermeister Andreas Brand gemeint, und sein Sparschwein ist die Ferdinand gGmbH, in die er so viel Dividende leiten will, bis die Zielmarke von einer Milliarde Euro erreicht ist. 18 Prozent des Jahresgewinns müssen die Stiftungsunternehmen ZF und Zeppelin GmbH dafür zukünftig abführen.

Die erhöhte Dividende fehlt im Geschäft

Die ums Dreifache erhöhte Ausschüttung bewegt bei der Weihnachtsfeier auch Rolf Scheibenstock, 73. Der frühere ZF-Controller glaubt: „Die 18 Prozent fehlen irgendwo im Geschäft.“ Wie der OB Brand den CEO Sommer demontierte, gefällt ihm auch nicht. „Das Dilemma hätte man anders lösen müssen.“

Es ist nötig, der gescheiterten Schicksalsgemeinschaft zwischen dem eher schweigsamen Brand und dem unermüdlichen Verhandler Sommer noch einmal nachzuspüren. Die speziellen Friedrichshafener Verhältnisse sind schließlich ein bestimmendes Element der Zukunft. Der Neue, heißt es aus Managementkreisen spitz, benötige wohl nicht nur Internationalität, profunde Kenntnisse im Automotive-Geschäft und Change-Prozessen, sondern auch mehr „Geschmeidigkeit“ im Umgang mit den Kommunalen im Rathaus.

Das bisherige Klima war offenbar verheerend. Eine Szene vom September 2014: Aus den USA kam gerade die Nachricht vom TRW-Deal, da lud der OB Brand Lokaljournalisten zum Pressegespräch ins Rathaus. Mehrere verdutzte Beobachter sahen beim Hereinkommen, wie Stefan Sommer im Flur hektisch gestikulierend auf den Oberbürgermeister einredete. Als die Pressekonferenz begann, war Sommer wieder verschwunden, Brand äußerte nur noch wenige dürre Sätze zur Übernahme. Die spätere Schlussfolgerung der Geladenen: Sommer hatte von der Pressekonferenz erfahren und war ins Rathaus gestürmt, um Brand davon abzuhalten, Informationen preiszugeben, die in den USA börsenrelevant waren.

Automatismus im Stiftungsrat

Jeder gewählte Friedrichshafener Oberbürgermeister ist per Automatismus zugleich der Vorsitzende der Zeppelin-Stiftung. Ihr gehören mehrheitlich die Stiftungsunternehmen. Nutznießerin der Industriestiftung ist – in dieser Form bundesweit einmalig – die Stadt; sie kann damit auch über die Dividenden verfügen und die Gelder für gemeinnützige eigene Zwecke ausgeben. Im Stiftungsrat sitzen neben dem Oberbürgermeister die Vorsitzenden der Friedrichshafener Gemeinderatsfraktionen sowie der Stadtkämmerer als offizieller Stiftungsverwalter – insgesamt sieben Personen. Die Stiftungsaufsicht hat, über das Regierungspräsidium Tübingen, das Land Baden-Württemberg.

Da sind schöne Doppelpässe möglich. Zum illustren Kreis der volksnahen Industrielenker im Stiftungsrat gehört beispielsweise Eberhard „Eppo“ Ortlieb, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, Ehrenmitglied und langjähriger Präsident des Vereins zur Pflege des Volkstums Friedrichshafen e. V. und Ehrenzunftmeister der Narrenzunft Seegockel. Ortlieb ist außerdem Verwaltungsangestellter der ZF AG, seine berufliche Existenz also direkt mit von ihm mitverantworteten politischen Entscheidungen verknüpft. Anderswo würde so was womöglich als Befangenheit gedeutet. In Friedrichshafen freut man sich stattdessen über so viel interne Expertise. Der OB Brand ist selber Freier Wähler.

Zwei Welten driften auseinander

Wenig verwunderlich, dass der Gemeinderat der 60 000-Einwohner-Stadt stets zur festen Burg mutiert, wenn es um den Geldsegen aus der ZF geht. Auch Ende November wieder, als sich bundesweit Staunen und Kritik über Brands Dividendencoup regte. CDU, Freie Wähler, SPD, Grüne, ÖDP und FDP stellten sich öffentlich „aus voller Überzeugung“ hinter den Rathauschef. Für den parteilosen Brand eine inzwischen selten gewordene Streicheleinheit. Er gilt innerhalb der Landespolitik als kaum vernetzt. Die Entlassung Stefan Sommers „bedaure ich“, sagte kürzlich die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU).

In Friedrichshafen, das wird immer deutlicher, bewegen sich zwei Welten weiter und weiter auseinander. Bei ZF-Vorstandssitzungen, sagt ein Insider, herrsche von Risikobereitschaft geprägte, angriffige Stimmung. Da brenne der Ehrgeiz, den Rivalen Continental oder Bosch Anteile abzujagen. Im Rathaus dagegen sitzen die „ängstlichen Häfler“, deren Lebenswirklichkeit ganz anders ist, die sich externen Expertisen gegenüber schwertun und denen die Zeppelin-Stiftung ein „Gottesgeschenk“ ist. So sagt es Josef Büchelmeier (SPD), von 2001 bis 2009 Oberbürgermeister von Friedrichshafen.

Büchelmeier sagt auch, Brand habe nach Amtsantritt nie den Erfahrungsaustausch mit ihm gesucht. Die krachende Trennung vom Aufsichtsratschef Giorgio Behr und Sommer habe ihn kalt erwischt. „Ich bin entsetzt, wie man mit so guten Leuten so umgehen kann.“ Im kleinen Kreis äußert sich, wie allenthalben zu hören ist, auch der Alt-OB und frühere baden-württembergische Wirtschaftsminister Martin Herzog (CDU) kritisch. Auf offizielle Anfrage teilt Herzog vielsagend mit, er wolle „kein weiteres Öl ins Feuer gießen“. Die ZF-Mitarbeiter hätten aber „zu Recht gefordert, das Unternehmen so schnell wie möglich wieder in ruhigeres Fahrwasser zu steuern“.

Die Eigenschaften des Neuen

Eine große integrative Figur an der ZF-Spitze, Autoexperte und Menschenkenner zugleich, müsste den Riss, der durch Friedrichshafen geht, kitten, verlautet verschiedentlich aus dem Konzern. Ein solcher Neuer sei aber wohl nur zu kriegen, wenn vorher die Grundsätze der Unternehmensführung und die Grenzen kommunaler Einflussnahme klar formuliert würden. Im Augenblick, glaubt der Alt-OB Büchelmeier, „kann es kaum gelingen, dass ZF die Führungsperson bekommt, die das Unternehmen angesichts der Turbulenzen braucht“. Nach seiner Ansicht muss sich die Stiftung „mit ihren Strukturen anpassen“. Wenn der Gemeinderat nicht dauerhaft externen Sachverstand beiziehe, bestehe die Gefahr, dass irgendwann das Land Baden-Württemberg handle.

Was zum Beispiel auch im Sinn von Rentner Gottfried Bartsch, 67, wäre, der bei der ZF in Brandenburg arbeitete. Dass ein „einfacher Bürgermeister“ derartige Macht besitzt, habe er nie richtig verstanden. „Ich finde, er soll sich um seine Stadt kümmern.“ Sagt’s und verlässt diese gar nicht ruhige Rentnerweihnachtsfeier im Jahr 2017.