Der Deutsche Mieterbund Baden-Württemberg hat die frohe Botschaft der baden-württembergischen Landesregierung, dass die Zahl der Sozialwohnungen 2022 erstmals seit fünf Jahren wieder leicht gestiegen sei, zustimmend zur Kenntnis genommen. Der Vorsitzende Rolf Gaßmann sagte, er begrüße es, wenn dank der Erhöhung der Bundes-und Landesmittel der Bestand tatsächlich um 2167 auf 52 287 Wohnungen gestiegen wäre. Allerdings hält er die Rechnung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Wohnungsministerin Nicole Razavi (CDU) für schwer nachvollziehbar.
Die „Blaue Broschüre 2022“ – der Bericht zur Wohnraumförderung des Landeswohnungsbauministeriums – weise deutlich niedrigere Zahlen aus. Eine Trendwende will Gaßmann angesichts eines Rückgangs um 7000 Wohnungen seit 2015 deshalb nicht sehen. Dass noch in der letzten Legislaturperiode unter Grün/Schwarz beim sozialen Wohnungsbau viel zu wenig erreicht worden sei, zeige der vom Pestel-Institut kürzlich veröffentlichte Ländervergleich: Baden-Württemberg nehme bei der Schaffung von Sozialwohnungen in den Jahren von 2017 bis 2021 unter den 17 Bundesländern nur Platz 14 ein.
Zu Gaßmanns Verweis auf die im Koalitionsvertrag der Ampelregierung geforderten 100 000 Sozialwohnungen im Jahr (für Baden-Württemberg mindestens 14 000) sagt ein Ministeriumssprecher, das sei illusorisch. Allerdings hatte die CDU im Bund erklärt, diese Zahl sei noch zu niedrig. Der Sprecher verwies auf die Expertise des Prognos-Instituts. Demnach sind jährlich rund 1500 „neue“ sozialgebundene Wohneinheiten nötig, um den Rückgang zu stoppen.
Welche Zahlen liefert das Land?
Nach Angaben der landeseigenen L-Bank wurden in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr insgesamt 2167 Sozialwohnungen neu geschaffen (399 im Bestand, 1768 neu errichtet). Das sind mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2018 (1041) und auch deutlich mehr als 2021 (1956). Im Gegenzug fielen im vergangenen Jahr 1431 Sozialwohnungen aus der Belegungsbindung. Unterm Strich erhöhte sich damit binnen eines Jahres der Bestand an Sozialwohnungen um 736 Wohnungen, und zwar von 51 551 (Ende 2021) auf nunmehr 52 287 (Ende 2022).
Was steht in der „Blauen Broschüre“?
Dort ist für das Jahr 2021 ein viel niedriger Bestand von Sozialwohnungen vermeldet, nämlich nur 49 595. Darauf hat der Mieterbund hingewiesen. Er addierte diesen Wert mit den gemeldeten zusätzlichen 736 Einheiten und kam Ende Dezember 2022 auf einen Bestand von 50 331 Wohnungen. Der vom Ministerium genannte Bestand von 52 287 Wohnungen fällt folglich laut Gaßmann um fast 2000 Einheiten zu hoch aus. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass der in der Broschüre für Ende 2022 avisierte Bestand sogar nur 48 164 Wohnungen beträgt.
Wie ist das zu erklären?
Das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnungen fordert regelmäßig die rund 1100 Städte und Gemeinden im Land auf, ihre Wohnungskarteien auszuwerten, die Auskunft geben über den Bestand an vom Land geförderten und sozial gebundenen Wohnraum. Gegenstand der jüngsten Erhebung war der Bestand zum 31. Dezember 2020 und die Entwicklung bis 2030. Es handele sich aber nicht um Prognosen, steht in der „Blauen Broschüre“, denn das Auslaufen von Bindungsfristen ist schließlich bekannt und künftige und bereits beantragte Förderungen bleiben außen vor. Verwirrung hat nun ausgelöst, dass der Mieterbund die alten Zahlen (ohne Neubauten) aus der Broschüre verwendet hat, das Ministerium seine aber aus einem fortgeschriebenen Zahlenwerk (mit Neubauten) bezieht.
Gibt es nun eine Trendwende?
Ja und Nein. Es stimmt, dass die Zahl der Sozialwohnungen im vergangenen Jahr erstmals seit fünf Jahren nicht mehr gesunken, sondern leicht gestiegen ist. Darauf nehmen zwei Faktoren maßgeblich Einfluss – der Neubau und der Wegfall von Bindungsfristen. Der Neubau hat sich bereits seit 2018 erhöht. Allerdings von einem sehr niedrigen Niveau kommend (1041 Einheiten) hat er sich sogar mehr als verdoppelt (2167). Der Anstieg von 2021 auf 2022 fällt wegen höheren Ausgangsbasis mit einem Plus von 10,8 Prozent jedoch deutlich niedriger aus als in den Jahren zuvor. Ebenso wichtig ist der Wegfall von Bindungsfristen: 2018 bis 2020 waren es jährlich rund 2800, 2021 sogar 4498, die zum Großteil (3400) auf den Verkauf der LBBW-Wohnungen durch SPD-Finanzminister Nils Schmid zurückzuführen waren. Im vergangenen Jahr waren es nur 1431, weshalb man mit einem Saldo von „nur“ 736 Einheiten insgesamt auf ein Plus von 1,4 Prozent kam. In den Jahren zuvor verlor man dagegen unterm Strich bis zu 2500 Sozialwohnungen jährlich.
Wie sieht es in Stuttgart aus?
Ende 2020 wies der Regierungsbezirk Stuttgart laut „Blauer Broschüre“ rund 20 000 Sozialwohnungen aus. Die Zahl würde sich ohne Neubau bis Ende 2030 um rund 5000 Einheiten reduzieren. Die Landeshauptstadt meldete 8137 Wohnungen, bis Ende 2030 würden etwa 6000 übrig bleiben. Im vergangenen Jahr wurden 222 Sozialmietwohnungen bezogen, 117 davon hat die städtische SWSG gebaut. In diesem Jahr sollen es insgesamt 300 Einheiten sein. In der Notfallkartei des Wohnungsamts warten derzeit allerdings rund 5000 Haushalte auf eine geeignete Sozialwohnung.