Ein Zufall, eine Gruppenleistung, nur ein paar Wochen Arbeit – und ein Physik-Nobelpreis. Peter Higgs redete seine Leistung gerne klein. Nun ist er im Alter von 94 Jahren gestorben.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Am 8. Oktober 2013 wurde Peter Higgs für seine Erforschung des Higgs-Mechanismus zusammen mit François Englert der Nobelpreis für Physik zuerkannt. „The God Particle“ – das Gottes-Teilchen – nannte der amerikanische Physik-Nobelpreisträger Leon Ledermann jene geheimnisvollen Teilchen, die sein Kollege Higgs im Jahr 1964 erstmals beschrieben hatte.

 

Jetzt ist der „Vater“ des Higgs-Teilchens im Alter von 94 Jahren gestorben.

2012: Nachweis des Higgs-Teilchens beim Cern

Im Jahr 2012 konnten die Physiker am Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire – so der französische Name für Cern – erstmals experimentell die Existenz eines der winzigsten, bis dahin nur theoretisch bekannten Partikel der Welt nachweisen: das Higgs-Boson, auch Higgs-Teilchen genannt.

29 Elementarteilchen kennt das seit 50 Jahren gültige Standardmodell der Physik. Mit ihm erklären die Forscher, wie der Kosmos entstanden ist, was ihn im Innersten zusammenhält und welche Kräfte in ihm wirken.

Dieser winzige Baustein, das Higgs-Boson, ist eine Antwort auf die Fragen, die sich Physiker seit Jahrhunderten stellen: Warum hat Materie überhaupt eine Masse? Was macht Blei, Eisen oder Kupfer so schwer und andere Stoffe wie Luft dagegen so leicht? Das Higgs-Teilchen ist dafür verantwortlich, dass Atome, Planeten oder Menschen ihr Gewicht erhalten.

Der Large Hadron Collider (LHC) ist der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger der Welt. Herzstück der Anlage ist der Ringbeschleuniger (sogenannter Synchrotron) in einem 26,7 Kilometer langen unterirdischen Ringtunnel, in dem Protonen oder Blei-Kerne gegenläufig auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und zur Kollision gebracht werden. Foto: Imago/Zuma Wire Images

„Vater“ des Higgs-Teilchens mit 94 Jahren gestorben

Hätte Peter Higgs seine Karriere als Forscher heute erst begonnen, vielleicht wäre nicht viel aus ihm geworden. Das glaubte der Brite jedenfalls selbst. Er sei für heutige Maßstäbe nicht produktiv genug, sagte er der britischen Zeitung „The Guardian“, nachdem ihm Physik-Nobelpreis zuerkannt worden war.

Der britische Physiker Peter Higgs steht neben einer Figur von Albert Einstein vor einer Wand mit dem Schriftzug der Formel der Relativitätstheorie, E=mc‘, im Wissenschaftsmuseum im spanischen Barcelona. Foto: Toni Albir/EFE/dpa

Er selbst wollte gar nicht so genannt werden. Sein Name sei eher zufällig mit dem Higgs-Teilchen verbunden worden, sagte er mitten im Nobelpreis-Rummel. Es sei doch eine Gruppenleistung gewesen. Unabhängig voneinander waren er und Englert auf die Theorie gekommen.

„Ich bekomme den Preis für etwas, für das ich 1964 zwei oder drei Wochen gebraucht habe. Das war nur ein sehr kleiner Teil meines Lebens“, sagte Higgs. Seine Idee damals: So wie Gravitation Dingen ihr Gewicht verleiht, geben Urteilchen ihnen ihre Masse. Ein Gedanke, der den Physiker Jahrzehnte später weltberühmt machen sollte.

Theorie kam Higgs beim Wandern

Angeblich beim Wandern in den schottischen Highlands kam Higgs als junger Forscher an der Universität Edinburgh auf diese Theorie, die fast ein halbes Jahrhundert keiner beweisen konnte. Der Durchbruch gelang schließlich am Kernforschungszentrum Cern in der Schweiz. Viele meinten, auch die Forschungseinrichtung hätte dafür den Physik-Nobelpreis verdient, doch Organisationen werden damit nicht geehrt.

Beim Cern geht es um wahrhaft Elementares: Die Wissenschaftler wollen mit Hilfe der physikalischen Crash-Tests Elementarteilchen und Materiezustände untersuchen. Ausgangspunkt ist dabei das gegenwärtigen Standardmodells der Teilchenphysik.

Dieses hochkomplexe mathematische Modell fasst die zentralen Erkenntnisse der Teilchenphysik zusammen und beschreibt alle bekannten Elementarteilchen und Wechselwirkungen zwischen ihnen. So will man neue Antworten auf offene Fragen finden.

Ohne Higgs-Teilchen keine Masse im Universum

Peter Higgs bei der Verleihung des Physik-Nobelpreises durch de schwedischen König Carl XVI Gustaf am 10. Dezember 2013 in Stockholm. Foto: Imago/TT

Als Forscher die Entdeckung des Higgs-Teilchens am 4. Juli 2012 in Genf verkündeten, saß der Namensgeber mit im Publikum. Es war eine Sternstunde der Physik. Doch was machte den Beweis seines Teilchens so spektakulär?

Mit seiner Theorie lieferte Higgs die Antwort auf eine wichtige Frage über das Universum: Was verleiht allen existierenden Dingen ihre Form und Größe? Oder anders herum gesagt: Ohne Higgs-Teilchen gibt es keine Masse im Universum.

Atheist Higgs war gegen Begriff „Gottesteilchen“

Ein Verleger bezeichnete das Higgs-Boson deshalb auch etwas reißerisch als „Gottesteilchen“. Das gefiel weder dem atheistischen Namensgeber noch anderen Teilchenforschern.

Trotzdem: Das „Gottesteilchen“ ist, ähnlich wie die Relativitätstheorie Albert Einsteins, vielen Menschen ein Begriff. Es war der letzte unbekannte Baustein im Standardmodell der Teilchenphysik und löste das Dilemma, das viele Theoretiker hatten: Die Elementarteilchen in ihrem Modell hatten keine Masse.

Peter Higgs steht am 11. Oktober 2013 in der Library der Edinburgh University im britischen Edinburgh. Foto: Imago/Xinhua

Der Sirup und das Higgs-Feld

Der Higgs-Mechanismus funktioniert wie eine Art Sirup, der an Elementarteilchen klebt, sie abbremst und ihnen so Masse verleiht. Das Higgs-Feld, der Sirup, zeigt sich über das Higgs-Teilchen.

Gemessen an der Aufmerksamkeit, die von dem Moment der Entdeckung an auf ihn einprasselte, war Higgs so etwas wie ein Physik-Popstar. Der Wissenschaftler bezeichnete das Rampenlicht teilweise als Plage. Je älter er wurde, desto weniger Interviews gab er. Stattdessen wollte der zweifache Vater mehr Zeit mit seiner Familie verbringen.

Der Trubel war Higgs zu groß

Die Liste der wissenschaftlichen Preise und Ehrentitel, mit denen der Forscher ausgezeichnet wurde, ist lang. Die Ernennung zum „Sir“ lehnte er jedoch 1999 dankend ab. Es sei zu früh dafür gewesen, sagte er später der BBC und sowieso wolle er einen solchen Titel nicht.

Peter Higgs war stets ein bescheidener Mann. An seinem Popstar-Status änderte das bis zum Ende seines Lebens nichts: Als er bereits über 80 Jahre alt war, bekam die Universität Edinburgh einem Sprecher zufolge noch immer massenhaft Anfragen nicht nur für Interviews, sondern auch für Vorträge, die er immer seltener annahm.

Mit 85, hatte Higgs einmal gesagt, wolle er endgültig in Rente gehen. Wirklich einhalten konnte er diesen Vorsatz aber nicht. Die ein oder andere Einladung nahm der berühmte Physiker trotzdem an. Denn das Interesse an seiner Person blieb bis zum Schluss ungebrochen.