Der Regierungschef Winfried Kretschmann überrascht die Opposition mit einer klaren Ansage zum Referendum und erntet donnernden Applaus.
Stuttgart - Verkehrte Welt im Landtag. Der grüne Ministerpräsident spricht, und die Opposition tobt - jedoch nicht aus Empörung, sondern vor lauter Begeisterung über Winfried Kretschmann. Nur die Grünen-Fraktion sitzt etwas bedröppelt da; nur sehr vereinzelt raffen sich Abgeordnete zu einem kurzen, verhaltenen Klatschen auf. Selbst den SPD-Abgeordneten ist die Überraschung ins Gesicht geschrieben.
Was war geschehen? Kretschmann hatte sich im Landtag erstmals zur Projektförderpflicht des Landes bekannt und gesagt: "Wenn das Kündigungsgesetz scheitert, dann hat die Bahn das Baurecht und wird in diesem Fall weiterbauen, und wir werden das auch durchsetzen." Bis zu dieser Aussage war der Regierungschef mit seiner Rede bei der Opposition auf eine Wand des Widerwillens gestoßen. Nun aber rauscht ihm von Seiten der CDU und FDP donnernder Applaus entgegen.
Die beiden Fraktionsvorsitzenden Peter Hauk und Hans-Ulrich Rülke zollen Kretschmann ausdrücklich Respekt. Der ist natürlich vergiftet. Den beiden geht es vor allem darum, Kretschmanns Aussage mit ihrem Lob jene Bedeutung zu verleihen, die sie ihrer Meinung auch verdient. Das spürt auch der Regierungschef: "Wenn man einen so frenetischen Applaus von der Opposition bekommt, muss man sich fragen, ob man vielleicht etwas falsch gemacht hat", merkt er ironisch an.
Ein Tag der Bekenntnisse
Es ist ein Tag der Bekenntnisse im Landtag. Kretschmann bekennt sich zum Weiterbau von Stuttgart 21, sollte das Kündigungsgesetz bei der Volksabstimmung am kommenden Sonntag scheitern - sei es nun, dass es eine Mehrheit gegen den Ausstieg gibt, sei es, dass die Mehrheit für die Kündigung erreicht, das Zustimmungsquorum von 33 Prozent aber verfehlt wird.
CDU und FDP versprechen daraufhin ihrerseits, eine Niederlage bei der Volksabstimmung zu akzeptieren - was ihnen angesichts der hohen Hürde des Quorums leichter fallen dürfte als den Grünen im Falle ihres Scheiterns. CDU-Fraktionschef Hauk setzt noch eins drauf und bekennt sich zu "mehr Bürgerbeteiligung in der Zukunft". Hauk sagt: "Wir werden uns am Ende der Absenkung des Quorums nicht verwehren." Diese Position der CDU hatte sich bereits angedeutet, musste aber auch einmal so gesagt werden.
Einer aber sitzt einsam auf seinem Ministersessel und bleibt stumm: Verkehrsminister Winfried Herrmann von den Grünen. Er hatte erst am Dienstag wieder einen neuen Stresstest, diesmal für den Kopfbahnhof 21 gefordert. Für diese Forderung bleibt nach dem Auftritt des Ministerpräsidenten im Landtag kein Platz mehr, vorausgesetzt, das Kündigungsgesetz scheitert.
Ein Grundwiderspruch bleibt
Der CDU-Fraktionschef wirft Hermann vor, den Konflikt um den Tiefbahnhof immer noch anzuheizen. Und er hält ihm auch eine gezielte Fehlinformation vor. Stuttgart 21 kannibalisiere keinesfalls andere Verkehrsprojekte im Land. "Der Ausbau der Gäubahn und der Südbahn sterben nicht durch Stuttgart 21, sondern sie sterben ohne Stuttgart 21." Wie es der Zufall so will, hat Bahnchef Rüdiger Grube erst in diesen Tagen verkündet, dass dieser Tunnel auf der Rheintalstrecke doch gebaut wird.
Der SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel sagt, in diesem Jahr investiere die Bahn 850 Millionen Euro in die Schieneninfrastruktur im Südwesten, im kommenden Jahr würden es mehr als eine Milliarde Euro sein. Angesichts dessen könne man nicht von Kannibalisierung sprechen. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Edith Sitzmann widerspricht. "Es ist nicht wahr, dass Stuttgart 21 nicht auf Kosten anderer Projekte geht."
Ein Grundwiderspruch aber bleibt. Die Landesregierung, in dieser Frage einig, will über die vereinbarte Kostengrenze von 4,5 Milliarden Euro kein weiteres Geld in Stuttgart 21 stecken. CDU und FDP aber, ihrerseits einig mit Bahnchef Grube, verweisen auf die Sprechklausel in der Finanzierungsvereinbarung, derzufolge bei Mehrkosten die Bahn, das Land und die Stadt Stuttgart Gespräche aufzunehmen hätten. Grube verweist auf zwei unabhängige Gutachten, die eine Mitfinanzierungspflicht des Landes bestätigten. SPD-Fraktionchef Schmiedel sagt, er freue sich, "dass dies die letzte Debatte um Stuttgart 21 im Landtag ist". Wenn er sich da nur mal nicht täusche, schallt es aus den Oppositionsreihen zurück. Dazu lässt sich nur so viel sagen: Es war die letzte vor der Volksabstimmung.