Die Initiative „Omas gegen rechts“ wurde 2018 von der Nagolderin Anna Ohnweiler gegründet. Die Gründerin berichtet von derzeit starkem Mitgliederzuwachs, Anfeindungen – und einer Morddrohung im Briefkasten.

Baden-Württemberg: Florian Dürr (fid)

Um 4 Uhr in der Früh sei sie heute aufgestanden, erzählt Anna Ohnweiler, während sie den heißen Kaffee eingießt und anschließend auf die Butterbrezeln, die Fasnetsküchle und die Schokokugeln aufmerksam macht. Die 73-Jährige hat an alles gedacht, hier in ihrer Wohnung in Nagold zwischen Gäu und Schwarzwald ist es irgendwie: wie bei Oma! Doch allein für diese herzliche Geste hätte sie nicht so früh aus dem Bett müssen, nein, Anna Ohnweiler ist derzeit einfach eine gefragte Frau.

 

Denn bei der aktuellen Protestwelle gegen Rechtsextremismus, bei der Hunderttausende Menschen in Deutschland auf die Straße gehen, wird die Nagolderin immer wieder gebraucht: als Organisatorin, als Rednerin, als Oma. Die Frau mit rumänischen Wurzeln ist der Grund, warum es die Omas gegen rechts nach dem österreichischen Vorbild überhaupt in Deutschland gibt: Im Jahr 2018 hat Ohnweiler, selbst Großmutter von drei Enkeln, die Initiative gegründet, ein Jahr später den gleichnamigen Verein – bei selbst gebackenem Apfelkuchen in der Essecke ihrer Wohnung.

Anna Ohnweiler, Gründerin der Omas gegen rechts in Deutschland Foto: Florian Dürr

Angefangen hat alles mit einem Tweet eines Rechtsextremen: „Wenn man schon zu alt ist, um für die Gesellschaft noch nützlich zu sein und vor lauter Emanzipation nicht einmal Stricken gelernt hat, würde sich seine Oma schämen“, zitierte der „Spiegel“ einen Anhänger der Identitären Bewegung, der die Omas gegen rechts in Österreich anprangerte. Anna Ohnweiler war schockiert, als sie das Zitat in dem Nachrichtenmagazin las, fühlte sich an die NS-Zeit erinnert – auch wenn sie die selbst nicht miterlebt hat. Ohnweiler wurde 1950 in Rumänien geboren, kam 1979 nach Deutschland, die 73-Jährige hat den deutschen Pass, hier ist ihre Heimat. Und die will sie mit den anderen Omas gegen Feinde der Demokratie verteidigen.

Gerade jetzt, nachdem das Recherchenetzwerk Correctiv ein Treffen von Rechtsextremen in Potsdam unter anderem mit AfD-Politikern sowie deren dort besprochenen „Remigrations“-Pläne öffentlich gemacht hat. „Omas gegen rechts“ – diese drei Worte sind bei den jüngsten Demonstrationen immer wieder auf Plakaten, Transparenten oder Warnwesten zu lesen.

Die Gründerin hat die Initiative als CDU-Mitglied ins Leben gerufen

„Die Omas“, wie auch Ohnweiler ihre Mitstreiterinnen nennt, betreiben sogar ihren eigenen Onlineshop, in dem man sich mit allem Möglichen eindecken kann, um sich solidarisch mit der Bewegung zu zeigen: vom bedruckten Regenschirm mit dem Namen der Initiative bis zum Button mit der Aufschrift „Opas gegen rechts“. Denn Männer seien selbstverständlich auch willkommen, ebenso Frauen ohne Enkel oder junge Menschen, die die Werte der Initiative teilen. Für Omas gegen rechts muss man also keine Großmutter sein, die drei Worte seien eine Haltung – unabhängig von Geschlecht oder Alter, betont die 73-Jährige. Der Name aber bleibt, denn der erregt die nötige Aufmerksamkeit. „Wir beziehen sie alle mit ein – von CDU/CSU über die FDP, die SPD, die Freien Wähler und die Linke“, sagt Ohnweiler. Die AfD sei ausgeschlossen – versteht sich. Ohnweiler selbst hat die Initiative als CDU-Mitglied gegründet, mittlerweile sitzt sie für die SPD im Nagolder Gemeinderat.

Die Omas kommen bei den Mitgliedsanfragen kaum hinterher

Seit der Gründung der Omas gegen rechts vor sechs Jahren, am Holocaust-Gedenktag am 27. Januar, haben sich der Initiative um die 30 000 Menschen angeschlossen – an rund 100 Standorten in Deutschland. Die einzelnen Gruppen vor Ort in den Städten seien „autark“, erklärt sie: „Wir wollen keine Hierarchie aufbauen, wir vernetzen uns nur, und als Vorstand unterstützen wir.“ Etwa alle zwei Monate spreche man sich mit den Mitstreiterinnen aus den anderen Teilen Deutschlands per Videokonferenz ab. Derzeit erfahre auch der 2019 gegründete und gleichnamige Verein großen Zulauf: „Wir kommen gerade kaum hinterher, die Mitgliedsanfragen zu bearbeiten“, erzählt Ohnweiler und zeigt die vielen ungelesenen Mails auf ihrem Smartphone. Zwölf Euro Mitgliedsbeitrag verlangen sie, ein Euro pro Monat, am Geld soll das Engagement gegen rechts nicht scheitern. Auch bei den Regionalgruppen kommen immer wieder neue hinzu, kürzlich haben sich Omas in Herrenberg zusammengetan.

Die aktuellen Proteste haben auch die Omas wieder ein Stück bekannter gemacht. Schließlich kommt der Initiative im Kampf gegen Rechtsextremismus und die AfD eine Art Vorreiterrolle zu: Seit Jahren warnen Ohnweiler und Co. vor der rechtspopulistischen Partei.

Die Bewegung hat sogar ein Buch veröffentlicht, in dem sie sich am Parteiprogramm der AfD vor der Bundestagswahl 2021 abarbeiten: Darin ist zu jeder Forderung der Partei eine Erklärung sowie in grüner Farbe die Position der Initiative abgedruckt. „Eine Argumentationshilfe“ nennt Ohnweiler das Werk.

Ohnweiler kritisiert die Ampelregierung und Bundeskanzler Olaf Scholz

Mittlerweile fordern die Omas gegen rechts auch ein Verbot der AfD. Denn die Partei habe sich im Laufe der Zeit zu einer völkisch-nationalen entwickelt. „Und wenn man auf den Parteitagen die Reden hört, dann ist das rechtsextrem“, sagt Ohnweiler und fordert die Wählerinnen und Wähler auf, das AfD-Parteiprogramm aufmerksam zu lesen und die Partei „nicht blauäugig aus Protest“ zu wählen.

Die Omas gegen rechts haben ein Buch veröffentlicht, in dem sie sich am Parteiprogramm der AfD vor der Bundestagswahl 2021 abarbeiten. Foto: Florian Dürr

Die anderen Parteien nimmt sie aber ebenfalls in die Pflicht, allen voran die Ampelkoalition aus SPD, Grüne und FDP: „Die Regierung muss sich am Riemen reißen, es dringt zu viel Streit an die Öffentlichkeit“, bemängelt Ohnweiler. Und auch an ihrer eigenen Partei und Bundeskanzler Olaf Scholz übt sie Kritik: „Er bleibt immer so vage, wenn er was sagt: ‚Niemand wird alleingelassen‘ – was soll das heißen?“ Sie wünscht sich für die SPD wieder charismatische Politiker – solche, wie es die ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt (1969 bis 1974) oder Helmut Schmidt (1974 bis 1982) gewesen seien.

Lange Zeit ist sie im Dunkeln nicht mehr rausgegangen

Mit ihrer politischen Überzeugung hat Ohnweiler einige Freunde nach und nach aus den Augen verloren, die „rote Anna“ nannten sie manche. Harmlos im Vergleich zu dem, was die 73-jährige Nagolderin sonst berichtet:Immer wieder würden die Omas gegen rechts bundesweit Opfer von Anfeindungen.

Am Telefon meldet sich Ohnweiler nicht mit ihrem Namen, weil zuletzt vermehrt Menschen anrufen und sie beleidigt hätten. Einmal habe sie eine konkrete Morddrohung in ihrem Briefkasten vorgefunden und zur Anzeige gebracht. Das Verfahren sei eingestellt, der Verfasser nie ermittelt worden. „Ich bin lange Zeit im Dunkeln nicht mehr aus dem Haus gegangen“, sagt sie. Einschüchtern lässt sie sich offenbar ebenso wenig wie die anderen Omas gegen rechts, die stets Präsenz bei den Demonstrationen zeigen. Anna Ohnweiler hat bereits eine weitere für Ende Februar in Nagold angemeldet. Mit 3000 Menschen rechnet sie, vermutlich werden es mehr. 48 Stunden musste Ohnweiler nach der Anmeldung warten, bis sie für die Veranstaltung werben und Mails an Vereine, Fraktionen im Gemeinderat und andere Mitstreiter versenden durfte.

Um 4 Uhr war die Frist abgelaufen – und Anna Ohnweiler konnte loslegen. Ihr Wunsch mit Blick auf die Wahlen: „Ich hoffe, dass die Leute aufwachen.“