Der Fraktionschef Bernd Gögel verteidigt die Teilnahme von AfD-Politikern an den Demonstrationen in Chemnitz und ruft gleichzeitig zu verbaler Abrüstung auf – auch bei Parteifreunden.

Stuttgart - Zeigen die politischen Auseinandersetzungen nach der tödlichen Messerstecherei in Chemnitz erneut, dass die AfD mit rechtsextremistischen Kräften paktiert? Der AfD-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag widerspricht.

 

Herr Gögel, der Bundespräsident hat seine tiefe Betroffenheit über die Tötung in Chemnitz geäußert und gleichzeitig scharf verurteilt, dass „die Erschütterung über diese Gewalttat missbraucht wurde, um Ausländerhass und Gewalt auf die Straßen der Stadt“ zu tragen. Schließen Sie sich dieser Bewertung an?

Dem kann ich mich teilweise anschließen. Ich verurteile jede Form von Gewalt. Wenn ein Tötungsdelikt wie in Chemnitz passiert, sich dann Hooligans und Rechtsextremisten zusammenrotten und zu Gewalt aufrufen, ist das klar zu verurteilen.

Warum sagen Sie dann, Sie würden Frank-Walter Steinmeier nur „teilweise“ zustimmen?

Nicht von ihm, aber von Frau Merkel wurde für das, was am Sonntagabend passiert ist, das Wort „Hetzjagd“ benutzt. Mir liegt bis heute nur ein wackeliges Video vor, auf dem ein Mann hinter anderen Menschen her rennt und rumbrüllt. Was da zu sehen ist, ist nicht zu akzeptieren. Aber mehr als das ist bisher nicht dokumentiert, deshalb sollten wir mit solchen Beschreibungen wie „Hetzjagd“ vorsichtig sein. Das heizt die ohnehin aufgeladene Stimmung in unserem Land nur weiter an.

Der baden-württembergische AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier hat im Zusammenhang mit genau diesen Protesten getwittert, es sei „Bürgerpflicht, die todbringende ‚Messermigration‘ zu stoppen“. Ist das nicht ein offener Aufruf zu Hetzjagden und Selbstjustiz?

Das ist es nicht, auch wenn ich es persönlich anders formulieren würde. Es geht darum, die illegale Zuwanderung zu stoppen und den öffentlichen Raum so zu schützen, dass keine Leute mit Messern und anderen Waffen durch die Gegend laufen.

Vom Begriff „Messermigration“, der in AfD-Kreisen immer wieder im Zusammenhang mit Flüchtlingen benutzt wird, distanzieren Sie sich?

Natürlich. Mit solchen Pauschalvorwürfen sollten wir nicht agieren. Wir alle sollten mehr auf unsere Sprache achtgeben und nicht zu einer weiteren Polarisierung beitragen. Wir sind nicht mehr weit weg von einer gewaltsamen Auseinandersetzung auf der Straße. Alle sind aufgerufen, alles zu tun, solch eine Zuspitzung zu verhindern.

Die AfD ist in Chemnitz bei den Demos Seit an Seit mit rechtsextremistischen Gruppierungen auf der Straße gewesen. Die baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Räpple und Hans Peter Stauch waren dabei. Wird das für Ihre Fraktionskollegen Konsequenzen haben?

Sie haben an diesen Demonstrationen nicht im Auftrag der Fraktion teilgenommen, sondern als Bürger. Man kann sie auch nicht dafür verantwortlich machen, wenn sich andere in einem Demonstrationszug daneben benehmen – bei Gewerkschaftsdemos laufen auch immer wieder Linksextremisten mit.

Betreiben Sie hier nicht wieder das bekannte Spiel: die AfD provoziert und nimmt sprachliche und politische Grenzverletzungen in Kauf, um anschließend zu sagen: war doch gar nicht so gemeint - aus dem Kalkül heraus, damit Zustimmung zu gewinnen?

Die guten Umfragewerte der AfD erklären sich doch nicht durch manche sprachlichen Zuspitzungen oder Grenzübertretungen. Sie zeigen vielmehr, dass sehr viele Menschen in diesem Land mit der Politik der Altparteien unzufrieden sind. Hören Sie bitte auf, diese Menschen pauschal in die rechtsradikale Ecke zu stellen. Der Anteil von Zugewanderten an schweren Gewalttaten ist hoch. Wer davor die Augen verschließt, wie es viele Politiker und Medien tun, versündigt sich.

Die SPD-Landesvorsitzende Breymaier fordert, die AfD-Abgeordneten in Baden-Württemberg vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Fürchten Sie eine solche Beobachtung?

Weder ich noch meine Fraktion fürchten eine solche Beobachtung. Wer den Verfassungsschutz auf die AfD ansetzt und ihn damit politisch missbraucht, unterhöhlt das letzte Vertrauen vieler Menschen in den Staat.

Nach der Sommerpause müssen Sie sich mit Fraktionsmitgliedern befassen, die durch unflätige Bemerkungen aufgefallen sind. Der AfD-Abgeordnete Räpple hatte Politikerkollegen als „fettgefressen“, kaputtgesoffen“ und „Koksnasen“ bezeichnet. Hat so etwas in ihrer Fraktion Konsequenzen?

Ich schäme mich für solch eine Ausdrucksweise und werde das Herrn Räpple in unserer Fraktionsklausur kommende Woche auch persönlich sagen.

In wenigen Tagen ist im Landtag die Hälfte der Legislaturperiode um. Bisher ist die AfD stark durch interne Querelen aufgefallen. Wird sich das in der zweiten Hälfte ändern, die Sie als Fraktionschef bestreiten wollen?

Zunächst einmal hoffe ich, dass wir 20 AfD-Abgeordnete bleiben. Ich würde es aber auch nicht als Katastrophe betrachten, wenn es am Ende nur 19 oder 18 wären. In meiner Bewerbung zur Wiederwahl werde ich für einen bürgerlich-konservativ-patriotischen Kurs der AfD plädieren. Wer da nicht mitgehen möchte oder kann, den werde ich sicher nicht mit Gewalt halten.

Sie spüren Widerstand gegen Ihren Kurs?

Ja natürlich, das Kräfteverhältnis, das wir in der Gesamtpartei haben, bildet auch die Fraktion ab. 70 bis 80 Prozent der Mitglieder denken vernünftig und patriotisch. Ich hoffe, dass diese Kräfte mit der Zeit noch stärker werden. Ich habe bis heute nicht verstanden, was Einzelne in unserer Partei meinen, wenn sie von einer „Systemwende“ sprechen. Ich setze darauf, dass sich das auswächst.

Sie skizzieren eine Partei, die nicht nur opponieren, sondern auch regieren will?

Ja, das sollte unser Ziel sein. Allerdings bin ich mir klar darüber, dass das nicht heute oder morgen in die Tat umzusetzen sein wird. Schon deshalb nicht, weil es keinen konservativen Koalitionspartner für uns gibt. Die CDU unter Angela Merkel ist zu einer Mitte-links-Partei geworden, mit der wir nicht zusammenarbeiten können. Aber auch die AfD im Landtag ist derzeit noch nicht regierungsfähig. Wir brauchen mehr Ruhe, Gelassenheit und Erfahrung.