Sie sind auf der Suche nach Dachflächen. Warum gibt es noch keine Solaranlage auf dem Dach des Gazi-Stadions?
Rau: Wir könnten auf dem Gazi-Stadion im Rahmen unseres Pachtmodells sofort tätig werden. Dazu sind wir in intensiven Abstimmungen mit dem Eigentümer, der Landeshauptstadt. Mit dem VfB Stuttgart haben wir auf dem Nachwuchsleistungszentrum des Vereins ein solches Modell bereits erfolgreich realisiert.
Der Aufsichtsrat der Stadtwerke hat die Marschrichtung ausgegeben: Weg von der Windkraft. Wie war das in Graz?
Kieser: Die Steiermark, wo ich die letzten sieben Jahre Vorstand der Energie Steiermark AG war, ist sehr ländlich. Das ist mit unserer jetzigen Situation nicht vergleichbar. In Stuttgart wollen wir deutlich machen, dass die Energiewende kein Investitionsprojekt für reiche Menschen ist, die Geld anlegen wollen, sondern dass es im Kern darum geht, „ein Stück weit die Welt zu retten“. Nichts anderes steht doch hinter allen weltweiten Anstrengungen, unsere Ressourcen zu schonen, den Ausstoß von Kohlendioxid drastisch zu reduzieren und letztlich das Klima zu schützen.
Kann man sich aus der Windkraft verabschieden, wenn man die Welt retten will?
Kieser: Im alten Modell der Energieversorger wurden riesige Kraftwerke dort gebaut, wo es Kühlwasser gibt. Zur Verteilung der Energie benötigte man dann aufwendige Netze. Dieses alte Modell wirkt bis heute nach, wenn über politische Fehlanreize riesige Windenergieanlagen im Meer errichtet werden, ohne dass es dafür an Land genügend Übertragungsnetze gibt. Zukunft geht anders: Wer Energie erzeugt, verbraucht sie am besten selbst und am besten vor Ort. Das ist Energiewende. Der Trend zur dezentralen Erzeugung und zum dezentralen Verbrauch wird durch sinkende Kosten für die Speicherung der Energie unterstützt. Die Elektromobilität wird einen Schub nicht zuletzt dadurch bekommen, weil sie überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien nutzen kann.
Leider geben die Autos den Strom nicht mehr her, wenn sie ihn mal haben.
Kieser: Noch ist das so. Aber der logische Mosaikstein für die Erneuerbaren Energien ist die Elektromobilität. Wer zu Hause seine eigene Photovoltaikanlage mit Speicher hat, muss im Grunde nie wieder extern und gegen Bezahlung tanken. Das ist doch fantastisch.
Wollen Sie jetzt künftig Autos verkaufen?
Kieser: Das ist nicht unser Geschäftsmodell, aber wir könnten in naher Zukunft Paketangebote für E-Mobility machen mit Leasing-Lösungen, auch für Fuhrparks. Wir haben nicht ohne Grund eine neue Stelle im Bereich die E-Mobilität ausgeschrieben.
Ist die Aussage, Energie dort zu erzeugen, wo sie verbraucht wird, nun ein Plädoyer für oder gegen Windkraft?
Kieser: Sie ist ein Plädoyer dafür, die Netzproblematik zu reduzieren. Windkraft kommt bei der Wirtschaftlichkeit hinter der Wasserkraft, aber noch vor der Fotovoltaik. Mit geeigneten Standorten kann man Windkraft wirtschaftlich vernünftig darstellen. Ein Problem habe ich mit den Offshore-Standorten, die hoch gefördert werden, bei denen es aber gravierende Probleme wegen der nötigen Netze gibt.
Der Schwenk des Aufsichtsrats heißt doch, dass Sie sich nun mit Klein-Klein beschäftigen sollen. Mit einem Windrad können sie tausende Haushalte versorgen – als Kompensation brauchen sie zigtausende Dächer.
Rau: Die Stadtwerke betreiben derzeit 31 Windenergieanlagen bundesweit. Damit können wir rechnerisch 70 000 Haushalte mit Ökostrom versorgen. Die Windenergie ist im Übrigen nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch ein wichtiges Standbein für uns. Wer die Energiewende in Stuttgart will – und das tun wir – muss sich allerdings breiter aufstellen.
Trotzdem investieren Sie noch in Windenergie, zum Beispiel in Plüderhausen.
Rau: Wir wären in der Lage, in den nächsten zwei Jahren noch bis zu 50 Millionen Euro in Windparks zu investieren. Damit könnten weitere 15 000 bis 20 000 Haushalte versorgt werden. Immer vorausgesetzt, dass wir dafür geeignete Projekte finden. Unabhängig davon wollen wir in den nächsten acht Jahren für die Energiewende in Stuttgart bis zu 100 Millionen Euro investieren. Das heißt: Kraft-Wärme-Koppelung, Fotovoltaik, Nahwärmenetze, E-Mobilität, und, und.
Was erwarten Sie von der neuen Landesregierung? Es soll ein Solarprogramm für 50 000 Dächer aufgelegt werden.
Kieser: Die neue Grün-Schwarze Koalition im Land wird uns, wie die Landeshauptstadt, bei der Energiewende unterstützen. Auch unsere Kunden bewerten die Energiewende sehr positiv; viele wollen da auch aktiv mitmachen.
Rau: Ich meine, die Energiewende ist jetzt in den Köpfen angekommen. Mit ihrer Wahlentscheidung haben die Bürger im Land zwei werteorientierte Parteien an die Regierung gebracht, die die Energiewende glaubwürdig umsetzen wollen. Ob sich das materiell auf die Stadtwerke auswirkt, muss man sehen.
Wenn Sie ihn begeistern wollen, dann muss für den Schwaben finanziell aber was rausspringen.
Rau: Natürlich kommt da was raus. Ich habe schon vor zehn Jahren, lange vor Gründung der Stadtwerke, eine Photovoltaikanlage auf meinem Dach installieren lassen.
Ihretwegen ist der Strom also so teuer.
Rau: : Für die Regelungen des alten Erneuerbare-Energien-Gesetzes kann ich nichts. Die Rahmenbedingungen sind heute andere, aber sie sind doch nach wie vor attraktiv: Stichwort „Eigenverbrauch“. Wer seinen Strom kostenlos vom eigenen Dach holt, spart etwa 30 Prozent seiner Stromkosten. Wer zusätzlich einen E-Smart mit Sonnenstrom lädt, spart 50 bis 60 Prozent. Und fährt obendrein für rund drei Euro 100 Kilometer weit. Mit einem Stromspeicher der Stadtwerke lässt sich der lukrative Eigenverbrauch sogar mehr als verdoppeln.
Sie, Herr Kieser, waren im früheren Leben bei der EnBW, mit der Sie nun in der Netzgesellschaft zusammenarbeiten, gegen die Sie aber auch klagen. Profitieren Sie von Ihrer EnBW-Zeit.
Kieser: Vorneweg, die EnBW von 2016 ist nicht die, die ich 2009 bei meinem Wechsel nach Graz verlassen habe. Zur Sache: bei der neuen Netzgesellschaft arbeiten wir konstruktiv zusammen. Das Thema Hochspannung und Hochdruck ist in der Tat noch strittig, aber Rechtsstreitigkeiten gibt es auch zwischen befreundeten Firmen immer wieder. In allen anderen Feldern der Energiewirtschaft sind die Stadtwerke Stuttgart und die EnBW Konkurrenten im sportlichen Wettbewerb um die Kunden.