Im Fall des früheren SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy hat nicht nur der zurückgetretene Minister Hans-Peter Friedrich versagt, meint StZ-Politikchef Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - „Wir sind fassungslos.“ In diesen kurzen Satz kleidete der Hannoveraner Staatsanwalt Jörg Fröhlich, mit einer kleinen Ermittlergruppe zuständig für die Causa Sebastian Edathy, seine Erlebnisse mit diesem Fall. Die Staatsanwälte sind mit ihrer Fassungslosigkeit nicht allein, sie greift um sich. Je mehr Details des Vorgangs öffentlich werden, desto undurchsichtiger, zweifelhafter wird er. Was zunächst nach einer eng begrenzten Ermittlung gegen einen Bundestagsabgeordneten aussah, hat sich inzwischen zu einer veritablen Staatsaffäre entwickelt.

 

In den Mittelpunkt dieser Affäre ist der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gerückt, der nun auch nicht mehr Agrarminister ist. Die schon vorher als unglücklich bis missraten geltende Amtsführung Friedrichs im Innenressort darf jetzt als skandalös bezeichnet werden. Friedrich hat im Oktober vorigen Jahres Informationen über den Verdacht gegen Edathy an den SPD-Chef Sigmar Gabriel weitergegeben. Das Motiv dürfte klar sein: Auf dem Weg zur großen Koalition wollte der CSU-Mann seinen künftigen politischen Partner vor einer Beförderung Edathys auf einen einflussreichen Posten bewahren. Das mag politisch nachvollziehbar sein, aber es war falsch und mit einiger Wahrscheinlichkeit rechtswidrig.

Die Demission des Ex-Innenministers war notwendig

Friedrich hat gegen die Verschwiegenheitspflicht verstoßen. Er hat dazu beigetragen, dass der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy in den Führungskreisen seiner Partei und Fraktion in Verruf geriet, noch ehe eine Staatsanwaltschaft oder gar ein Gericht die Vorwürfe auf ihren Gehalt prüfen konnte. Und der Ex-Innenminister stand möglicherweise am Beginn einer Informationskaskade, die am Ende bis zu Edathy selbst reichte. Dieser war gewarnt und hätte viel Zeit gehabt, Videos und Fotos zu beseitigen. Allein die Möglichkeit, dass Friedrich als oberster Hüter der Sicherheit die Aufklärung einer Straftat vereitelt haben könnte, machte seinen Rücktritt notwendig. Es bedurfte der Kanzlerin, ihrem Minister dies klar zu machen.

Aber nicht nur Friedrich hat herumgequatscht, unzählige andere waren ebenfalls frühzeitig über den Edathy-Verdacht unterrichtet und erzählten ihr Wissen weiter – vermutlich immer mit dem getuschelten Hinweis, man solle diese Informationen doch bitte vertraulich behandeln. Die Frage, ob sie wirklich nur im Rahmen ihrer Dienstobliegenheiten berichtet haben, richtet sich an den Chef des Bundeskriminalamtes wie an viele andere im Staatsapparat. Ebenso eindringlich sind jedoch Führungskräfte der SPD zu befragen, was sie zum Herumtratschen bewegt hat. Sigmar Gabriel, inzwischen Vizekanzler, hat auch nicht den Mund gehalten. Über Frank-Walter Steinmeier, Thomas Oppermann und Christine Lambrecht lief die stille Post weiter bis tief hinein in die SPD-Bundestagsfraktion. Wo endete sie? Beim Beschuldigten?

Was ist Edathy: Täter? Opfer?

Sebastian Edathy wusste nachweislich im November, dass etwas gegen ihn im Busche war. Ob er tatsächlich Beweismaterial vernichtet hat, ist dagegen nicht eindeutig belegt. Er kann von dem Getratsche profitiert haben. Ob die von ihm vermutlich angeschauten Bilder, die unbekleidete Jungs zeigen sollen, die Grenze zur Kinderpornografie überschreiten, ist juristisch nicht eindeutig – vielleicht endet das Verfahren sogar mit einem Freispruch. Aber gestraft ist der sozialdemokratische Politiker bereits. Die Durchstecherei hat dazu geführt, dass er seit Monaten politisch erledigt war – ohne es vielleicht selbst schon zu wissen. Ein Info-Leck sorgte dafür, dass Fotoreporter bei der staatsanwaltlichen Durchsuchung dabei waren. Spätestens ab diesem Moment war er öffentlich abgeurteilt.

Es ist nicht mehr klar zu fassen, was Edathy in dieser Affäre ist: Täter? Opfer? Im Moment spricht einiges dafür, dass er beides gleichzeitig ist.