Die CDU in Baden-Württemberg ist auf der Suche nach einem Spitzenkandidaten für die Landtagswahl – und tut sich damit schwer. Doch auch bei den anderen Parteien sieht es nicht besser aus, meint der StZ-Redakteur Reiner Ruf.

Stuttgart - Ein knappes Jahrzehnt nach der für die Südwest-CDU schmerzhaften Mitgliederbefragung zur Nachfolge des damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel macht sich die Partei erneut daran, ihren Spitzenkandidaten mittels eines Basisentscheids zu ermitteln. Das Vorhaben birgt Chancen, signalisieren die Christdemokraten doch: „Wir sind wieder da.“ Eine Kandidatenkür, mag sie auch nicht frei von Streit und Intrigen bleiben, zieht immer Aufmerksamkeit auf sich. Das ist für eine Oppositionspartei schon einmal ein Wert an sich. Aufgrund der zuletzt guten Umfrage- und Wahlergebnisse kann sich die CDU auf der landespolitischen Bühne als Mitspieler inszenieren, dem die Rückkehr an die Macht zuzutrauen ist.

 

Freilich gibt es auch Risiken. Das zeigen nicht nur die Erfahrungen, welche die Partei einst in der Schlammschlacht zwischen Annette Schavan und Günther Oettinger sammelte. Unverkennbar ist auch die Asymmetrie zwischen den fast 46 Prozent, welche die Landes-CDU bei der Bundestagswahl erreichte, und dem, was sie an Programmen und Personen zu bieten hat.

Vorbehalte gegenüber Strobl

Allein schon die Aussicht auf ein Mitgliedervotum schärft den Blick aufs Personal. Dieses lässt indes selbst bei den Christdemokraten keine Euphorie aufkommen. Landeschef Thomas Strobl sieht sich mit der Frage konfrontiert, wie er es denn schaffte, so gegensätzlichen Chefs wie Günther Oettinger und Stefan Mappus als Generalsekretär zu dienen. Da schwingt der Vorwurf des Opportunismus mit. Zudem schlägt Strobl aus der Landtagsfraktion der Vorhalt entgegen, sein Glück nur deshalb im Land zu suchen, weil er bei der Regierungsbildung in Berlin kein Ministeramt einheimste.

Landtagspräsident Guido Wolf wiederum hält schöne, wenn auch arg gedrechselte Reden, musste aber als Landespolitiker noch nie durchs Feuer gehen. Das Wort vom „dichtenden Parlamentspräsidenten“, mit dem er belegt wird, wirkt sympathisch, vermittelt aber eher Poesie denn politische Gravitas. Und Peter Hauk, der Weggefährte Oettingers, wurde als Chef der Landtagsfraktion von den alten Mappus-Leuten so unter Stress gesetzt, dass er einen taktischen Fehler nach dem anderen beging – wie der verkorkste Umgang mit dem Thema Nationalpark erhellt.

Überhaupt die Inhalte: die Südwest-CDU taumelt zwischen Erneuerung und Festhalten an alten Reflexen. Weder Partei noch Fraktion verfügen über ein konsistentes Schulkonzept. Gerade ist man dabei, die Realschule gegen die Gemeinschaftsschule auszuspielen. Die Hauptschüler fallen wieder einmal hinten runter. Man hängt sich an den Protest gegen das Thema sexuelle Vielfalt in den Bildungsplänen, aber dass über diese Sache im Unterricht gesprochen wird, sei schon wichtig. Ja, was denn nun?

Hoffen auf die Fehler der Regierung

Die CDU-Strategen erkennen diese programmatische Unentschiedenheit, sie ist ihnen aber egal. Sie vertrauen auf die Wahlkämpferweisheit, die da sagt: Keine Opposition wird wegen ihrer Programme an die Macht gewählt, vielmehr werden Regierungen ob ihrer Fehler abgestraft. Schon jetzt erkennt Parteichef Strobl im Wirken von Grün-Rot allerorten nur Chaos.

Diese Rhetorik verfehlt einen Ministerpräsidenten, der wie Winfried Kretschmann biedermeierliche Bürgerlichkeit mit einer Politik verbindet, die durchaus Reformimpulse aussendet. Keines der Ergebnisse ist in Gold gerahmt, aber die überragende Stellung eines jeden Ministerpräsidenten in der Landespolitik gibt Kretschmann Halt. Ein Ministerpräsident ist die Quelle aller Gnaden, der Spender aller guten Gaben. So wird er wahrgenommen. Dass Grün-Rot jedoch ebenfalls nicht aus dem Vollen schöpft, lässt sich daraus ableiten, dass hinter Kretschmann niemand sichtbar wird, der ihn mit der Aussicht auf ein vergleichbares Ansehen dereinst beerben könnte. In dieser Mangelerfahrung sind sich CDU und Grün-Rot nahe.