Hätte ich doch bloß! Was wäre, wenn? Warum bin ich so? Zu viel, ja krankhaftes, Grübeln belastet Betroffene - und es scheint kaum unter Kontrolle zu kriegen. Doch das geht, erklären Experten.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Hoffentlich verliere ich meinen Job nicht! Warum bin ich eigentlich immer so schlecht drauf? Wie versorge ich meine pflegebedürftigen Eltern? Solche oder ähnliche Sorgen kennen viele Menschen. In der Forschung wird solches Grübeln repetitives, negatives Denken genannt.

 

Dass man über solche verzwickten Themen länger nachdenkt, ist nicht ungewöhnlich. Aber meist kommen andere Herausforderungen des Alltags dazwischen und dann lässt man das Thema wieder ruhen. So ist das eigentlich, zumindest bei den meisten Menschen.

Doch bei manchen nimmt die Grübelei, auch Overthinking genannt, überhand: Sie schlafen schlechter und können kaum an etwas anderes denken. Was dahintersteckt und wie man gegensteuern kann, erklären zwei Expertinnen:

Nachdenken ist etwas anderes als Grübeln

Zunächst: Grübeln ist etwas anderes als intensives Nachdenken über ein Thema. Lösungsorientiertes Nachdenken zum Beispiel ist durchaus positiv. Grübeln dagegen bringt Betroffene meist nicht weiter. Im Gegenteil. „Die Gedanken kreisen um negative Themen“, erklärt Julia Funk das Phänomen des Overthinkings. Und sie kreisen immer weiter und dichter – wie eine Endlos-Spirale.

Den Betroffenen fällt es sehr schwer, sich von den negativen Gedankenspiralen zu lösen. Hinzu kommt: „ Die Gedanken gehen dann oft mit einer negativen Bewertung der eigenen Person einher“, ergänzt Julia Funk, die am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München arbeitet.

 

Wann Grübeln krankhaft wird

Grübeln allein ist zwar noch keine seelische Erkrankung und muss auch nicht zwangsläufig negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben. Möglich ist das aber, und zwar auf verschiedene Arten.

So grübeln etwa Menschen, die bestimmte psychische Störungen haben, mehr als psychisch gesunde Personen. Und: Die Grübelei kann bei Depressionen, Angsterkrankungen, Zwangsstörungen, Essstörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen dazu beitragen, die jeweilige Krankheit aufrechtzuerhalten und/oder zu verstärken. Das Versinken in negativen Gedanken kann auch ein Symptom für eine Depression sein.

Grübler haben höheres Risiko für Psycho-Erkrankungen

Wiederum haben psychisch gesunde Menschen, die viel grübeln, ein höheres Risiko, psychische Störungen wie Depressionen oder Angsterkrankungen zu entwickeln. Einfach aufhören mit dem Grübeln – das würden viele gern. Aber Grübeln kann zu einer Gewohnheit werden. „Das Gedankenkreisen ist dann an bestimmte Trigger geknüpft“, betont Julia Funk. Zum Beispiel am Morgen erst zu grübeln, statt aufzustehen.

Zum Grübeln neigten besonders Menschen, die perfektionistisch sind, erläutert Christa Roth-Sackenheim. Sie ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit einer Praxis in Andernach und zweite Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater. „Sie überlegen im Nachhinein ständig, was sie hätten besser machen können.“

Grübelei vermittelt Gefühl von Kontrolle

Auch Menschen, die es nicht ausstehen können, wenn der Tisch nicht aufgeräumt ist oder wenn die Schuhe nicht paarweise stehen, sind eher von Grübelei betroffen. Also Menschen, denen Ordnung sehr wichtig ist.

Manche Personen grübeln auch, weil sie alles durchdenken wollen, damit sie nicht überrascht werden, wenn etwas Schlimmes passiert. Die Grübelei vermittelt ihnen ein Gefühl von Kontrolle. Zugleich hält Grübeln Betroffene in einem passiven Zustand. Sie finden keine Lösung, kommen nicht ins Tun.

Therapien: So findet man aus der Grübel-Spirale

Wie kann man aus ihrem Gedankenkarussell aussteigen? In der Psychotherapie gibt es verschiedene Ansätze, die helfen können.

  • Ruminationsfokussierte Kognitive Verhaltenstherapie: Einer dieser Wege ist die Ruminationsfokussierte Kognitive Verhaltenstherapie. Rumination steht eigentlich für Wiederkäuen, beschreibt hier aber sich wiederholende negative Gedanken. Diese Therapie soll vor allem Menschen mit Depressionen helfen.
  • In einem ersten Schritt wird dabei analysiert, wann das Grübeln auftritt. Danach werden andere, hilfreichere Gewohnheiten etabliert. Außerdem bekommen die Betroffenen ein Training in konkretem Denken. Julia Funk erläutert, was dahintersteckt: „Sie führen sich belastende Situationen, über die sie oft grübeln, bildhaft vor Augen und überlegen dann Schritt für Schritt, was sie konkret tun können, um diese Situationen besser zu meistern, statt von einem zum nächsten negativen Gedanken zu springen.“
  • Metakognitive Therapie: Ein weiterer Therapieansatz ist die Metakognitive Therapie. Diese Art der Psychotherapie richtet sich vor allem an Menschen, die stark unter Zukunftssorgen leiden und überzeugt sind, alles durchdenken zu müssen, um auf Schlimmes vorbereitet zu sein.
  • Hier wird zunächst die Frage bearbeitet, mit welchem Ziel die Betroffenen grübeln und ob das Grübeln tatsächlich diesen Zweck – nämlich vorbereitet zu sein – erfüllt. Außerdem sollen sie sich täglich 15 Minuten „Grübelzeit“ reservieren, aber möglichst außerhalb dieser Zeit nicht grübeln. „Diese zeitliche Begrenzung schafft Entlastung“, unterstreicht Julia Funk.
  • Achtsamkeitsbasierte Therapien: Sinnvoll sind außerdem achtsamkeitsbasierte Ansätze. Entsprechende Übungen oder Trainings richten den Blick auf das Hier und Jetzt, was eine hilfreiche Strategie gegen das Gedankenkreisen sein kann.
  • Dazu kann auch gehören, dass man seine Gedanken vorüberziehen lässt wie Wolken am Himmel oder vorbeifahren lässt wie Autos auf einer Straße. Solche Vergleiche können helfen, sich klarzumachen: Gedanken sind etwas Flüchtiges.

Grübelzwang versus Zwangsgedanken

Vom pathologischen Grübeln, also der Rumination, abgrenzen lassen sich sogenannte Zwangsgedanken. Julia Funk erklärt die Unterschiede: „Zwangsgedanken treten oft in Form von mentalen Bildern auf, beim Grübeln sind die Gedanken eher verbal.“

Außerdem sind Zwangsgedanken häufig ich-dyston, wie Fachleute sagen. Das bedeutet: Betroffene haben dann das Gefühl, als würden diese Gedanken nicht zu ihnen gehören. Auch das ist beim Grübeln anders. Und: „Zwangsgedanken sind oft mit einem konkreten Handlungsdrang verbunden“, sagt Julia Funk. Zum Beispiel, sich beim Gedanken an Schmutz die Hände zu waschen.