Zweimal schon hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Bundesrat zugestimmt, als es um die Ausweitung der Zahl der sicheren Herkunftsländer ging. Im Fall der Maghreb-Länder zögert er. Die CDU ist nicht amüsiert.

Stuttgart - In der grün-schwarzen Landesregierung bahnt sich ein Konflikt um die Einstufung der Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsländer an. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat erhebliche Bedenken, einem entsprechenden Gesetzentwurf des Bundestags in der Länderkammer zuzustimmen. „Er tut sich da schwer“, heißt es in Regierungskreisen. Am 17. Juni befindet der Bundesrat über diese Frage, das Landeskabinett muss bei seinem nächsten Treffen am Dienstag eine gemeinsame Linie abstecken.

 

Kretschmanns Einwände zielen auf den rechtlichen und tatsächlichen Umgang der drei Maghreb-Staaten mit Homosexuellen. Sowohl in Algerien als auch in Marokko und Tunesien sei gleichgeschlechtlicher Sex strafbar – und werde auch verfolgt, gibt der Ministerpräsident nach Angaben aus Regierungskreisen zu bedenken. Demgegenüber räumt die Bundesregierung zwar ein, dass „homosexuelle Handlungen“ in den fraglichen Ländern strafbewehrt seien, in Marokko aber werde „in dem meisten Fällen Homosexualität faktisch geduldet“, eine systematische Verfolgung finde in Marokko wie auch in Tunesien nicht statt. Dies gelte auch für Algerien. Jedoch muss die Bundesregierung einräumen, Homosexualität werde dort „für die Behörden dann strafrechtlich relevant, wenn sie offen ausgelebt wird“.

Die CDU verweist auf „klare Vereinbarung“

Die Stellungnahmen des Auswärtigen Amts sowie weiterer Organisationen konnte die Vorbehalte in der Stuttgarter Regierungszentrale indes nicht ausräumen. Sie werden auch in der Landtagsfraktion der Grünen geteilt. „Wir haben noch Zweifel, ob die Voraussetzungen vorliegen, denn eine strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen ist diesen Ländern gegeben“, sagt Fraktionsvize Hans-Ulrich Sckerl.

In der CDU ist man der Überzeugung, dass vom Bundestag beschlossen Gesetz verfassungsmäßig ist. Andreas Mair am Tinkhof, Sprecher der Landes-CDU, sagt: „Grüne und CDU haben im Koalitionsvertrag eine klare Vereinbarung getroffen – mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ Tatsächlich schien alles geregelt. Schon bei den Koalitionsverhandlungen hatte CDU-Landeschef Thomas Strobl die Zustimmung als beschlossen dargestellt. Im Koalitionsvertrag heißt es, Grün-Schwarz werde im Bundesrat mitmachen, „falls die entsprechenden hohen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen“. In der CDU hat man Kretschmanns Zögern bereits wahrgenommen. Für die Christdemokraten besitzt das Thema sichere Herkunftsländerländer einen erheblichen Streitwert, war es doch im Wahlkampf und auch bereits zuvor das Mittel der Wahl, um Kretschmann in der Flüchtlingspolitik vor sich herzutreiben. Insbesondere Strobl tat sich dabei hervor. Zweimal stimmte der Ministerpräsident in der Vergangenheit der Ausweitung der Zahl der sicheren Herkunftsländer im Bundesrat zu, um die CDU ins Leere laufen zu lassen. Das klappte auch ganz gut. Zwar handelte sich Kretschmann Ärger mit seiner eigenen Partei, jedenfalls in Berlin, ein. In der Bevölkerung aber kam der überparteiliche Gestus bestens an.

Im Bundesrat voraussichtlich keine Mehrheit

Die Regierungs-Grünen versuchen die CDU nun milde zu stimmen, indem sie ihrerseits auf den „niedrigen Streitwert“ des Konflikts verweisen. Niedrig ist er aus ihrer Sicht deshalb, weil im Bundesrat aller Voraussicht nach ohnehin keine Mehrheit für den Gesetzentwurf der Bundesregierung zustande komme. Die von der großen Koalition in Berlin regierten Länder vereinen im Bundesrat nur noch 20 Stimmen. Für die Mehrheit wären aber 35 Stimmen nötig. Ohnehin werben die Regierungs-Grünen für eine Abkehr vom Instrument der sicheren Herkunftsländer. Da sei zu viel Symbolpolitik im Spiel: „Die einen halten das für ein Allheilmittel, die anderen für des Teufels.“ Es soll eine Neuregelung geben. Der Vorschlag: Sinken die Anerkennungsquoten für Flüchtlinge aus einem bestimmten Land über einen Zeitraum von zum Beispiel zwei Jahren hinweg unter eine Quote von 1,5 Prozent oder zwei Prozent, wird automatisch ein beschleunigtes Asylverfahren angewandt, wie es auch für die sicheren Herkunftsländer gilt. In Stuttgarter Regierungskreisen ist von einem „atmenden System“ die Rede, dass mehr Sinn mache als die einer gewissen Beliebigkeit unterworfenen Einstufung als sichere Herkunftsländer. Im Jahr 2015 betrug laut Bundesregierung die Anerkennungsquote für Flüchtlinge knapp ein Prozent, für Marokko 2,3 Prozent und für Tunesien null Prozent. Derzeit werden die Eckpunkte für eine Bundesrats-Initiative entworfen.