Die AfD befindet sich im Umfragehoch, in Thüringen hat sie gerade eine Landratswahl gewonnen. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil erklärt im Interview, welche Mitverantwortung der Ampel er für die guten Werte der Rechtsextremen sieht.
Lächelnd und gut gelaunt empfängt der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil zum Gespräch in der Staatskanzlei in Hannover. Dabei sind die Themen – von den hohen Umfragewerten der AfD bis hin zum Finanzstreit von Bund und Ländern eher unangenehm. Der Ampel in Berlin wirft er fehlende Professionalität vor.
Herr Weil, die AfD befindet derzeit im Aufwind. Hat daran auch die Ampel Schuld?
Eine große Zahl von Menschen, die die AfD wählen würden, erwägen das nicht aus Vertrauen in die Kompetenz dieser Partei, sondern sie wollen ihren Unmut ausdrücken über die aktuelle Politik. Eigentlich müssten die Stimmen dieser Menschen doch bei der größten Oppositionspartei landen, also bei der Union. Das ist aber nicht der Fall. Bei den guten Werten für die AfD ist auch viel Frust über die Ampel dabei. Meine Schlussfolgerung ist relativ einfach: Wenn die AfD wieder schwächer werden soll, müssen alle anderen Parteien besser werden.
Da denken Sie insbesondere an das Gesetz zum Heizungstausch, oder?
Bingo!
Die Ampel hat viele Wochen öffentlich über das Gesetz gestritten. Wie stark hat das zur Verunsicherung in der Bevölkerung beigetragen?
Das Gesetz zum Heizungstausch hat gleich aus drei Gründen zu großer Sorge in der Bevölkerung beigetragen. Erstens trifft es – das lässt sich nicht vermeiden – die Menschen im Privatleben. Zweitens gilt: Die Ampel – und da vor allem die FDP – hat jetzt monatelang einen internen Streit öffentlich ausgetragen. Das war unprofessionell und stößt Wählerinnen und Wähler ab.
Und drittens?
Der ursprüngliche Entwurf beim Gebäudeenergiegesetz war in wichtigen Punkten problematisch. Richtig ist: Man muss das Thema Heizungstausch angehen. Sonst können wir unsere Klimaziele nicht schaffen. Die Regierungen vor der Ampel haben sich vor dem Thema Wärmewende gedrückt, weil es ausgesprochen schwierig ist. Und dann rächt es sich besonders, wenn ein Vorhaben nicht gut vorbereitet ist. So etwas muss mit den beteiligten Gruppen – da meine ich beispielsweise Hersteller von Wärmepumpen, Stadtwerke und Handwerker, aber auch die Länder und Kommunen – vorher besprochen werden. Dann wären viele Probleme sicherlich vermieden worden.
Nämlich?
Die Ampel hat mittlerweile zu Recht entschieden, das Gebäudeenergiegesetz mit der kommunalen Wärmeplanung zu verschränken. Wer bald Fernwärme bekommt, braucht keine Wärmepumpe. Das ist logisch. Wenn diese Frage schon im ersten Gesetzentwurf mitgedacht gewesen wäre, hätte es viel weniger Ärger gegeben. Es ist keine hohe Wissenschaft, die Leute besser mitzunehmen. Daraus muss die Ampel für künftige Gesetzesvorhaben lernen.
Die Verschränkung von Wärmeplanung und Gebäudeenergiegesetz hat auch Tücken. Kommunen, die schon eine Wärmeplanung haben, klagen: Es sei unfair, wenn ihre Bürger früher als andere Wärmepumpen einbauen müssen.
Ich kann es grundsätzlich verstehen, wenn in Kommunen mit kommunaler Wärmeplanung die Eigentümer es unfair finden, dass Sie sich mehr sputen sollen als andere. Ich hoffe, dazu gibt es bis zur Schlussentscheidung noch eine kluge Lösung.
Die Ampel befindet sich nach langem Streit mit dem Gebäudeenergiegesetz nun im Endspurt. Was ist Ihnen bei der Ausgestaltung der Wärmewende besonders wichtig?
Essenziell ist die Frage, wie der Heizungstausch sozial gerecht gefördert wird. Gerade für Flächenländer mit einem großen ländlichen Raum gilt: Hier wohnen nicht nur Millionäre in einem Eigenheim. Es gibt viele Menschen mit kleinem Einkommen, die in älteren, nicht gedämmten Häusern wohnen. Sie haben oft noch ihre in die Jahre gekommenen Öl- und Gasheizungen. Diese Menschen, für die das Haus oft auch ein Teil der eigenen Altersvorsorge ist, müssen am Ende das Gefühl haben, nicht überfordert zu sein. Das ist der Maßstab, der jetzt gelten muss.
Wo ist aus Ihrer Sicht die Grenze, wer noch Geld erhalten soll und wer nicht?
Es muss fair zugehen. Ein Ministerpräsident braucht mit Sicherheit keine Förderung. Wie beim Wohngeld müssen wir insbesondere diejenigen unterstützen, die tatsächlich Hilfe brauchen. Das muss das Ziel sein.
Die Energiewende ist auch mit Wirtschaftsfragen verbunden. Sie fordern einen Industriestrompreis. Droht Gefahr für den Standort Deutschland, falls er nicht kommt?
Wir brauchen dringend einen Industriestrompreis, noch lieber spreche ich von einem Transformationsstrompreis. Dabei rede ich nicht über alle Unternehmen. Aber energieintensive Unternehmen, die ihre Produkte am Weltmarkt verkaufen und die sich in der Übergangsphase zur Klimaneutralität befinden, brauchen Hilfe. Das ist etwa in der chemischen Industrie, in der Stahl- und Glasindustrie der Fall. Wenn der Bund hier nicht hilft, droht der dauerhafte Verlust von Unternehmen und vielen tausend Arbeitsplätzen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie in dieser Frage rasch – also unbedingt noch in diesem Jahr – zu einer Lösung kommt. Das machen andere EU-Länder übrigens auch.
Bleiben wir beim Thema Finanzen. Viele Kommunen sehen sich durch die hohe Zahl an Geflüchteten überfordert. Der Bund hat in der Corona-Zeit und in der Energiekrise gigantische Milliardensummen aufgewendet. Ist der Standpunkt, dass nun erst mal die Länder mehr leisten müssen, so absurd?
Ich halte ihn jedenfalls für falsch. Auch die Länder haben in der Corona-Zeit und in der Energiekrise den Unternehmen mit Geld geholfen und wir geben Jahr für Jahr sehr viel Geld für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten aus. Gleichzeitig haben aber weder die Kommunen noch die Länder Einfluss darauf, wie viele Menschen kommen. Hier kann nur der Bund steuernd eingreifen. Deshalb muss es selbstverständlich sein, dass der Bund tatkräftig mithilft, die Kosten zu tragen.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) muss sich also bewegen?
Ja. Es geht um einen grundsätzlichen Punkt. Der Bund will von Jahr zu Jahr neu festlegen, in welcher Höhe er sich beteiligt. Wir fordern ein atmendes System: Wenn mehr Menschen kommen, gibt es mehr Geld, wenn weniger Menschen kommen, eben weniger. Diese Planungssicherheit brauchen wir.
Sie stehen an der Spitze der Ministerpräsidentenkonferenz. Wie ist die Zusammenarbeit mit Scholz?
Ich empfinde sie als professionell und gut, aber es sind nun einmal schwierige Zeiten. Das merkt man auch, wenn der Kanzler sich mit der Ministerpräsidentenkonferenz trifft. Aber wie in der Corona-Krise haben wir es auch in der Energiepreiskrise geschafft, uns auf vernünftige gemeinsame Positionen zu verständigen. Das war schwierig, aber zugleich sehr wichtig und im Ergebnis erfolgreich.
Viele in den Ländern halten Scholz für einen notorischen Besserwisser.
In der Runde der Ministerpräsidenten ist Olaf Scholz wohlbekannt. Er war viele Jahre lang ein Kollege von uns und hat sich allgemeiner Anerkennung erfreut. Heute vertritt er aber von Amts wegen nun einmal die Interessen des Bundes. Olaf Scholz selbst hat sich aber nicht verändert und er ist sich durch und durch treu geblieben. Ich kann damit jedenfalls sehr gut umgehen.
Wenn Sie die Bundesregierung beobachten, sind Sie froh, dass sie nicht mit einer Ampel regieren müssen?
Bei einem solchen Gedanken habe ich mich durchaus schon ertappt. Ich bin dankbar, dass ich in Niedersachsen in einer Zweier- und nicht in einer Dreierkonstellation regiere. Das ist wie im richtigen Leben: Dreierbeziehungen sind sehr schwierig. Die Bürgerinnen und Bürger hassen es, wenn sie den Eindruck haben, die Politik beschäftige sich vornehmlich mit sich selbst. Die Wählerinnen und Wähler wollen, dass die Politik ihre Probleme löst. Wenn die Koalitionspartner sich ständig untereinander streiten, kann die Ampel nicht erfolgreich arbeiten. Das müssen jetzt endlich alle verstehen.
Das Gespräch führte Tobias Peter.
Seit mehr als 10 Jahren im Amt
Karriere
Stephan Weil (64) ist seit Februar 2013 niedersächsischer Ministerpräsident. Vorher war der Jurist Oberbürgermeister von Hannover.
Länderrunde
Aktuell ist der Sozialdemokrat Weil Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Als solcher hat er eine wichtige Rolle in den gemeinsamen Runden der Länderchefs mit dem Bundeskanzler.