Wie wünschenswert ist Künstliche Intelligenz in der Pflege oder bei der Personaleinstellung? Im Masterstudium erfahren Studierende beim Experiment mit einem Bürgerrat die Chancen und Tücken von Beteiligungsplattformen.
Wie kann es gelingen, Bürgerinnen und Bürger durch innovative Methoden systematischer in gesellschaftspolitisch wichtige Vorhaben einzubeziehen? Etwa die Frage, wie vertretbar Künstliche Intelligenz beim Einsatz in der Pflege ist? Oder bei der Einstellung von Personal? Das lernen Studierende des Masterstudiengangs Planung und Partizipation der Uni Stuttgart gemeinsam mit Studierenden der Hochschule der Medien in einem Demokratieexperiment. Zwei von ihnen berichten, wie sie als Moderatoren eines virtuellen Bürgerrats mit echten, aber anonymisierten Teilnehmern zurechtgekommen sind und wo sie die Grenzen einer Beteiligungsplattform sehen.
„Ein paar Impulse hätten nicht geschadet“
Es sei gar nicht so einfach, die Teilnehmer zehn Tage lang am Ball zu halten, wenn diese gar nicht unmittelbar interagieren, sondern eben dann, wenn sie Zeit haben, und dies auch nur schriftlich, meint Victoria Saur. Die 26-jährige Masterstudentin der Uni Stuttgart, die ihren Bachelor in Politik und Verwaltungswissenschaft in Konstanz gemacht hat, räumt im Blick auf den Bürgerrat ein: „Rückblickend hätten ein paar Impulse nicht geschadet, etwa ein Video-Input.“ Dennoch sagt sie: „Es war spannend, das mitzumachen – das kann auch eine Chance sein, Leute ins Boot zu holen, die sich das sonst nicht trauen würden.“
Auch ihr gleichaltriger Kommilitone Friedrich Klingmann, der zuvor Soziologie und Kulturwissenschaften in Frankfurt studiert hat, findet das Projekt „aus partizipativer Sicht aktuell und sehr spannend – auch zu sehen, wie so eine Durchführung aussehen kann und auf was es dabei ankommt“. Aber er räumt im Blick auf die KI-Themen auch ein: „Ich hätte lieber mitdiskutiert, als das zu moderieren.“
Studierende lernen, wie innovative Plattformen funktionieren
Das Projekt läuft unter dem Titel „Fragen an KollegIn KI“ und wird vom Bundesforschungsministerium gefördert. André Bächtiger, der Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften der Uni Stuttgart, leitet es. „Wir möchten den Studierenden mitgeben, dass sie eine breite Palette an Instrumenten haben, um Befragungen zu machen.“ Sei es zur Zufriedenheit oder Zukunftsentwicklung in Betrieben oder anderen kleinen Settings. „Die Studierenden lernen, wie solche innovativen Plattformen funktionieren und wie so ein Planungsprozess aufgesetzt wird“, sagt Bächtiger. „In klassischen Umfragen holt man zu wenig raus.“ Aber es gehe auch darum, gute Themen für ein Beteiligungsformat zu finden und gute Fragen dafür zu entwickeln. Der Soziologe räumt ein: „Wenn es darum geht, Bürger zu motivieren und zu begeistern, ist das Format nicht geeignet.“ Das haben die Studierenden auch gemerkt.
Man könne durch solche Experimente schon zeigen, wenn es öffentliche Debatten über ein Thema gebe, seien das frühe Warnungen. Beispielsweise beim Thema Ausländerwahlrecht. Nach der Diskussion sei die Haltung der Leute ablehnender gewesen als vorher. „Man kann im Kleinen sehen, was im Großen passieren könnte“, sagt Bächtiger. Das zu wissen, sei für politische Systeme extrem wichtig. In seiner Forschung beschäftigt sich der Soziologe mit der Zukunft der Demokratie und untersucht ihre Architektur. Etwa die Rolle der Bürger und wie man sie so an Entscheidungsprozessen beteiligen kann, dass auch die Umsetzung hinterher erfolgreich ist. Bächtiger ist davon überzeugt, dass Bürger auch bei anspruchsvollen, komplexen Fragen systematisch einbezogen werden sollten und dies auch gelingen könnte: Das Potenzial dafür sei da, es müsse nur durch ein gutes Format geweckt werden. Es sei auch eine Frage der Mischung, wie Demokratie in einer pluralen Gesellschaft optimal aufgestellt sei: etwa wie direkt oder indirekt sie angelegt werde und wie repräsentativ ihre Entscheidungsgremien sind.
Mitsprachefragen sind durch Großprojekte wie S 21 in den Fokus gerückt
Solche Fragen sind durch kontrovers diskutierte Großprojekte wie Stuttgart 21 besonders in den Fokus gerückt. Dass sie auch von übergreifendem Interesse sind, belegt ein mit 3,5 Millionen Euro dotierter ERC-Grant – also eine Ausschreibung des Europäischen Forschungsrats –, den Bächtiger abgeräumt hat – übrigens als erster Sozialwissenschaftler der Uni Stuttgart. Seine Masterstudierenden werden die erlernten Methoden, wie man sachgerecht die Öffentlichkeit in Planungs- und Entscheidungsprozesse einbezieht, später in ihrem Beruf ganz praktisch umsetzen. Sei es in der kommunalen Verwaltung, in Wirtschaft, Wissenschaft oder Politik.