Steinwerkzeuge, die in der Ukraine gefunden wurden, sind 1,4 Millionen Jahre alt. Sie deuten darauf hin, dass Homo erectus viel früher aus Asien nach Europa kam als bisher angenommen. Es ist der wohl älteste Nachweis von Frühmenschen in Europa.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Wann kamen die ersten Menschen nach Europa? Diese Frage lässt sich nicht mit endgültiger Sicherheit beantworten. Die ältesten zuverlässig datierten Fundstücke am Übergang zwischen Asien und Europa stammen aus Dmanissi in Georgien und sind rund 1,85 Millionen Jahre alt. In Südwesteuropa wurden die ältesten Artefakte in Spanien und Südfrankreich gefunden und auf ein Alter von rund 1,2 Millionen Jahren datiert. Doch was geschah dazwischen?

 
Homo antecessor: Rekonstruktion des Frühmenschen im Museo de la Evolución Humana ( MEH) im spanischen Burgos. Foto: Imago//agefotostock

Korolevo: Archäologisches Eldorado in der Ukraine

Die Fundstätte in Korolevo heute. Foto: Roman Garba
Selfi von Archäologe Roman Garba vor der Fundstätte in Korolevo. Foto: Roman Garba

Eine Antwort liefert nun ein Team um den Paläoarchäologen Roman Garba von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag. Die Forscher haben die archäologische Fundstätte Korolevo in der Westukraine näher untersucht und erstmals zuverlässig datiert.

„Die Steinwerkzeuge aus Korolevo wurden seit Entdeckung der Fundstelle in den 1970er Jahren schon von vielen Forschungsteams untersucht“, erklären Garba und sein Team. „Doch obwohl die Bedeutung von Korolevo für die europäische Altsteinzeit weithin anerkannt ist, konnten die Altersangaben für die untersten Artefakte noch nicht abschließend bestimmt werden.“

Ältester Nachweis von Frühmenschen in Europa

Splittersteinwerkzeug aus Korolevo. Foto: Garba et al./Nature 2024

Laut ihrer am Mittwoch (6. März) in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichten Studie könnten die gefundenen Splittersteine der älteste bekannte Beweis für die frühe menschliche Präsenz in Europa sein. „Korolevo stellt unseres Wissens nach die früheste sicher datierte Präsenz von Homininen in Europa dar“, schreiben die Forscher in ihrer Studie.

„Die Fundstätte überbrückt die räumliche und zeitliche Lücke zwischen den 1,85 Millionen Jahren alten Funden im Kaukasus und denen aus Südwesteuropa vor etwa 1,2 Millionen Jahren. Unsere Ergebnisse stützen die Hypothese, dass Europa von Osten her besiedelt wurde.“

Seit Jahrzehnten gilt die archäologische Stätte Korolevo als bedeutender Fundort für Artefakte der frühen Homininen. Wie alt genau sie allerdings ist, war lange unklar. Die Studie datiert Korolevo nun auf ein Alter von rund 1,4 Millionen Jahren. Damit wäre die Fundstätte der älteste Nachweis von Frühmenschen in Europa.

Die Studienergebnisse stützen die Hypothese, dass die früheste Besiedlug des europäischen Kontinents von Ost nach West verlief. Dabei nutzten unsere Vorfahren wahrscheinlich wärmere Zwischeneiszeiten, um in Regionen in höheren Breitengraden zu gelangen.

Eine Auswahl der Steinwerkzeuge, die 1,4 Millionen Jahre alt sein dürften. Foto: G/arba et al./Nature 2024

Info: Hominide und Hominine

Schädel eines Homo erectus. Foto: Imago/Pond5 Images

In der Biologie und Menschheitsgeschichte sind mit Hominiden Menschenaffen gemeint: eine Gruppe der Primaten, von denen heute nur mehr der Mensch, Gorillas, Orang-Utans sowie Schimpansen leben. Auch die ausgestorbenen Arten des menschlichen Stammbaums gehören dazu.

Eine Untergruppe davon sind die Homininen. Das ist zwar ein im Deutschen kaum gebräuchlicher Begriff, er beschreibt aber am genauesten alle Urahnen des Menschen nach der evolutionären Trennung von Schimpansen. Darunter fallen beispielsweise die Gattungen Australopithecus und unsere eigene Gattung Homo mit ausgestorbenen Verwandten wie Homo erectus, Homo antecessor und dem Neandertaler.

Korolevo-Besiedlung vor 1,4 Millionen Jahren bis 30 000 v. Chr.

In den blau markierten Migrationswellen könnte der Homo erectus nach Europa gekommen sein. Der rote Punkt markiert die Fundstätte Korolevo. Foto: Garba et al./Nature 2024

„Wir wissen, dass die Schicht aus angesammeltem Löss und Paläoboden hier bis zu 14 Meter tief ist und Tausende von Artefakten aus Stein enthält. Korolevo war eine wichtige Rohstoffquelle für ihre Herstellung“, erläutert der ukrainische Archäologe Vitalii Usyk, ein Mitautor der Studie.

„Wir haben sieben Perioden menschlicher Besiedlung festgestellt, obwohl mindestens neun verschiedene paläolithische Kulturen an diesem Ort nachgewiesen werden konnten. Hominiden lebten hier in einer Zeitspanne, die vor 1,4 Millionen Jahren begann und vor etwa 30 000 Jahren endete“, so Usyk.

Statt Fossilienresten nur Steinwerkzeuge gefunden

Eine Homo-antecessor-Frau beim Feuermachen. Foto: Imago/StokTrek Images

Die Archäologen verwendeten neue Methoden, um die Sedimentgesteinsschichten, welche die Werkzeuge umgeben, auf ein Alter von mehr als eine Million Jahren zu datieren. „Dies ist der früheste datierte Beweis für irgendeine Art von Mensch in Europa“, sagt Mads Faurschou Knudsen, Geophysiker an der Universität Aarhus in Dänemark und Mitautor der Studie.

Es sei nicht sicher, welche frühen menschlichen Vorfahren die Werkzeuge hergestellt hätten, aber es könnte Homo erectus gewesen sein, die erste Art, die aufrecht ging und den Umgang mit Feuer beherrschte. „Wir haben keine Fossilienreste, daher können wir nicht sicher sein“, ergänzt Roman Garba. Die zersplitterten Steinwerkzeuge wurden wahrscheinlich zum Schneiden von Fleisch und möglicherweise zum Schaben von Tierhäuten verwendet.

Vor 2,8 Million Jahren: Älteste Werkzeuge aus Afrika

Die allerersten Steinwerkzeuge dieser Art wurden in Ostafrika gefunden und stammen aus der Zeit vor 2,8 Millionen Jahren, erläutert Rick Potts, der das Human Origins Program der Smithsonian Institution leitet. Der Standort in der Ukraine ist bedeutsam, weil „es der früheste Standort so weit nördlich ist“, was darauf hindeutet, dass die frühen Menschen, die sich mit diesen Werkzeugen aus Afrika ausbreiteten, in unterschiedlichen Umgebungen überleben konnten.

„Unser frühester Vorfahre, der Homo erectus, war der erste Hominide, der vor etwa zwei Millionen Jahren Afrika verließ und in den Nahen Osten, nach Ostasien und Europa zog. Die radiometrische Datierung der ersten menschlichen Anwesenheit am Fundort bestätigt die Hypothese, dass die Hominiden aus dem Osten oder Südosten nach Europa kamen“, fasst Roman Garba die Forschungsergebnisse zusammen.

Besiedlung von Korolevo in Zwischeneiszeiten

Zusätzlich analysierten die Forscher die Klima-Bedingungen in Europa während der letzten zwei Millionen Jahren. „Unsere Analyse der Lebensraumeignung deutet darauf hin, dass die frühen Homininen warme Zwischeneiszeiten nutzten, um sich in höhere Breiten und relativ kontinentale Gebiete – wie Korolevo – zu verbreiten“, berichten sie. „Die Besiedlung von Korolevo vor 1,4 Millionen Jahren stellt somit die Annahme in Frage, dass die Homininen erst nach der Besiedlung Südeuropas vor 1,2 Millionen Jahren in höhere Breitengrade zogen.“

Info: Wann wurde Europa besiedelt?

2 bis 1,5 Millionen Jahre: Homo erectus
Vor mehr als zwei Millionen Jahren verließ der Homo erectus, der frühe Vorfahre des Homo sapiens – des modernen Menschen, von dem wir abstammen – Afrika und wanderte bis nach Asien und Europa. Dort wurde er vor rund 1,5 bis 1,4 Millionen Jahren sesshaft.

1,1 Million Jahre: Zwischenzeit
Vor etwa 1,15 Millionen brach eine Kälteperiode über Europa herein, die mehr als 30 000 Jahre andauerte und den Großteil der Frühmenschen erfrieren ließ. Wer überlebte, zog zurück nach Afrika. Der Mittelmeerraum kühlte so stark ab, dass die eiszeitlichen Kältesteppen für Zehntausende Jahre unbewohnbar wurden - auch deshalb, weil die ersten Frühmenschen in Europa noch kein Feuer, keine warme Kleidung und festen Unterkünfte kannten. Die Temperaturen der oberen Meeresschichten vor der Küste der Iberischen Halbinsel sanken auf sechs Grad ab. Durch das eiszeitliche Klima veränderte sich die Vegetation radikal. An die Stelle der Urwälder trat eine karge Steppe. Der Kälteeinbruch machte selbst Südeuropa für die frühen Menschen unbewohnbar.

900 000 Jahre: Homo antcessor
Für rund 200 000 Jahre war Europa weitgehend menschenleer und wurde erst vor rund 900 000 Jahren wieder rekolonisiert. Der Homo antecessor war resilienterer gewesen als der Homo erectus und verfügte über Fähigkeiten, die ihm das Überleben in den folgenden Kaltzeiten ermöglichte. Homo antecessor wusste, das Feuer zu beherrschen, warme Kleidung anzufertigen und schützende Unterkünfte zu errichten. Die Besiedlung Europas durch die Vorfahren der Neandertaler erfolgte danach in einem zweiten evolutionären Anlauf.