Das Land wird solide regiert. Aber innovatives Potenzial zeigt die grün-schwarze Koalition nicht, meint der StZ-Autor Reiner Ruf.

Stuttgart - Die Grünen galten einst – nicht ganz zu Recht, nicht ganz zu Unrecht – als Fleisch vom Fleische der SPD. Bündnisse der beiden Parteien lagen nahe, man verfolgte eine gemeinsame Reformagenda. Auf seinen Höhepunkt gelangte das rot-grüne Projekt in den Schröder-Fischer-Jahren, in denen – das war die ironische Pointe – die SPD von einer Partei der sozialen Gerechtigkeit zur Partei des Sozialabbaus mutierte und die Grünen vom Pazifismus zu einem gemäßigten Bellizismus konvertierten. Einen fernen Nachklang fand Rot-Grün unter machtpolitisch umgekehrten Vorzeichen in Grün-Rot in Baden-Württemberg. Die Liaison endete für die SPD fatal, beinahe schon letal. Aber den fünf Regierungsjahren haftete der alte Werkstattcharakter an: Gemeinsam arbeitete man an gerechteren Bildungschancen und an einer besseren Bürgerbeteiligung.

 

Für die seit 2016 regierende grün-schwarze Koalition trifft dies alles nicht zu. Dabei erschien der Südwesten geradezu prädestiniert für diese Konstellation. Nirgendwo anders in der Republik sind die Grünen so konservativ wie hier. An wenigen Orten zeigt sich das Bürgertum in seiner geistigen Disposition so postmaterialistisch wie in Baden-Württemberg – bei zumeist streng materialistisch orientierter Lebenspraxis. Porsche Boxster und Biotop – was würde diese Verbindung von Hightech und Ökodenken hervorbringen? Zur Mitte der Wahlperiode lässt sich vorläufig bilanzieren: gar nichts.

Innovation? Fehlanzeige

Grün-Schwarz ist kein Projekt, dem etwas entspränge, das sich als innovativ oder gar als Modernisierung beschreiben ließe. Das Leitmotto der Koalition lautet: Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg. Beispiel Verkehr: In Sachen neuer Mobilität sind allenfalls Ansätze erkennbar. Und es muss sich erst noch weisen, ob aus dem Strategiedialog Automobilwirtschaft mehr wird als ein Signal, dass sich auch die Landesregierung um die Zukunft des Industriestandorts sorgt. Aber gut: Besser, es gibt diesen Austausch mit der Automobilwirtschaft, als dass es ihn nicht gibt. Bei der thematisch anverwandten Luftreinhaltung sieht sich die Koalition getrieben von einem intransigenten Umweltverband – und von der Justiz. Und was die Bildungspolitik angeht: Kultusministerin Susanne Eisenmann hat einiges angeschoben, doch in den großen Linien findet Grün-Schwarz nicht zusammen. Die Grünen verteidigen die Gemeinschaftsschule als Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit, die CDU folgt dem bürgerlichen Grundimpuls zur sozialen Abschottung nach unten. Motto: Nicht jedes Kind soll Abitur machen dürfen, meines aber schon.

Das Markanteste, was sich über die Koalition sagen lässt, ist: dass es sie gibt. Das ist unter den Bedingungen eines schwülen politischen Reizklimas nicht wenig. Anders als die narzisstisch enthemmten Vabanquespieler an der Spitze der Bayern-CSU haben sich die grün-schwarzen Akteure als verantwortungsbewusst und daher verständigungsfähig erwiesen. Waren auch in kleinen und kleinsten Fragen immer wieder quälend lange Entscheidungsprozesse zu beobachten, so fand man doch regelmäßig (Ausnahme Wahlrechtsreform) zu einem Kompromiss. Das ist Ministerpräsident Winfried Kretschmann und dessen Vize Thomas Strobl zu verdanken, den beiden Stabilitätsankern der Koalition.

Das fiel ihnen umso leichter, als kaum jemals zuvor eine Landesregierung von einer derartigen Finanzwoge getragen wurde wie diese. Geld heilte bisher alle Wunden, die sich Grüne und Schwarze schlugen. Und sonst? Innenminister Strobl verschärfte das Polizeirecht – inhaltlich problematisch, aber immerhin ein gesetzgeberischer Kraftakt. Sozialminister Manfred Lucha meldete sich jüngst mit Eckpunkten für ein Einwanderungsgesetz zu Wort. Ein paar Farbtupfer freilich ergeben noch keine Botschaft.