Zum 55. Jubiläum weiten der deutsche Bundestag und die französische Nationalversammlung den Élyseevertrag aus – gerade die Eurodistrikte in Baden-Württemberg sollen davon profitieren. Eine Partei aber verweigert den Applaus.

Berlin - Nur einmal widerspricht eine Mehrheit des Bundestages an diesem Montag hörbar dem Präsidenten der französischen Nationalversammlung. François de Rugy hat gerade zum 55. Jubiläum des Élysée-Vertrages eine Rede in fast akzentfreiem Deutsch gehalten, die Bedeutung des gegenseitigen Spracherwerbs betont und doch selbstkritisch angemerkt, dass er selbst „noch Fortschritte machen muss“. Da widersprechen viele Abgeordnete lautstark, da sie bereits beim gemeinsamen Frühstück gemerkt haben, dass Dolmetscher so gut wie überflüssig geworden sind im deutsch-französischen Politikbetrieb. „Was Ihre Deutschkenntnisse anbelangt“, sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der als Bewohner des Grenzkreises Offenburg selbst gut Französisch spricht, „haben Sie die Hürde hochgelegt.“ Er selbst zog später am Tag nach – und hielt am Nachmittag seine Rede in der französischen Nationalversammlung in Paris ebenfalls in der Sprache der Gastgeber.

 

Da ist also viel Harmonie an diesem 22. Januar – genau 55 Jahre, nachdem Konrad Adenauer und Charles de Gaulle 1963 ihre historischen Unterschriften leisteten. „Wir sind nicht mehr nur ein Paar“, meint de Rugy, der am späten Nachmittag Gastgeber des deutschen Gegenbesuchs gewesen ist, „unsere beiden Länder sind zu einer Familie geworden.“

„Papa, was ist eigentlich ein Erbfeind?“

Der Sozialdemokrat Achim Post erzählt von seiner Tochter, die in der Schule kürzlich ein Referat über die Montanunion, den Ausgangspunkt der Europäischen Union, schreiben musste. Die 15-Jährige las vom französischen Außenminister Robert Schuman, der den Deutschen anbot, zur Verhinderung künftiger Kriege die Schwerindustrie unter gemeinsame Aufsicht zu stellen, stolperte aber über einen mehrfach wiederkehrenden Begriff und fragte: „Papa, was ist eigentlich ein Erbfeind?“ Diese Wissenslücke macht Vater Post nichts aus. „Wir sind in 55 Jahren weit gekommen“, sagt er im Plenarsaal, „wenn unsere Jugend nicht mehr weiß, was ein Erbfeind ist.“

Weil die deutsch-französische Freundschaft ein „Schatz ist, den es zu pflegen gilt“, wie SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles sagt, geben Bundestag und Nationalversammlung an diesem Tag in wortgleichen Resolutionen den Anstoß für eine Erneuerung des Élysée-Vertrages. Die Parlamente wollen ihre Arbeit stärker aufeinander abstimmen, einen deutsch-französischen Wirtschaftsraum mit gemeinsamen Unternehmensrecht aufs Gleis setzen, vor allem aber den „Alltag der Menschen in den Grenzregionen verbessern“, wie der Konstanzer CDU-Abgeordnete Andreas Jung sagt. Er hat die parlamentarische Initiative in regierungslosen Zeiten angestoßen und gerade aus Baden-Württemberg engagierte Mitstreiter in Gestalt der Grünen Franziska Brantner und des Liberalen Michael Link gewonnen.

Mehr Geld soll fortan in den Jugendaustausch fließen, der auch von den rund 2200 Städtepartnerschaften gepflegt wird. Mehr Schulen sollen ermuntert werden, die deutsch-französische Hochschulreife namens „Abibac“ anzubieten, wie das bislang an 17 baden-württembergischen Gymnasien der Fall ist. Die grenzüberschreitende Infrastruktur bei Energienetzen, Ladestationen für Elektroautos oder der Ausbildungsplatzsuche soll ausgebaut werden.

Kritik von Linke und AfD

Erreichen will die Politik das unter anderem dadurch, dass die sogenannten Eurodistrikte eine rechtliche Sonderstellung erhalten, um beispielsweise „die Trägerschaft von grenzüberschreitenden Einrichtungen wie Kindertagesstätten oder Gesundheitseinrichtungen zu übernehmen und grenzüberschreitenden öffentlichen Nahverkehr zu betreiben“, wie es in der verabschiedeten Resolution heißt. Besonders wichtig ist dies für die vier existierenden Eurodistrikte, denen zahlreiche deutsche Kreise und Kommunen entlang des Oberrheins angehören – von Lörrach über Freiburg, Kehl und Offenburg bis Karlsruhe und Landau.

Dem mögen die Linke und die AfD nicht zustimmen. Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht kritisiert, dass mehr militärische Kooperation angestrebt wird – Aufrüstung sei „nicht die Lehre aus den Schützengräben von Verdun“. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland meint, Frankreichs Ex-Präsident de Gaulle, der doch eigentlich einem „Europa der Vaterländer“ das Wort geredet habe und nicht einem „übernationalen“ Europa, werde bei dieser feierlichen Debatte zum 55. Élysée-Jubiläum „missbraucht“, um die „Vereinigten Staaten von Europa einzuleiten“. Folglich sind die AfD-Abgeordneten auch nicht auf dem für Gauland „nutzlosen Flug nach Paris“ am Nachmittag.

Der Pariser Parlamentspräsident, nach dessen Rede sich die Rechten nicht erheben, hat für diese Ansage schon vorab eine Antwort parat gehabt. „Populismus und nationalistische Bewegungen“, sagte de Rugy, der es daheim mit dem Front National zu tun hat, „bedrohen alle europäischen Nationen.“