Der Verein Freefood hat sich in der Bachstraße in Gerlingen ein besonderes Domizil geschaffen. Die Lebensmittelretter wollen die Menschen noch mehr zusammenbringen.

Die Lebensmittelretterinnen und -retter des Vereins Freefood arbeiten unermüdlich. Wenn sie nicht gerade kisten- und palettenweise Essen von Unternehmen abholen, das sonst im Müll landet und das sie in der Bachstraße kostenlos verteilen, dann packen sie in den Räumen mit an. Seit vorigem Jahr gibt es eine Menge zu tun, denn die Vereinsmitglieder haben aus der ehemaligen Scheune etwas für Gerlingen und die Region Stuttgart Besonderes gemacht: einen Treffpunkt. Der ist nach langem Umbau nun fertig und öffnet an diesem Samstag.

 

Ungewöhnlich ist der Treff mit dem Namen Lebenswert, weil Freefood dort künftig nicht nur wie bisher gerettete Lebensmittel verteilt, sondern auch, weil er allen Menschen ein Plätzchen bietet. Um einfach bloß zu sitzen und zu verweilen, um zu plaudern und sich auszutauschen, um einen Kaffee zu trinken. Es gibt allerdings keinen Konsumzwang, und das Getränk kostet den Gast nur so viel Geld, wie er geben kann, geben will. Oder wie Karin Dullat es formuliert: „Gib’ das, was es dir wert ist.“ So spricht der Verein vor allem auch Menschen mit schmalem Geldbeutel an. „Wir fragen bei den Leuten nicht nach“, betont Karin Dullat. Das gilt auch bei der Ausgabe von Lebensmitteln.

Macher haben viele Pläne und Ideen im Kopf

Karin Dullat berichtet, der Wunsch nach einem Treff sei aus den Reihen der Kundschaft gekommen. Längst ist das Projekt aber auch zum Herzenswunsch des Vereins geworden. Da der Treff eine Küche hat, plant Freefood bald auch Essen anzubieten. Darüber hinaus könnten die Räume und/oder die Fläche draußen gegen eine Spende etwa für Geburtstagsfeiern genutzt werden oder für Trauerfeiern. Workshops mit Kita- und Schulkindern seien ebenso denkbar.

Das Vorbild des im Jahr 2020 gegründeten Gerlinger Vereins ist die „Raupe Immersatt“ in Stuttgart, die bei der Eröffnung vor vier Jahren das bundesweit erste Foodsharing-Café war. Zur Foodsharing-Gruppe zählt sich Freefood als eigenständiger Verein zwar nicht, das Ziel ist jedoch das gleiche: Lebensmittel vor der Mülltonne zu bewahren. Er wisse von keinem weiteren Treffpunkt dieser Art in der Region, sagt Klaus Gottschalk, der Vereinsvorsitzende. Freefood lebt von Spenden und Fördergeldern.

Bis zu 18 Millionen Tonnen Essen lande im Müll – pro Jahr

Den Mitgliedern ist es wichtig, bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit die Menschen in den Mittelpunkt zu rücken. Sie sollen wieder miteinander reden, sagt Karin Dullat und erinnert sich an die Zeit während der Coronapandemie. Mit Abstand, maskentragend, schweigend warteten die Leute in der Schlange auf Lebensmittel. Gleichzeitig wolle Freefood die Menschen zum Umdenken bewegen und ein Bewusstsein für Lebensmittel, für ihre unnötige Verschwendung, für einen anderen Umgang schaffen.

Jedes Jahr landen laut Studien bundesweit zwischen elf und 18 Millionen Tonnen im Müll, wirft jeder Bürger 75 Kilo Essen weg. Bis zum Jahr 2030 will die Bundesregierung die Lebensmittelverschwendung in privaten Haushalten und im Einzelhandel halbieren.

Gut 100 Menschen kommen, wenn Freefood verteilt. Bisher nur freitagnachmittags, künftig zusätzlich dienstags und donnerstags von 15 bis 18 Uhr, wenn auch der Treff öffnet. Die Ausgabe startet meist um 15.30 Uhr. Klaus Gottschalk sagt, wer Lebensmittel abholen will, aber Sorge hat, jemandem was wegzunehmen, der es nötiger hat, kommt ab 16 Uhr. Eine Stunde später seien eventuell noch Reste übrig. Insgesamt seien die Menschen sehr sozial, stellt Karin Dullat fest: „Keiner meckert, wenn zum Beispiel ältere Menschen mit Rollator vor dürfen.“

Der Verein ist in der Stadt angekommen

Der Treff Lebenswert versteht sich obendrein als kreative Heimat. Eine Ecke nutzt Marie Goos. Auch bei ihr dreht sich alles um Wertschätzung, Nachhaltigkeit, das Mit- und Füreinander, außerdem um Heimat. Marie Goos verkauft selbst hergestellte Produkte wie Salze mit Wildkräutern und Seifen aus Kaffeesatz, sie setzt sich aber auch für die Kunst ihres Onkels ein. Reinhold Goos wäre am 2. März 100 Jahre alt geworden und malte Gerlingen, wie es früher war. Seine Kunst hängt nun auch in der Bachstraße, gedruckt auf Tassen, Karten, Taschen.

Freefood, dessen neuer Vize-Vorsitzender der Gemeinderat Dennis Uhl (Junge Gerlinger) ist, ist angekommen. „Wir sind glücklich, dass die Stadt uns so gut annimmt“, sagt Karin Dullat. Sie berichtet von Veranstaltungen wie dem Musiksommer, bei dem Freefood fürs Essen sorgt. „Wir sind eine tolle Gemeinschaft geworden, worauf wir stolz sein können.“ Freefood, gestartet mit elf Gründungsmitgliedern, hat im Ort mittlerweile rund 80 Mitglieder, der Ableger in Göppingen etwa 100. Zu Beginn gehörte Freefood zur Mitmachzentrale im Hirsch. Nach dem Auszug sammelten die Mitglieder die Lebensmittel erst privat im Auto ein, wo sie sie auch verteilten. Gut ein halbes Jahr lang, bis sie eine Garage in der Urbanstraße fanden. Nun ist auch die Geschichte.

Termin

Der Treff Lebenswert öffnet am 1. Juli, 11 Uhr. Bis 20 Uhr spielen in der Bachstraße 13 drei Bands, es gibt Currywurst und Bulgursalat.