Das Landesarbeitsgericht fand keinen Grund, der die Entlassung der Ex-Chef-Controllerin rechtfertigen würde. Nun versucht es die Stadt auf einem anderen Weg. Zunächst wird sie aber kräftig zur Kasse gebeten.

Stuttgart - Die Stadt Stuttgart als Trägerin des Klinikums Stuttgart hat im Zusammenhang mit der Misswirtschaft in der Internationalen Abteilung (IU) ihre Direktorin für Controlling und Finanzen, Antje Groß, zu Unrecht fristlos entlassen. Die außerordentliche Kündigung im Februar 2017 sei unwirksam, hat nach dem Arbeitsgericht Stuttgart im Januar 2018 nun auch Richterin Marion Kaiser für das Landesarbeitsgericht (LAG) festgestellt. Eine Revision wurde nicht zugelassen; eine Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht erscheint Fachleuten wenig erfolgsversprechend.

 

Die Klinikumsspitze wurde umstrukturiert

Das defizitäre Klinikum muss der seit 1995 dort beschäftigten Expertin nun für mehr als zwei Jahre Gehalt in sechsstelliger Höhe plus Zinsen nachbezahlen, obwohl sie dem Haus seit 26 Monaten ihre Arbeitskraft nicht mehr zur Verfügung stellen durfte. Daran wird sich aller Voraussicht nach auch nichts ändern, obwohl das 1995 geschlossene Arbeitsverhältnis fortbesteht. Das LAG hat das Ansinnen von Groß abgewiesen, ihr die Weiterbeschäftigung zu ermöglichen und dies damit begründet, dass es ihren Posten nach einer Umstrukturierung nicht mehr gibt; außerdem stehe ihrem Antrag eine weitere außerordentliche Kündigung vom Februar dieses Jahres entgegen, die im August vor dem Arbeitsgericht verhandelt wird. Ein Gütetermin war gescheitert.

Die Stadt klagt eifrig weiter

Die Stadt und das Klinikum werfen Groß laut Arbeitsgericht vor, für ihr Kündigungsschutzverfahren relevante Betriebsinterna mit Dritten erörtert zu haben. Diese Erkenntnis stammt offenbar aus Unterlagen der Staatsanwaltschaft, die im Frühjahr 2018 bei zahlreichen Mitarbeitern des Klinikums und Geschäftspartnern Durchsuchungen vorgenommen hatte.

Die ehemalige Führungskraft war 2016 nach der Trennung von Ex-Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz im Zuge des Klinikum-Skandals vorübergehend als Interimschefin tätig und sogar für eine Stelle in der neuen Doppelspitze gehandelt worden, bis sich im Frühjahr 2017 plötzlich der Wind drehte. Groß versuchte sich danach gegen Vorwürfe und Verleumdungen aus dem Rathaus, unter anderem gespeist durch Ermittlungsergebnisse des Rechnungsprüfungsamts und der von der Stadt beauftragten Anwaltskanzlei BRP Renaud & Partner, zur Wehr zu setzen; sie suchte deshalb offenbar in ihrer Verzweiflung auch Kontakt zu Stadträten. Der damalige Krankenhausbürgermeister Michael Föll (CDU), der sich seitens des Gemeinderats mittlerweile selbst Vorwürfen (etwa der Vertuschung) ausgesetzt sieht, hatte in einer Mail an die Klinikum-Belegschaft die Kündigungen von Groß und dem ehemaligen IU-Abteilungsleiter Andreas Braun mit „schwerwiegenden Pflichtverletzungen“ begründet und ihnen ihren „inneren moralischen Kompaß“ abgesprochen.

Nur ein Vorwurf könnte berechtigt sein – aber nicht kündigungsrelevant

In Bezug auf Antje Groß vermochte Richterin Kaiser Fölls Unterstellung nach Prüfung der diversen Vorwürfe nicht bestätigen. Die Chef-Controllerin sei entweder fachlich gar nicht zuständig gewesen oder sie habe nicht pflichtwidrig gehandelt. Übrig geblieben sei ein Verstoß, dieser rechtfertige aber keine Kündigung. Es geht um die Abzeichnung einer vom Abteilungsleiter Braun bereits genehmigten Auszahlung in Höhe von 832 000 Euro an eine libysche Firma. Ihre Unterschrift will Groß aber nicht leichtfertig geleistet haben, sondern erst nach Rücksprache mit der zuständigen Bereichs-Controllerin und Braun, der die Dringlichkeit der Zahlung bestätigt habe. Schließlich ging es um die Behandlung hunderter libyscher Kriegsversehrter, eine Aktion, die der Rathausspitze durchaus geeignet erschien, sich in einem positiven Licht präsentieren zu können.

Stefan Nägele, Anwalt von Antje Groß, bewertete das Urteil als „großartige Entscheidung“. Es mache deutlich, dass das Gros der Vorwürfe von vornherein unberechtigt gewesen sei. Übrig sei ein Sachverhalt geblieben, in dem sich seine Mandantin möglicherweise nicht in jeder Hinsicht von strikter Vorsicht habe leiten lassen. Er sprach von einer Hexenjagd.

Bisher nur Niederlagen und hohe Kosten für die Stadt

Für die Rathausspitze und die Anwaltskanzlei BRP Renaud & Partner war es die vierte Niederlage in der vierten Verhandlung in zwei Instanzen. Zuvor war bereits die fristlose Kündigung von Andreas Braun für unwirksam erachtet worden. In den bisherigen Fällen waren die Richter zum Schluss gekommen, die Stadt habe nicht zügig genug ermittelt, nachdem sie Kenntnis von vermeintlichen Verfehlungen erlangt hatte und die 14-Tages-Frist für eine außerordentliche Kündigung verstreichen lassen. Eine Mehrheit im gemeinderätlichen Akteneinsichtsausschuss hat der Rathausspitze Schlamperei attestiert, in deren Folge der allein verantwortliche Ex-Geschäftsführer Schmitz nicht gefeuert werden konnte, sondern mit einem goldenen Handschlag verabschieden werden musste. OB Fritz Kuhn (Grüne) hat sich zudem entschuldigen müssen, den Gemeinderat nicht informiert zu haben. Die angekündigten Zwischenberichte des Ausschusses zur Misswirtschaft bei der Behandlung libyscher Kriegsversehrter und einer Kooperation mit dem kuwaitischen Gesundheitsministerium lassen weitere Vorwürfe gegen Kuhn und seinen ins Kultusministerium abgewanderten Ex-Stellvertreter Föll erwarten.