Seit über einem Jahr zeigt die „Klimazentrale“, wie normal das Wetter in Stuttgart und der Region ist. Die Daten erzählen eine Geschichte des Wetters – und wie sich die Menschen an dessen zunehmende Extreme anpassen.

Digital Desk: Simon Koenigsdorff (sko)

Ungewöhnliche Hitze im Sommer, ein besonders verregnetes Frühjahr? Das Datenprojekt „Klimazentrale Stuttgart“ zeigt für die Region Stuttgart seit mehr als einem Jahr täglich, ob das Wetter im historischen Vergleich normal ist oder nicht – und macht so transparent, wie der Klimawandel inzwischen auch das Wetter hierzulande verändert. Zeit für eine erste Bilanz: Welche Erkenntnisse über Wetter und Klima in der Landeshauptstadt hat die vollautomatische Datenauswertung in einem Jahr ermöglicht? Und welche Veränderungen folgen in der Stadt auf den fortschreitenden Klimawandel? Wir geben sechs Beispiele.

 

1. Der Sommer 2022 war extrem

An der Hitze kam im vergangenen Jahr niemand vorbei. Bereits zum Start der Klimazentrale Mitte Mai – und damit sehr früh im Jahr – überschritten die Temperaturen in Stuttgart die 30-Grad-Grenze. Was folgte, war ein Hitzesommer, der in jeder Hinsicht extrem ausfiel. An manchen Orten in Deutschland wurden mehr als 40 Grad gemessen, in Stuttgart selbst erreichten die Temperaturen Anfang August bereits zum wiederholten Mal die 35-Grad-Grenze. Die Daten der Klimazentrale zeigten: Solche Temperaturen kamen in früheren Jahrzehnten in der Landeshauptstadt so gut wie nie vor – inzwischen jedoch mit einer gewissen Regelmäßigkeit in heißen Sommern.

Auch wenn solche Extreme nicht ständig auftreten – wenn die enorme Hitze einmal da ist, ruft sie ins Bewusstsein, dass solche Belastungen für Mensch und Natur mit dem Klimawandel immer häufiger auftreten werden und dass sie inzwischen überhaupt nicht mehr die absolute Ausnahme sind. Laut Forschern wie Friederike Otto vom Imperial College in London treten inzwischen Hitzewellen auf, die früher völlig unmöglich gewesen wären – und es ist klar, dass Hitzewellen häufiger, länger und stärker geworden sind.

2. Kommunen müssen sich anpassen – auch Stuttgart

Auf lange Sicht hilft gegen zunehmende Hitze, klimaschädliche CO2-Emissionen zu reduzieren und so die Zunahme an Wetterextremen zu bremsen. Mitten im Hitzesommer 2022 fällte der Gemeinderat die Entscheidung, Stuttgart bereits bis 2035 klimaneutral machen zu wollen – ein geradezu symbolischer Zeitpunkt.

Doch trotzdem ist die Klimakrise bereits da und fordert auch von Kommunen ein, sich schon jetzt mit Schutz und Anpassung zu beschäftigen. Denn Hitze wird auch hierzulande zur Gefahr. Gerade für ältere und kranke Menschen oder jene, die Sonne und Hitze nicht ausweichen können – sei es, weil sie obdachlos sind oder weil sie draußen arbeiten müssen.

Die Klimazentrale-Daten haben immer wieder deutlich gemacht: In Stuttgart, wo sich der dicht bebaute Talkessel besonders stark aufheizen kann, hat die Zahl der Hitzetage mit mindestens 30 Grad von den 1960er Jahren bis heute deutlich zugenommen. In den extremsten Sommern waren es in der Innenstadt 43 (im „Jahrhundertsommer“ 2003) und 41 (im Jahr 2018), der Sommer 2022 erreichte mit 36 die drittmeisten heißen Tage. Und Klimaprognosen zeigen: Die Hitzebelastung wird weiter zunehmen, erst recht, wenn der Klimawandel ungebremst fortschreitet.

In der Landeshauptstadt arbeitet man angesichts solcher Erkenntnisse inzwischen an einem sogenannten Hitzeaktionsplan. In den Haushaltsberatungen für 2022 war er noch durchgefallen. Solche Pläne sollen helfen, gefährdete Menschen zu schützen – doch bisher gibt es sie nur in wenigen Kommunen, in Baden-Württemberg beispielsweise in Mannheim, Karlsruhe und Freiburg. Kürzlich hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zudem einen nationalen Hitzeschutzplan angekündigt.

Auch Stuttgart selbst soll sich verändern – zumindest, wenn es nach Experten wie Rainer Kapp geht, dem Stuttgarter Stadtklimatologen. Dazu gehört vor allem: Mehr Grün. Denn Pflanzen an Hausfassaden und vor allem Bäume spenden Schatten und Kühle, um die Hitze im Sommer erträglicher zu machen. Das Konzept der „Schwammstadt“ soll in einer Kombination aus Pflanzen und Sickermöglichkeiten dafür sorgen, dass Wasser besser gespeichert wird – um es nicht zu verschwenden, aber auch, um Starkregen besser aufzufangen.

3. In Stuttgart fährt nun im Sommer ein Hitzebus

Dass die extreme Hitze im Sommer 2022 bereits konkrete Reaktionen hervorrief, zeigt das Beispiel des Hitzebus: Im Juli brachte Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann den Bus des Roten Kreuzes als kurzfristige Hilfe auf den Weg. Nach einer Testphase fiel die Entscheidung, den Hitzebus regelmäßig auf die Straße zu schicken – auch, nachdem diese Redaktion über die Idee aus anderen Städten berichtet hatte und das Konzept auf Zustimmung unter sozialen Einrichtungen gestoßen war.

Der Bus fährt bei Hitze durch die Stadt, die Freiwilligen des DRK verteilen dann Wasser, Sonnencreme und Mützen an Obdachlose und andere Bedürftige und geben Hinweise auf schattige und kühle Orte. Zum Start hieß es, man konzentriere sich auf die Innenstadt, Bad Cannstatt und Feuerbach, weil dort mit den meisten Betroffenen zu rechnen sei. Ähnliche Busse gab es zuvor bereits in Hamburg und Berlin, um betroffene Personengruppen direkter anzusprechen.

4. Im Jahr 2022 war fast jeder zweite Tag nicht normal

Der erste Jahresrückblick auf die Klimazentrale-Daten zeigte Ende Dezember: Mehr als vier von zehn Tagen waren im vergangenen Jahr ungewöhnlich warm, gemessen daran, was in den Jahrzehnten von 1961 bis 1990 normal war. Zu kalt waren nur sechs Prozent der Tage – rund 43 Prozent hingegen zu warm. Normal heißt hier: Die Temperatur lag am jeweiligen Tag in dem Bereich, der auch in den meisten früheren Jahren auftrat – die wärmsten und kältesten 20 Prozent der Vergleichsjahre nicht mitgerechnet, weil sonst die immer vorhandenen Wetterschwankungen das Bild verzerren.

Das, was frühere Generationen als normales Wetter erlebt haben, hat sich verändert. Das zeigt der Vergleich mit den Jahren 1991 bis 2020: Hier lagen im vergangenen Jahr mit knapp 60 Prozent deutlich mehr Tage im Normalbereich als im Vergleich mit dem früheren Vergleichszeitraum (1961-1990). Dennoch war immer noch rund jeder dritte Tag zu warm.

5. Wärmerekorde gibt es auch im Winter

Silvester im T-Shirt – das extrem milde Wetter um den Jahreswechsel 2022/2023 machte es möglich. Die Daten der Klimazentrale zeigten hier eindrücklich, welche Rekordtemperaturen für die Jahreszeit in diesen Tagen herrschten. Prognostiziert hatte man in den Tagen zuvor noch über 20 Grad – doch auch wenn am Schnarrenberg schlussendlich am 31. Dezember nur 19,1 Grad gemessen wurden, übertraf die Temperatur den bisherigen Silvesterrekord um knapp fünf Grad und den Dezemberrekord um knapp zwei Grad. Warme Luft aus Südeuropa war der Auslöser. Dass sich solche Wetterlagen zunehmend verfestigen, ist eine der Folgen des Klimawandels.

Besonders augenfällig war dabei der Kontrast zur eisigen Kältewelle Mitte Dezember – doch insgesamt fiel der vergangene Winter laut Deutschem Wetterdienst deutlich zu warm aus, speziell im Südwesten fiel zu wenig Regen.

6. Unsere Wahrnehmung deckt sich nicht immer mit den Daten

Ob es gerade zu warm oder zu kalt, zu nass oder zu trocken ist, haben viele Menschen im Gefühl, wenn sie aus dem Haus treten. Nicht immer passt dieses Gefühl aber zu den Daten, die Projekte wie die Klimazentrale auswerten – denn an das Wetter vergangener Jahre erinnern Menschen sich oft nur ausschnittsweise.

Den Eindruck eines zu kalten Frühjahrs 2023, den viele Menschen hatten, bestätigte der langjährige Vergleich nicht: Nur ein kleiner Teil der Tage von Jahresbeginn bis April war ungewöhnlich kalt, mehr noch lagen sogar über dem Normalbereich – doch der Großteil der Tage war normal. Und zwar sowohl im Vergleich mit dem Wetter früherer Jahrzehnte (1961 bis 1990) als auch mit den letzten Jahren. Insgesamt fiel nur der April deutlich kälter aus als in den vergangenen drei Jahrzehnten (1991 bis 2020) gemessen.

Dabei zeigt sich erneut: Es kommt immer darauf an, welchen Maßstab man an das aktuelle Wetter anlegt. Im Vergleich mit den vergangenen drei Jahrzehnten, die bereits geprägt waren von höheren Temperaturen und unbeständigeren Niederschlägen, kann kühles oder nasses Wetter heutzutage auffällig wirken. In der Jugendzeit der aktuellen Eltern- oder Großelterngenerationen wäre es hingegen als völlig erwartbar durchgegangen.

Ähnliches gilt für den Beginn der sommerlichen Temperaturen, unter Meteorologen gemessen an den Tagen mit 25 Grad oder mehr: Der erste Tag, an dem es so warm wurde, kam in diesem Jahr in Stuttgart relativ spät – am 21. Mai.

Besonders außergewöhnlich war das im historischen Vergleich jedoch keineswegs. Trotzdem wirkte der Sommeranfang zögerlich, denn im Jahr zuvor hatte schließlich um diese Zeit bereits die erste Hitzewelle mit über 30 Grad Stuttgart überrollt.

Klimazentrale Stuttgart

Dieser Artikel ist Teil des Wetter- und Klimamonitors von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten. Wir stellen für alle Orte in der Metropolregion Stuttgart Daten von amtlichen Wetterstationen zur Verfügung und vergleichen sie automatisiert mit Langzeitmessreihen: Ist das Wetter heute ungewöhnlich oder nicht?

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