Professor Ortwin Renn vom Institut für Sozialwissenschaften an der Uni Stuttgart kennt die Mechanismen der Furcht.

Stuttgart - Professor Ortwin Renn vom Institut für Sozialwissenschaften an der Uni Stuttgart spricht über die Mechanismen der Furcht.

Lohnt es sich überhaupt heutzutage, Angst zu haben?


Wir fürchten uns vor vielen Dingen, die relativ harmlos sind. Und viele Dinge, vor denen wir keine Angst haben, sind dafür sehr gefährlich. Lebensmittel sind ein gutes Beispiel. Menschen fürchten sich etwa vor Vergiftungen durch Pestizidrückstände oder durch chemische Konservierungsstoffe. Dabei sind das vergleichsweise harmlose Risiken. Es sterben viel mehr Menschen an Salmonellen-, Kolibakterien- oder Schimmelvergiftungen. Das sind jedoch natürliche Risikofaktoren, die oft unterschätzt werden, weil uns das Natürliche harmlos erscheint.

Warum haben Menschen Angst?


Das ist evolutionär bedingt. Der Sinn der Angst ist es, die Aufmerksamkeit zu erhöhen, um schnell reagieren zu können. Der Blutdruck steigt an, der Körper geht unbewusst in Habachtstellung. Das war vor allem zu der Zeit notwendig, als die Menschen als Sammler und Jäger unterwegs waren und es mit gefährlichen Tieren zu tun hatten. Es gibt drei Reaktionsmuster, die in einem Angstzustand automatisch zum Zug kommen: flüchten, kämpfen oder totstellen. Das haben alle Säugetiere gemeinsam, und diese Reaktionen sind bis heute in uns tief verwurzelt.

In welchen Situationen stellen wir uns tot?


Zum Beispiel im Auto, wenn eine unvorhergesehene Situation eintritt, etwa ein Tier vors Auto läuft. Da kommt es zur Schrecksekunde. Statistiker haben ausgerechnet, dass es gut 1,2 Sekunden dauert, bis man auf die Bremse tritt. Man ist erst mal erstarrt. Das gibt es auch woanders, zum Beispiel beim Ballspielen: wenn ich nicht damit rechne, dass der Ball kommt, erschrecke ich, und schon habe ich ihn am Kopf.

Vor was fürchten wir uns generell?


Vor dem Ungewissen und der Vorstellung, dass uns eine Gefahr plötzlich treffen könnte. Gibt es wenig Reales, holt sich die Angst Fantasiegestalten wie Gespenster.

Und warum fürchten wir uns im Dunkeln?


In dem Moment, wo ich keine volle Orientierung mehr habe, arbeitet meine Vorstellungskraft umso intensiver. Wenn ich durch den dunklen Wald laufe, stelle ich mir vor, dass hinter dem Baum eine Gefahr lauern könnte. Ich wappne mich unbewusst für diese Situation.

Sind alle Ängste begründet?


Angst ist ein sinnvoller Wegweiser, sie zeigt Gefahren an. Angst kann aber auch lähmend sein, dann ist sie nicht mehr begründet. Es gibt Menschen mit Phobien, dann trägt das Angstgefühl pathologische Züge und muss möglicherweise psychotherapeutisch behandelt werden. In wohlhabenden Gesellschaften finden wir mehr unbegründete Ängste, weil es kaum reale Gefahren gibt. Wir leben sicherer, haben aber das Gefühl, mehr Risiken ausgesetzt zu sein.

Angsthasen haben keinen guten Ruf. Warum ist Angst ein Zeichen von Schwäche?


Das kommt aus der Zeit der Sammler und Jäger. Früher mussten die Männer auf die Jagd gehen. Dabei war es nötig, dass jeder dasselbe Maß an Mut mitbrachte. Deshalb gab es schon damals Mutproben. Das wirkt bis heute nach und gilt vor allem für Jungs.