Fleißig, bodenständig, erfolgreich: der 1. FC Heidenheim sorgt mit seinen schwäbischen Tugenden für Furore. Der Aufsteiger mischt nach zehn Spieltagen in der zweiten Liga überraschend vorne mit. Am Sonntag gastiert die Mannschaft beim Tabellenführer Ingolstadt.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Heidenheim - Wenn einer durchdreht, zeigt Holger Sanwald auf die Gegentribüne. Im Meer der roten Schalensitze stechen dort einige in blau gehaltene Plätze heraus. Links davon ist um „Liko’s Kiosk“ virtuos die neue Tribüne der „Voith-Arena“ gebaut. Es ist ein Mahnmal vielleicht, zumindest aber ein Symbol. So hat alles angefangen. Mit Wurst und Bier und diesen paar Sitzen. Das gab es hier, als sich der 1. FC Heidenheim aufmachte, die Fußballwelt zu erobern. Einen Dorfsportplatz, mit der Aussicht auf Kühe und Schafe, die hinter dem Platz grasten, statt großer Perspektive. Damals, 1994. Sanwald ist der Geschäftsführer des Fußball-Zweitligisten. Er sitzt in einer Businessloge des schmucken neuen Stadions und trinkt einen Kakao. Viel Holz haben sie hier verbaut, alles ist hochwertig, aber nicht dekadent. „Wir bauen keine Luftschlösser“, sagt Sanwald.

 

Ein Masterplan führt den Club in die zweite Liga

Holger Sanwald ist seit 20 Jahren hier. Er hat das Amt damals übernommen, als es keiner wollte. Die Mannschaft spielte in der Landesliga, mehr schlecht als recht. Den Klassenverbleib schaffen und, wenn möglich, vor den Rivalen aus Giengen und Großkuchen landen. Soll das alles gewesen sein? Sanwald sprach von der Oberliga, Alteingesessene rümpften die Nase. 2004 waren sie dort. Soll das alles gewesen sein? Das Präsidium ging in Klausur nach Oberjoch und entwickelte einen Masterplan, der in der zweiten Liga enden sollte. Vier Aufstiege in zehn Jahren. Heute sind sie am Ziel. Aber nicht am Ende: „Wir wollen uns etablieren“, sagt Sanwald.

Der 1. FC Heidenheim ist nach zehn Spieltagen Vierter. Ein Grund zur Freude. Aber kein Grund zum Durchdrehen. 16 Punkte hat die Mannschaft von Trainer Frank Schmidt bisher gesammelt, 20 Tore erzielt, so viele wie kein anderer Zweitligist. 5:0 gegen Bochum. 3:0 gegen Nürnberg. Vor wenigen Monaten ging es noch gegen den BVB II. „Die Euphorie ist riesig“, sagt Sanwald: „Aber es kann schnell gehen.“ Es sind 16 Punkte gegen den Abstieg.

Der 1. FC Heidenheim hat sich einen Namen gemacht

Am Sonntag (13.30 Uhr) geht es gegen Ingolstadt, den Tabellenführer. Das Spitzenspiel. Zuvor, am Samstag, trifft der Dritte Kaiserslautern auf den Zweiten Düsseldorf. Hier die neue Fußballwelt, dort die alte. Spitzenspiele der Generationen. In diesen Tagen ist viel von Tradition die Rede, neue Namen drängen in die limitierten Ligen und verdrängen die, die dachten, dass es ein Gewohnheitsrecht gäbe. Fußballfans sind strukturkonservativ. Was es schon immer gab, ist gut. Was neu ist, ist schlecht. Holger Sanwald kann damit, natürlich, wenig anfangen. „Ohne Wandel wäre es doch langweilig.“ Im Februar fragte die „Hamburger Morgenpost“ in Richtung des taumelnden HSV in dicken Balken: „Wollt ihr HIER wirklich hin?“ und druckte die Ortschilder von Aue, Sandhausen, Aalen und Heidenheim ab. Eine Industriestadt, 46 000 Einwohner, zwischen Ulm und Aalen auf der Ostalb gelegen. Schwäbische Provinz. Sie wurden im Fußball anfangs belächelt. Heidenheim? Ist jwd, janz weit draußen. Das Kfz-Kennzeichen „HDH“ steht laut Spöttern für „Hinter den Hügeln“. Mittlerweile haben sie sich einen Namen gemacht. Die Stadt kommt dank des 1. FC langsam auf die Landkarte. „Wir haben uns das erarbeitet“, sagt Sanwald.

Arbeit. Immer wieder fällt dieses Wort. Es ist die DNA dieses Vereins und seines Umfeldes. Sie haben zügig die Treppe genommen, heißt es hier. Nicht den Aufzug in Richtung Profifußball. „Wir sind solide gewachsen“, sagt Holger Sanwald. Es hat alles gedauert. Zehn Jahre, bis sie die Oberliga erreicht hatten, zehn Jahre, bis sie die zweite Liga erreicht haben. Zweimal sind sie knapp am Aufstieg in Liga zwei gescheitert, im dritten Anlauf in diesem Sommer klappte es dann. Im Nachhinein war es gut so, so konnte sich alles weiter entwickeln, der Verein, das Team. Damals, im Mai 2013, als sie wieder scheiterten, war es einfach nur schmerzhaft, weil es keine Garantie gab, dass es überhaupt irgendwann klappt.

Ohne Geld geht es nicht im Fußball. Nicht in Heidenheim. Nicht sonstwo auf der Welt. Es haben sich hier an der Brenz über die Jahre Personen gesucht und gefunden. Der Verein wollte hoch, die Wirtschaft wollte die Attraktivität des Standorts erhöhen, die lokale Politik erkannte das Potenzial des Fußballs. Die Basis ist entsprechend breit. 300 Sponsoren hat die Vereinsführung akquiriert. Der Etat ist heute bei 15 Millionen Euro angelangt, was aber nur unteres Zweitliganiveau ist. Mitaufsteiger Leipzig hat angeblich 30 Millionen.

Regionale Unternehmen bilden die solide Basis

Der 1. FC Heidenheim ist der Schauraum des Mittelstands. In den Businesslogen tummeln sich die regionalen Unternehmer, Netzwerke werden gepflegt, es ist der Treffpunkt der schwäbischen Schaffer. Der Mittelstand ist das Rückgrat der Wirtschaft des Südwestens. Weltmarktführer sind hier zu Hause, von denen die meisten Menschen noch nie etwas gehört haben. Und das hier, das ist auch ein bisschen ihr Club. „Wir stehen für nachhaltige, seriöse Arbeit“, sagt Sanwald.

Und für Kontinuität auf allen Ebenen. Der Trainer und Erfolgsgarant Frank Schmidt, 40, ist 300 Meter vom Stadion entfernt auf die Welt gekommen, in der Klinik auf dem Schlossberg. Er hat hier von 2003 bis 2007 gespielt, damals, als die Fußballabteilung noch Teil des Heidenheimer SB war. 2007 spalteten sich die Kicker ab, die Geburt des 1. FC Heidenheim. Schmidt wurde Trainer, und ist es bis heute. Seine gute Arbeit hat Begehrlichkeiten geweckt, zwei konkrete Angebot soll er gehabt haben. Er hat es sich angehört, und er hat abgesagt. Und hat seinen Vertrag bis 2020 verlängert: „Ich will und kann nicht wechseln.“ Der 1. FC lebt seine Philosophie. Ein junges Team, deutsche Spieler, im Idealfall aus der Region, dazu einige Profis, die andernorts Probleme hatten. Und immer Vollgas. Geraderaus und ehrlich wollen sie spielen, getreu des Vereinsmottos. Allen voran Marc Schnatterer, 28. Sechsmal hat er bisher getroffen, den Vertrag bis 2020 verlängert. „Wir sind nicht die Caritas“, sagt Sanwald: „Aber wir legen Wert auf ein familiäres Klima.“

Die Kapazität des Stadions wird erhöht

Am Montag hat die nächste Ausbaustufe begonnen. Das Stadion wird erweitert, die offenen Ecken links und rechts neben der Haupttribüne werden erschlossen, die Kapazität der Arena erhöht sich dann von 13 000 auf die geforderten 15 000. Wenn es perfekt läuft, könnte es schon zur Rückrunde so weit sein. Der Bedarf ist da. Dreimal war das Stadion ausverkauft, zweimal waren je 11 500 Besucher da. 29 Millionen Euro wird das Stadion dann gekostet haben, 17,5 Millionen davon hat die Stadt Heidenheim zugeschossen. Ohne die Gemeinde und den OB Bernhard Ilg wäre der Alb-Traum nie Realität geworden.

Wie auch diese Partie, die schon jetzt die Ostalb elektrisiert: Am 5. Dezember geht es zu Hause gegen den Erzrivalen, den VfR Aalen. Das B-19-Derby. Das Spiel ist ausverkauft. Der VfR spielt seine dritte Saison in der zweiten Liga, er ist der Platzhirsch. Noch? Die Ostalb, sagt Holger Sanwald, ist groß genug für zwei Zweitligisten. „Konkurrenz belebt das Geschäft.“