Dass sie zu Beginn ihrer Karriere heitere, gelegentlich auch nichtige Tagesschlager sang, hat Kritiker zur Fehleinschätzung verführt, man könne diese Phase als fast schon peinliche Aufwärmzeit vernachlässigen. Aber Ellas oft mitreißend lebendige Varianten schlichter Lieder sind gerade als Verweigerung interessant, als konsequentes Heiterbleiben da, wo theatralische Kummersimulation nahegelegen hätte.

 

Eine andere Weltsicht

Es war der Produzent Norman Granz, der erkannte, welches Material für diese Ella Fitzgerald ideal war: das Great American Songbook, das Repertoire aus den großen Broadway-Musicals also. Aber nicht einfach ein eingestreutes Liedchen hie und da, sondern eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Werken von Cole Porter, Irving Berlin, George Gershwin und anderen. 1956 begann die Maßstäbe setzende Reihe der „Songbook“-Alben, und wie Ella sich da Wortwitz und Perspektivfinessen, Ironie und Zuversicht, Sarkasmus und Eleganz einer raffinierten weißen und urbanen Weltsicht aneignete, wie sie die zu neuen Höhen führte, das war auch ein politischer Akt: Eine Afroamerikanerin ließ alle Klischees hinter sich und eroberte ein weißes bürgerliches Leben, besetzte souverän weiße Gefühls– und Gedankenräume.

Ellas Platten für Verve sind eine Schule des Herzens und der Gewitztheit, und natürlich wunderbare Rundflüge durch die Sphäre purer Freude am Moment. Man darf das Urteil also noch eine Weile stehen lassen: Sie war die größte aller Jazzsängerinnen.