Der Historiker Nils Havemann sagt im StZ-Interview: „Eine Klage über den Kommerz im Fußball ist unsinnig, wenn man bedenkt, dass jedes Jahr Hunderte Millionen Euro aus der Bundesliga an den Staat fließen.“

Stuttgart - – Am Samstag vor 50 Jahren ist die Fußball-Bundesliga in ihre erste Saison gestartet, die mit der Meisterschaft des 1. FC Köln und Platz fünf für den VfB Stuttgart endete. Der Stuttgarter Historiker Nils Havemann, der ein Buch über die Geschichte der Liga veröffentlicht hat, erklärt, warum von der Bundesliga nicht alle Vereine begeistert waren – und warum man die Anfangsjahre nicht verklären sollte.
Herr Havemann, würden Sie dem Satz, dass der 24. August 1963 der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte war, zustimmen?
Eine Erfolgsgeschichte war es sicher, aber es gab zugleich viele Krisen im Verlauf der vergangenen fünfzig Jahre, die die Bundesliga auch in den Ruin hätten treiben können. Und das lag vor allem daran, wie die Clubs zeitweise gewirtschaftet haben.
Was war denn die erste große Krise?
Die erste Krise setzte schon Ende der 60er Jahre ein, als 14 von 18 Vereine im Grunde insolvent waren. Die Clubs hatten schlicht zu viel Geld ausgegeben, vor allem weil sie unter der Hand zu hohe Gehälter bezahlten. Letztlich konnten sie so nur durch den Staat – und damit durch den Steuerzahler – vor dem Bankrott gerettet werden.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass wirtschaftliche Gründe auch dafür ausschlaggebend waren, dass die Gründung der Bundesliga vergleichsweise spät erfolgte.
Alle anderen Fußballnationen in Europa hatten Anfang der 60er Jahre längst eine landesweite Profiliga. In Deutschland war eine solche Liga bereits Anfang der 30er Jahre geplant worden und dann nochmals Ende der 30er Jahre; aber diese Ansätze scheiterten vornehmlich am deutschen Steuerrecht und am Widerstand der Vereine, die auf ihre Steuerprivilegien pochten. Die Vereine wollten das Prinzip der Gemeinnützigkeit erhalten, mit dem erhebliche steuerliche Vorteile verbunden waren. Profispieler und eine Bundesliga hätten gegen dieses Prinzip verstoßen.
Gab es denn in den 50er und 60er Jahren schon so etwas wie Profifußball?
Im Grunde waren damals die Spieler der großen Vereine allesamt Profis – wenn auch nicht in dem Sinne, in dem wir heute von Profis sprechen. Aber aus der damaligen Perspektive waren das eindeutig Profis, nämlich Spieler, die ihr Einkommen vornehmlich mit dem Fußball verdienten, viel Geld unter der Hand bekamen und oft nur zum Schein zivilen Berufen nachgingen.
Und mit diesem Schein war dann Schluss, als die Bundesliga an den Start ging?
Nein, die Gemeinnützigkeit konnte erhalten werden, da es offiziell nach wie vor keine Profis gab. Der DFB legte großen Wert darauf, die Bundesligaspieler als „Lizenzspieler“ zu bezeichnen – und nicht als „Profis“. Letzteres hätte die steuerlichen Privilegien, die der DFB und die Vereine weiterhin genossen, juristisch angreifbar gemacht. Deswegen versuchte der Verband, in der Öffentlichkeit die Rede vom Profispieler zu vermeiden, obwohl der längst Realität war.
Das klingt so, als könne man dem DFB eine recht scheinheilige Haltung vorwerfen .
Ja – allerdings war das bedingt durch das komplizierte und teilweise auch absurde deutsche Steuerrecht, das dazu verleitet, solche Konstruktionen zu ersinnen.
Nicht alle Vereine waren von dem Plan, eine Bundesliga zu gründen, begeistert. Wie verliefen die Frontlinien zwischen den Clubs?
Das wechselte ständig hin und her– abhängig von der jeweiligen wirtschaftlichen und sportlichen Verfassung der Vereine. Damals gab es ja mehr als 70 Oberligisten, die formal erstklassig waren; von ihnen sind dann nur 16 in der Bundesliga gestartet. Viele Vereine mussten also um ihr Prestige bangen. Deswegen gingen die Bestrebungen zur Gründung der Bundesliga von den sportlich und wirtschaftlich einigermaßen gesunden Clubs aus – während das Gros der Oberligisten befürchtete, in die sportliche Zweitklassigkeit degradiert zu werden.
Und letztlich haben sich die großen Vereine durchgesetzt?
Ja – auch weil der Druck von den Finanzbehörden enorm groß geworden war. Denn diesen war Ende der 50er Jahre zunehmend aufgefallen, dass sehr viel Schwarzgeld floss, sodass endlich „saubere Verhältnisse“ herbeigeführt werden sollten. Deswegen waren die großen Vereine, die häufig mit den Fahndungsbehörden in Konflikt gerieten, bestrebt, eine Bundesliga zu gründen – auch, um mehr Freiraum zu haben was die Höhe der Spielergehälter angeht. Wobei auch nach der Gründung der Bundesliga die Gehälter so schnell stiegen, dass die formal erhöhten Obergrenzen ständig überschritten wurden.
Wie hat man damals überhaupt ermittelt, wer in der Bundesliga starten darf?
Es wurde ein Kriterienkatalog aufgestellt, bei dem es um die sportlichen Resultate der Vorjahre, aber auch um technische Voraussetzungen ging. Wichtig war zudem ein regionaler Proporz. Der DFB war bemüht, alle regionalen Teile des Verbandes bei der Zusammensetzung der Bundesliga zu berücksichtigen. Das führte dann auch zu massiven Protesten, als der DFB bekannt gab, wer in die Bundesliga hinein darf und wer nicht. Ein Verein wie Alemannia Aachen etwa hätte durchaus in die Bundesliga gehört, musste aber aus geografischen Gründen anderen Vereinen weichen. Zudem wurden auch Intrigen hinter den Kulissen gespielt. Ein lupenreines Verfahren war das also nicht.
Welchen Stellenwert hatte denn der Fußball in Deutschland zu Beginn der 60er Jahre?
Der Fußball galt damals, in einer bildungsbürgerlich geprägten Gesellschaft, vielen eher als ein billiges Massenvergnügen – weshalb beispielsweise Politiker anders als heute weit davon entfernt waren, auf die Tribünen der Stadien zu drängen. Das hatte damit zu tun, dass der Fußball damals noch eher als proletenhaft galt und noch nicht in den Rang der Kultur aufgestiegen war.
Wieso hat sich das verändert?
Zum einen wegen des Aufstiegs des Fernsehens: dadurch wurde der Breite der Bevölkerung bewusst, welche emotionale Tiefenwirkung ein Fußballspiel haben kann. Zudem konnte man sich durch das Fernsehen auch sehr gut präsentieren, weswegen Politiker sich auf einmal bei Spielen in den Vordergrund drängten. Der zweite Grund für den phänomenalen Aufstieg dieses Sports lag in der geschickten Politik des DFB, der stets in der Lage war, auf die Erwartungshaltung der Politik und der Mehrheitsgesellschaft einzugehen. Dadurch wurde der Fußball immer populärer.
Es ist also vor allem Resultat der ausgeklügelten Vermarktung des DFB, dass ausgerechnet Fußball heute so populär ist?
Man muss natürlich schon sagen, dass der wesentliche Grund dafür in der Attraktivität des Spiels liegt. Es hätten allerdings auch andere Sportarten zumindest einen ähnlichen Stellenwert erreichen können. Beim DFB waren jedoch schon immer clevere Volkswirte und Juristen am Werk, die es verstanden haben, ihren Sport sehr gut zu vermarkten und dadurch seine Position ständig zu stärken. Wobei aber auch der DFB im Laufe seiner langen Geschichte viele Fehler begangen hat.
Wenn man sich die Anfänge der Bundesliga vergegenwärtigt und mit dem heutigen hochkommerzialisierten Betrieb vergleicht: Können Sie es da nachvollziehen, dass sich manche nach den Zeiten zurücksehnen, in denen sich noch nicht alles ums Geld drehte?
Nein, denn dieser nostalgische Blick zurück verkennt, dass damals die kommerziellen Aktivitäten lediglich besser versteckt wurden. Schon in den zwanziger Jahren war das Spiel für damalige Maßstäbe extrem durchkommerzialisiert, auch wenn man sich das heute gar nicht mehr vorstellen kann. Auch damals gab es schon vierzig- oder fünfzigtausend Zuschauer in den Stadien, die Unternehmen rollten ihre Werbebanderolen aus, und am Rande der Spiele wurden Geschäfte gemacht. Man verkaufte sogar Zigaretten mit den Porträts der großen Stars, die auch damals schon gutes Geld verdient haben. Diese Entwicklung hat sich mit dem Anstieg der Vermarktungsmöglichkeiten nur weiter verstärkt.
Das heißt also, dass die Anfangsjahre der Bundesliga oft verklärt werden?
Ja, das ist eine ahistorische Perspektive, die von einer Generation an die nächste weitergegeben wird – nach dem Motto: früher war alles besser, früher war alles moralischer. Für den Fußball gilt das jedenfalls nicht. Das stimmte vielleicht noch in den allerersten Anfangsjahren, Ende des 19. Jahrhunderts, als der Fußball aus England nach Deutschland kam. Aber schon in den zwanziger Jahren setzte die Kommerzialisierung des Fußballs ein.
Was waren denn die großen Zäsuren in der Geschichte der Bundesliga?
Die größte Zäsur war mit Sicherheit der Bundesligaskandal im Jahre 1971. Denn vorher lief der Kommerz überwiegend unter der Hand ab, mit viel Schwarzgeld und viel Schattenwirtschaft. Dies änderte sich erst nach 1971 in einem langwierigen Prozess. Der Druck der Öffentlichkeit stieg enorm, mit den zwielichtigen Verhältnissen Schluss zu machen. Dadurch kam der ganze Kommerz zum Vorschein. Heute ist natürlich für jeden sichtbar, dass es um sehr viel Geld geht.
Sie finden das nicht problematisch?
Dieser ganze Prozess ist durchaus zu begrüßen, heute zahlen die Vereine wieder Steuern und Abgaben, was noch Anfang der 70er Jahre überhaupt nicht der Fall war. Wenn man sich klar macht, dass jedes Jahr Hunderte Millionen Euro aus der Bundesliga an den Staat fließen, dann erscheint mir die Klage über den wachsenden Kommerz eigentlich als unsinnig. Im Grunde sollte man sich darüber freuen, dass von der Bundesliga so viel Geld in die Staatskasse fließt – solange das Geld nicht in irgendeiner anderen Form wieder als Subvention an die Bundesligisten zurückfließt.
So gesehen ist die Bundesliga also ein erfolgreicher Wirtschaftszweig, von dem auch die Allgemeinheit profitiert?
Ja, natürlich, die Bundesliga ist ein sehr erfolgreicher Wirtschaftszweig. Ich kann nachvollziehen, dass viele die Kommerzialisierung mit einem weinenden Auge beobachten; allerdings sollte man sich auch ein bisschen darüber freuen, dass der Staat davon profitiert. Und man sollte vor allem für die Zukunft darauf achten, dass die Vereine sich nicht irgendwann wieder vom Staat unterhalten lassen wie in den 60er Jahren.