Viel zu psychedelisch war die Musik, viel zu grotesk die Texte, die sich um Drogen, Sadosex und andere Obsessionen drehten: die Band Velevt Underground war nicht von Anfang an erfolgreich. Vor fünfzig Jahren erschien ihr Debütalbum, sein Einfluss ist bis heute prägend.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Vordergründig hat leidlich wenig zusammen gepasst. Hier war der Waliser John Cale, der am renommierten Londoner Goldsmith’s College Bratsche studierte und als Leonard-Bernstein-Stipendiat in New York seine Ausbildung als klassischer Musiker abschloss. Dort war Lou Reed, der nach seinem Anglistikstudium für ein Plattenlabel Tanzmusik am Fließband schrieb. Hinzu kam der Gitarrist und Aushilfsbassist Sterling Morrison, der das Bassspiel eigentlich nicht leiden konnte, dafür aber eine Bekannte mitbrachte, die eher wie ein Kerl aussehende Maureen Tucker, die ihr Schlagzeug seltsamerweise im Stehen spielte. Und schließlich war da ein bildender Künstler, der zuvor nichts mit Musik am Hut hatte, nun allerdings als Albumproduzent fungierte – freilich nur unter der Bedingung, dass ein ihm bekanntes Fotomodell singe, die Deutsche Christa Päffgen alias Nico, die bis dato keinerlei Erfahrung als Sängerin hatte.

 

Heraus kamen die Band Velvet Underground und eines der prägenden Alben der Musikgeschichte. Schon allein optisch ist es ikonografisch geworden durch sein von Andy Warhol (eben jenem bildenden Künstler) gestaltetes Cover, das schlicht aus der Abbildung einer Banane bestand. In den Erstauflagen, die heute zu vierstelligen Preisen gehandelt werden, verfügt die Banane über eine abziehbare Folie, unter der das Fruchtfleisch freigelegt werden kann.

Der maßgeblichere Kaufanreiz war indes Warhols auf das Albumcover platzierter Namenszug. Er immerhin war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung längst ein gefragter Künstler, im Gegensatz zu den Bandmitgliedern, die ihren Ruhm mit dem Album zumindest in der Retrospektive begründen sollten. Warhol versuchte zunächst, die Band und ihre Musik mit üppigen multimedialen Happenings bekannt zu machen. Geklappt hat das anfangs jedoch nicht: bald ein Dreivierteljahr nach seinem Erscheinen verzeichnete das Album mit gerade einmal Rang 171 in den amerikanischen Billboard-Charts seine höchste Notierung. Viel zu psychedelisch war die Musik, viel zu grotesk die Texte, die sich um Drogen, Sadosex und andere Obsessionen drehten.

Einst verschmäht, heute gefeiert

Fünfzig Jahren nach der Erstveröffentlichung am 12. März 1967 sieht das anders aus. Das Album rangiert mittlerweile in allen ewigen Bestenlisten der einflussreichsten Musikwerke aller Zeiten auf den vorderen Rängen, die zwei treibenden Bandköpfe Reed und Cale schlugen höchst erfolgreiche Solokarrieren ein, „The Velvet Underground & Nico“ (so der offizielle Titel) gilt als Initialwegmarke für das Musikgenre Psychedelicrock, unzählige Musiker von David Bowie über Sonic Youth bis Nick Cave nennen das Album als prägenden Einfluss ihres eigenen Schaffens oder zitieren es in ihren Werken.

Ein Verdienst des Kunststars ist das jedoch nicht. „Andy Warhol, der immer als Produzent hervorgehoben wird, tat gar nichts dazu, der Rest wurde von einem Geschäftsmann gemacht, der ankam und uns 1500 Dollar dafür gab, dass wir in ein heruntergekommenes Studio gingen und das Ding aufnahmen“, rückt John Cale in dem Buch „Up-tight“ einen der vielen Mythen zurecht, die sich um das Album ranken. Die Klangqualität ist auch auf den unzähligen Neuauflagen und Remasters grottenschlecht, die Kanaltrennung amateurhaft gemischt – und trotzdem: die Stücke „I’m waiting for the Man“, „Venus in Furs“, „All tomorrow’s Parties“ sind längst Klassiker der Rockmusikgeschichte, und überhaupt befindet sich unter den elf Songs dieses großartig die Zeiten überdauernden Albums kein einziger Ausfall.

Wobei der wichtigste Beitrag des Albums für die Popwelt vielleicht darin besteht, Pionierarbeit auch dafür geleistet zu haben, dass diese Musik als Kunstform ernst genommen wird. Lou Reed als maßgeblicher Texter zitierte Leopold von Sacher-Masoch und William S. Burroughs, John Cale als Songschöpfer speiste die Kompositionserfahrungen ein, die er mit John Cage, La Monte Young und der der Minimal Music gewonnen hat. Zusammen mit Morrison und Tucker, zwei künsterischen Querdenkern, verdichten sie das zu Musik, die all das bietet, was heutzutage vielen anderen vermeintlichen Popstars fehlt: Instrumentales Können, Experimentierfreude und Innovationskraft; Nicos Gesang mit dem unüberhörbaren deutschen Akzent, ohnehin auf nur drei Stücke begrenzt, störte in dieser Orgie der Progressivität nicht.

Musik hält nicht jung

Das Album wird bleiben. Die Band hingegen löste sich fünf Jahre später auf. Für die schöne These, dass Musik jung hält, stehen ihre Musiker allerdings nicht. Andy Warhol starb 1987 mit 59 Jahren an den Folgen einer Gallenblasenoperation, Sterling Morrison 1995 mit 53 an Lymphdrüsenkrebs, Lou Reed 2013 71-jährig an den Spätfolgen seines langjährigen Drogenmissbrauchs, allesamt in oder bei New York. Skurriler sind die Todesumstände bei Christa „Nico“ Päffgen, die 59-jährig auf Ibiza tot vom Fahrrad fiel, sowie bei dem Gründungsmitglied Angus MacLise, der 41-jährig in Kathmandu verhungerte, nachdem er der Band schon vor ihrem ersten Auftritts den Rücken kehrte, den er als „kommerziellen Ausverkauf“ empfand.

Bleiben seine Nachfolgerin an den Drums, die mittlerweile 73-jährige Maureen „Moe“ Tucker, die seltsamerweise zuletzt als Unterstützerin der ultrakonservativen Tea-Party-Bewegung in Erscheinung trat („Obama führt die USA in den Sozialismus“). Und – als einziger noch aktiver Musiker – der nach wie vor großartige John Cale, der quicklebendig an diesem Donnerstag seinen 75. Geburtstag feiern durfte.