Das staatliche Haupt- und Landgestüt Marbach feiert sein 500-jähriges Bestehen. Einblicke in die Vergangenheit und die Gegenwart eines Kulturguts.

Marbach - Das Marbacher Gestüt der württembergischen Herzöge und Könige, im idyllischen Lautertal auf der rauen Alb gelegen, besteht seit 500 Jahren. In seinem Auf und Ab, im Wohl und Wehe seiner Pferde und Menschen, spiegelt sich die Geschichte des Landes wider. Es ist, auf das halbe Jahrtausend betrachtet, wirklich ein Wunder, dass es Marbach mit seinem Dutzend Gestütshöfen, Vorwerken und Domänen, mit seinen 180 Gebäuden unter Denkmalschutz überhaupt noch gibt. Mehrmals wurde der Pferdebestand von Seuchen fast ausgerottet, immer wieder setzten Stuttgarter Finanzbeamte rigoros den Rotstift an, wollten den wiehernden Launen ihrer Regenten und der aufwendigen Zuchtstätte den Garaus machen. Umso herzlicher werden die Glückwünsche klingen, umso lauter die Lobeshymnen, wenn Mitte Mai zum offiziellen Jubiläumsfestakt sogar Winfried Kretschmann im Lautertal seine Aufwartung macht, der Ministerpräsident, dazu viele hippologische Gäste aus ganz Europa.

 

Der Neugier und dem Finderglück der Heimatforscher Christa und Emil Glück verdankt das Gestüt seine (bisher) älteste urkundliche Erwähnung – ein Kuriosum: Im Hauptstaatsarchiv stoßen sie 2008 auf ein Vernehmungsprotokoll des Oberamtes Urach vom Sommer 1514. Ein gewisser Sixt Schmid von Gomadingen wird verdächtigt, am Aufstand des Armen Konrads beteiligt zu sein, der das Land erschüttert, als sich Wengerter, Handwerker und einfache Leute auflehnen gegen Herzog Ulrich, weil dieser seine Untertanen bitterböse auspresst. Das Protokoll vermerkt Schmids Alibi: „Er weiß sich gar Inn keinen Dingen dieser Uffrur schuldig. So sey Er gen marppach an der Luter, zu meines gnädigen Herrn Gestüt gegangen.“ Schmid kommt davon, und Marbach gewinnt einen historischen Beleg.

Zurück im Hier und Heute. „Auf unserer Auktion wollen wir 20 Pferde verkaufen, das wird nicht leicht“, sagt Astrid von Velsen-Zerweck. „Nur die Güte der aktuellen Tiere zählt, für unsere 500-jährige Geschichte bekommen wir auf einem Markt voll harter Konkurrenz aus dem In- und Ausland nichts geschenkt. Zucht und Handel unterliegen längst der Globalisierung.“ Das Berufsleben der Gestütschefin ist kein leichtes: Aus Osteuropa kommen Billigimporte, viele Pferdefreunde wollen nicht mehr so intensiv in das teure Hobby investieren, und die Zahl der Reiter geht zurück.

Herzog Ulrich ist fraglos der Gründer des Betriebs, der 1573 unter ihm zum Hof- und Landgestüt erhoben wird. Das gilt lange als Gründungsjahr – 1973 feiert man deshalb offiziell sein 400-jähriges Bestehen, zu Unrecht, wie man jetzt weiß. Im Dreißigjährigen Krieg geht die Zucht fast zugrunde. 1635 brennen Gestütshöfe nieder, es dauert Jahrzehnte, ehe sich die Pferdezucht erholt und der Neuaufbau gelingt, indem man im In- und Ausland neue Hengste erwirbt und 1685 das Landgestüt neu einrichtet.

Die erste Landoberstallmeisterin in der langen Geschichte

Wo hat Marbach im 21. Jahrhundert seinen Platz? Die Landoberstallmeisterin, so Velsen-Zerwecks offizieller Titel, antwortet: „Wir sind seit Jahrzehnten ein Garant für kerngesunde, solide Gebrauchspferde – unter dem Sattel, vor der Kutsche, im Freizeit- wie im Leistungssport. Käufer und Züchter vertrauen uns, beileibe nicht nur die aus dem Ländle.“ Schweizer und Italiener, Skandinavier, Engländer und Amerikaner haben im Laufe der Zeit viele Marbacher Pferde ersteigert. Doch die Krux sei, so räumt die Gestütschefin ein: „Wir müssen die jungen Pferde dreijährig, spätestens vierjährig verkaufen, um auf unsere Kosten zu kommen.“ Die Freizeitreiter verlangten Pferde, die weiter gefördert seien, wollten aber die daraus resultierenden höheren Preise nicht zahlen.

In den vergangenen Jahren hat man mehr als einmal daran gedacht, die Gestütsauktion aufzugeben, die es seit hundert Jahren gibt. Ein schwieriges Thema. Man kann in Marbach schließlich jeden Tag Pferde kaufen – in aller Ruhe, privat und vertraulich, ohne die große Bühne mit den vielen Schaulustigen und den wenigen Kauflustigen.

Als Herzog Carl Eugen das Land regiert, von 1744 bis 1793, gelangen Kunst und Kultur zu höchster Blüte. Immer neue Schlösser entstehen. Die grotesken Launen des Herrschers gelten nicht nur seinen Untertanen, sondern auch seinen Pferden. In seinen Reisetagebüchern ist vermerkt, dass er anno 1784 in Dänemark 1080 Gulden für drei dänische Hengste auf den Tisch legt. Eine Unsumme, obwohl daheim die Ställe vollstehen. Wobei die Gestütswärter in Marbach, das vom Marstall an der Stuttgarter Königstraße aus gelenkt wird, heftig stöhnen: Für die Zucht von Arbeits- und Militärpferden, die man dringend braucht, hat der Herzog keinen Sinn, er liebt nur die Exoten: Schecken, Schimmel, Falben und sogenannte Tiger, die etwas hermachen. Ein Pferdekenner ist dieser Herzog nicht, vielmehr ein Pferdenarr.

Astrid von Velsen-Zerweck, Jahrgang 1968, promovierte Pferdezüchterin, Journalistin und Fachfrau für Tourismus, steht seit 2007 an der Spitze des Haupt- und Landgestüts im Lautertal – als erste Frau nach 23 Männern! Mit dieser historischen Besonderheit mag sie sich nicht befassen, schon gar nicht darauf reduziert werden. „Dass ich die erste Landoberstallmeisterin bin, darüber mache ich mir keine Gedanken“, sagt sie. „Ich habe einen Betrieb zu führen mit 90 Mitarbeitern, dazu fast 50 Azubis. Wir bewirtschaften 850 Hektar Land, machen selbst Futter für rund 500 Pferde, von denen 300 unsere eigenen sind, die anderen geben Privatleute hierher zur Aufzucht.“ Zum Gestüt zählt auch die renommierte Landes-Reit- und Fahrschule mit ihrem Lehrgangsangebot, der größte Aus- und Fortbildungsbetrieb und breit.

Am Beginn des 19. Jahrhunderts hält König Wilhelm I. von Württemberg seine schützende Hand auch über Marbach und die Pferdezucht. Der „Reformer auf dem Königsthron“, wie man ihn später nennen wird, stiftet nicht nur das Cannstatter Volksfest und das Landwirtschaftliche Hauptfest mit den legendären Pferderennen, er verstaatlicht Marbach und gründet 1817 auf den Neckarwiesen in Weil bei Esslingen ein privates Arabergestüt: Diese härteste Pferderasse der Welt, ebenso schön wie ausdauernd, will der Regent zur Veredlung seiner heimischen Tiere nutzen. Mit enormem Aufwand importiert er Hengste und Stuten aus Ägypten. In seinem Testament verfügt der König, dass die Araber allzeit eine Heimat in Württemberg haben sollen. 1932 ziehen die Araber von Weil nach Marbach und gehen in den Besitz des Landes über. Heute besteht die legendäre Weiße Herde aus zwei Dutzend Stuten und sieben Hengsten. Während Wilhelms Herrschaft, in den Jahren von 1840 bis 1870, rafft eine Epidemie auf der Schwäbischen Alb Dutzende Pferde dahin, das Gestüt kann nur unter Mühen gerettet werden. Gleiches gilt für das zwanzigste Jahrhundert, den Ersten wie den Zweiten Weltkrieg. Erst seit es den Südweststaat gibt, ist das Gestüt in seiner Existenz gesichert.

Täglich müssen die Marbacher ihre Daseinsberechtigung beweisen. „Das Gestüt ist ein Kulturgut“, sagt Astrid von Velsen-Zerweck. „Übers Jahr haben wir eine halbe Million Besucher, alles steht ihnen offen, nur der Stall nicht, in dem die Fohlen geboren werden. Wir sind ein mittelständischer Betrieb, pflegen alte Berufe wie Schmied, Sattler und Wagner. Meine Vorgänger haben etwa die Schwarzwälder Füchse, diese populäre Kaltblutrasse, vor dem Aussterben bewahrt. Heute stellen wir ihren Züchtern, die im Hochschwarzwald sitzen, die notwendigen Hengste zur Verfügung.“

Ob auch die Rettung der Alt-Württemberger mit ihren normannischen Vorvätern gelingt, von denen das Gestüt noch drei Hengste hält, ist unwahrscheinlich. Andererseits glänzt Marbach mit dem braunen Wallach Sam, mit dem der Horber Michael Jung Doppelolympiasieger in der Vielseitigkeit wurde, weil Sam vom Marbacher Vererber Stan the Man abstammt, einem englischen Vollblüter. Kürzlich ist die Olympiareiterin Anabel Balkenhol auf die Außenstelle in Offenhausen gezogen, um dort auch die Pferde und Reiter des Gestüts zu fördern.

Im Herbst, wenn auf dem Cannstatter Wasen das 99. Landwirtschaftliche Hauptfest läuft, schließt sich der Jubiläumsreigen für die Marbacher: Ihre Hengstparaden, zu denen normalerweise Zehntausende ins Lautertal pilgern, finden zum 500-Jahr-Jubiläum am Neckar statt. König Wilhelm I. lässt grüßen.

Das Jubiläumsprogramm

Ponywettbewerb:
Das Gestüt bietet im Jubiläumsjahr ein umfangreiches Programm, zum Beispiel morgen um 9.30 Uhr eine Pony-körung. Elf Hengste werden nach Rassemerkmalen beurteilt. Um 13 Uhr treten 38 dreijährige Warmblutstuten und -wallache auf. Der Eintritt ist jeweils frei.

Jubiläum:
Am 17. und 18. Mai wird das Jubiläum gefeiert. Am Samstag gibt es einen Festakt. Für den Abend lädt das Gestüt zu einem Hoffest ein. Außerdem wird ein neuer Gestütsradweg an dem Wochenende eröffnet. Am Sonntag öffnet das Gestüt die Stalltore, damit die Gäste einen Blick hinter die Kulissen der Pferdezucht werfen können.

Konzert:
Eine Verbindung aus Pferdeballett und sinfonischer Livemusik ist bei den Marbach Classics am 4. und 5. Juli zu hören – eine Kooperation des Gestüts mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen.