Ein 62 Jahre alter Mann soll für einen Unfall im Bahnhof Mannheim im August verantwortlich sein. Jetzt steht er vor Gericht.

Mannheim - Sofort anhalten, um Gottes Willen anhalten!“ – mit einem Funkruf an den Lokführer eines einfahrenden Güterzugs hat einer der Fahrdienstleiter am 1. August kurz vor 21 Uhr vor zwei Jahren noch versucht, den Zusammenstoß mit einem Eurocity an einer Weiche im Mannheimer Hauptbahnhof zu verhindern. Doch da war schon alles zu spät. Die Lok des Güterzugs prallte gleich hinter dem führenden Steuerwagen mit den ersten Wagen des Eurocity seitlich zusammen; zwei Waggons mit 110 Fahrgästen entgleisten und kippten um. Auch die Lok und zwei Containerwagen des Frachtzugs wurden aus den Schienen geworfen. Das Unglück ereignete sich unter den Augen der Fahraufsicht. „Es ist eine Katastrophe, alles kaputt“, entfuhr es entsetzt einem der Beamten, ehe er den Rettungsdienst zu Hilfe rief.

 

Unfall ging glimpflich aus

Letztlich hatten alle Beteiligten Glück im Unglück, der Zusammenstoß ist vergleichsweise glimpflich abgelaufen. Von den Fahrgästen in den umgestürzten Wagen des Eurocity, der auf dem Weg von Graz nach Saarbrücken war, hatten lediglich 14 ernsthaftere Verletzungen. Einige wenige von hatten Knochenbrüche erlitten, die meisten waren mit Prellungen an Brust, Rücken oder Gliedmaßen sowie mit Platzwunden davongekommen. Die beiden Lokführer waren unverletzt geblieben.

Seit Mittwoch muss sich der Führer des Güterzugs vor dem Mannheimer Amtsgericht verantworten. Der Staatsanwalt legt ihm vorsätzliche Gefährdung des Bahnverkehrs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in 14 Fällen zur Last. Dem Unglück seien mehrere Pflichtverletzungen des Mannes vorausgegangen, erklärte er bei der Verlesung der Anklage. Während der Eurocity auf dem Nebengleis freie Fahrt gehabt habe, sei für den Güterzug auf der rechten Seite ein Haltesignal angezeigt worden. Der 62-jährige Angeklagte habe sich aber fälschlicherweise an der linken Seite orientiert, wo das Signal den Weg freigegeben habe. Danach sei zwar automatisch eine Zwangsbremsung des Güterzugs eingeleitet worden, doch diese habe der Lokführer außer Kraft gesetzt.

Anklage: Mehrere Lichtsignale überfahren

Statt – wie es in so einem Fall zwingend vorgeschrieben gewesen wäre – mit der Fahrdienstleitung Kontakt aufzunehmen, um den Grund der Bremsung zu klären und weitere Anordnungen abzuwarten, habe er nach einem kurzen Stillstand des Zuges die Freitaste betätigt und sei nach 23 Sekunden wieder angefahren. Danach habe er ohne Halt weitere Lichtsignale überfahren und so die Kollision verursacht. An beiden Zügen und den Bahnanlagen seien dabei Schäden in Höhe von etwa 2,3 Millionen Euro entstanden.

Der Beschuldigte hatte beim Beginn der Ermittlungen nach anfänglichem Schweigen angegeben, er habe das Haltesignal bei der Einfahrt in den Mannheimer Hauptbahnhof übersehen – und dann gedacht, er sei zu unrecht gebremst worden. Daher sei er weitergefahren. Beim jetzigen Prozessauftakt wollte er nichts zu den Umständen des Unglücks sagen. So erfuhr man nur, dass er ursprünglich aus Sachsen kommt und heute in Schwetzingen (Rhein-Neckar-Kreis) wohnt. Er sei, sagte er, nach dem Unfall gekündigt worden und lebe von Arbeitslosenunterstützung. Offen blieb unter anderem die Frage, ob der Lokführer übermüdet war.

Experten: Technik und Gleise waren in Ordnung

Die Eisenbahngewerkschaft hatte nach dem Unglück massive Kritik an den Arbeitsbedingungen im Schienenverkehr geübt. Nach Angaben der Ermittler hatte der 62-jährige Lokführer seinen Dienst wohl morgens gegen 8 Uhr in Duisburg angetreten. Wartezeiten und Pausen eingerechnet, habe er im Lauf des Tages die vorgeschriebene Fahrzeit um 39 Minuten überschritten und hätte daher in Mannheim abgelöst werden sollen, kritisierten sie. Bahnanlagen und Zugtechnik, versicherten die Experten, seien „komplett in Ordnung gewesen“. Am Ende hätte auch ein Notruf den Zusammenstoß nicht verhindern können.

Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt.