Der Stuttgarter Architekt Heiko Stachel bewahrt bedrohte Häuser vor dem Vergessen: er legt virtuelle Rundgänge an. So lassen sich längst verschwundene Gebäude noch im Internet besuchen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Es gibt Orte in Stuttgart, an die nie jemand mehr hinkommen wird. Die Auferstehungskirche im Gerberviertel ist so ein Ort, denn sie wurde im März dieses Jahres abgerissen. Oder auch die inneren Räume im neuen Affenhaus der Wilhelma gehören dazu, denn um die Tiere vor Ansteckung zu schützen, darf außer den Pflegern niemand hinter die Kulissen.

 

Im Internet aber können diese Ort weiter begangen werden, inklusive Keller und Dachboden, und zwar zu jeder Tages- und Nachtzeit. Der Architekt Heiko Stachel aus Botnang hat sie – und einige andere Orte – mit einer speziellen Kameratechnik aufgenommen und daraus interaktive Rundgänge erstellt. Diese besitzen eine faszinierende Qualität: Dank eines Grundrisses kann man von Raum zu Raum gehen, sich frei in jedem Zimmer bewegen, und jeden Punkt samt Decke und Boden nah heranzoomen. Jeder Riss im Gebälk, jede kleine Inschrift oder jede Schramme im Putz bleibt so dokumentiert.

Einfaches und günstiges Verfahren

Heiko Stachel, der an der Universität Vorlesungen hält und sich als Freiberufler auf Panorama-Fotografie spezialisiert hat, hat diese Rundgänge auf eigene Faust angelegt und ins Netz gestellt, weil es ihm wichtig ist, dass vom Abriss bedrohte alte Häuser dokumentiert bleiben. Geld verdient der 41-Jährige damit, zumindest bisher, nicht. „Eigentlich sollte man das aber für jedes alte Haus machen“, sagt Stachel. Es sei ein einfaches und günstiges Verfahren: Die Aufnahmen seien, wenn es schnell gehen müsse, in zwei Stunden erledigt; und selbst bei aufwendigen Objekten koste die Dokumentation nicht mehr als 2000 Euro.

Beim Wengerterhaus an der Firnhaberstraße, wo übrigens dieser Tage mit dem Neubau begonnen worden ist, erhielt er keine Erlaubnis, das Haus zu betreten. Bei der Auferstehungskirche im Gerberviertel schloss ihm hingegen der Pfarrer alle Türen auf, leider aber erst, als der Abbruch schon im Gange war. Die Orgel fehlt deshalb schon. Sicherlich besitzen diese virtuellen Rundgänge bei weitem nicht die Genauigkeit einer professionellen Dokumentation der Denkmalpflege. Denn mangels Plänen entstehen die Grundrisse meist nicht ganz maßstabsgetreu. Nachträglich lassen sich aus den Fotos keine Größen und Maße herauslesen. Und die Farben sind je nach Lichteinfall nicht immer ganz originalgetreu. Aber die Rundgänge vermitteln einen realistischen Eindruck des Hauses. „Das ist auf jeden Fall besser als gar keine Dokumentation“, sagt Heiko Stachel.

Herausforderung für den Computer

Die Möglichkeiten erschöpfen sich keineswegs darin, alte Häuser zu begehen. Stachel hat etwa den Altar der Auferstehungskirche aus 50 Einzelfotos so zusammengesetzt, dass man den in der Größe eines Hauses ausdrucken könnte, ohne an Schärfe zu verlieren; jeder Pinselstrich ist erkennbar. Es ließen sich auch Rundgänge in Museen erstellen. Stachel hat sein eigenes Haus vor dem Umbau dokumentiert; jetzt kann er mit dem Tablet-Computer durch die Wohnung gehen und sieht den früheren und heutigen Zustand gleichzeitig.

Noch keine Fotogenehmigung im Stammheimer Gefängnis

Stachel hat die Technik, die er nicht entwickelt hat, für sich optimiert. So ließ er sich aus Großbritannien ein spezielles Stativ mit Kugellager kommen, weil ein realistisches Bild ohne Verzerrungen und ohne „springende“ Hintergründe nur gelingt, wenn der Brennpunkt der Kamera mit der Drehachse des Stativs identisch ist. Mithilfe fünf verschiedener Programme bearbeitet er die Bilder, fügt sie zusammen, erstellt die Verknüpfungen zwischen den Räumen und zeichnet die Grundrisse. Sein alter Computer musste schon mal mehrere Nächte durchrechnen, um alles zu vereinen; der neue schafft einen Rundgang in drei Stunden.

Das Schwierigste, sagt Stachel, sei meist, die Genehmigung für die Aufnahmen zu bekommen. Die meisten Besitzer kennen diese Technik nicht und sind deshalb skeptisch. Auch an sein derzeitiges Lieblingsobjekt kommt er bisher nicht ran: Er würde gerne den RAF-Trakt im Stammheimer Gefängnis aufnehmen, bevor dieser abgerissen wird. Doch bisher wurde er nur von Pontius zu Pilatus verbunden. Aber er gibt nicht auf.