Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Hat die schleppende Abschiebepraxis – über die sich plötzlich viele wundern – auch mit der Personallage der Richter zu tun?
Prinzipiell ist die schleppende Abschiebungspraxis aus meiner Sicht keine Folge von Personalnot und verzögerten Entscheidungen an den Gerichten. Abschiebung, also die Vollstreckung einer Ausreisepflicht, ist zunächst einmal die Aufgabe der Ausländerbehörden der Länder. Da ist es eher ein Problem, dass man manche Ausländerbehörden zum Jagen tragen muss. Dort ist die Ausreisepflicht viele Jahre gar nicht vollstreckt worden. Jetzt besinnt man sich einer effizienteren Handhabung, stößt aber auf mannigfaltige Probleme. Das geht los bei Bewerbern ohne Reisepapiere, deren Heimatstaaten sie dann nicht aufnehmen. Oder es wird behauptet, dass man nicht reisen könne. Es gibt tatsächliche Reiseunfähigkeit, aber auch Gefälligkeitsatteste von zweifelhafter Qualität. Oder die Menschen haben das Risiko, bei der Rückkehr unmittelbaren körperlichen Schaden zu erleiden – dann ist auch hier keine Abschiebung möglich.
Waren die politisch Verantwortlichen beim Thema Abschiebung zu nachlässig?
Richtig. Das Vollstrecken ausländerrechtlicher Entscheidungen war nie besonders populär. Es gibt schließlich immer Leute, die sich – geltendes Recht ignorierend – massiv gegen Abschiebungen wehren.
Rüstet die Seite der Anwälte auch auf, um Abschiebungen zu verhindern?
Ein ,Aufrüsten‘ habe ich selbst nicht erlebt, aber es gibt eine sehr von ihrer Mission überzeugte Gruppe von Anwälten, die mitunter im Stil der strafrechtlichen Konfliktverteidigung versuchen, Asylverfahren im Sinne ihrer Mandanten zu entscheiden.
Was halten Sie von dem Vorschlag des CSU-Generalsekretärs Scheuer, kriminelle Flüchtlinge ohne Prozess abzuschieben?
Es ist die Frage, welchen Prozess er meint. Wenn er auf das Strafverfahren verzichten und gleich ins ausländerrechtliche Verfahren einer Ausweisung einsteigen will, kann man natürlich darüber nachdenken. Der Vorteil eines abgeschlossenen Strafverfahrens ist aber: Ich weiß, dass der Mensch die Straftat begangen hat. Wenn eine strafrechtliche Verurteilung fehlt, müsste das Verwaltungsgericht aufklären, ob der Betroffene die ihm vorgeworfene Straftat begangen hat und beispielsweise Zeugen vernehmen. Dann läuft es nicht viel anders als im Strafprozess. Wenn die Politik entsprechende Regelungen macht, können die Verwaltungsgerichte das natürlich auch – aber dann ist es auch wieder eine Frage der Personalkapazitäten.
Justizminister Maas hält den Scheuer-Vorschlag für verfassungswidrig.
Jemanden, von dem die Ausländerbehörde glaubt, er habe eine Straftat begangen, unter Ausschluss von jeglichem gerichtlichen Rechtsschutz abzuschieben, dürfte schwerlich mit unseren rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar sein. In diesem Sinne habe ich Herrn Scheuers Äußerung aber nicht verstanden.