Wie will eine Jury eigentlich fair bewerten, was da beim Trickfilmfestival an Stilen, Themen, Techniken durcheinander geht? Eine heikle Frage. Aber gerade im wilden Mix des Ungleichen liegt der Reiz des großen Wettbewerbs, der am Sonntag zu Ende ging.

Stuttgart - Kein Filmfestival der Welt kann mit lauter neuen Themen aufwarten. Im Gegenteil, man fragt sich aber durchaus vergnügt, ob es überhaupt noch neue Themen gibt oder nur neue soziale Kulissen und technische Requisiten für die alten Geschichten um Zeitloses wie Liebe, Tod und Allergien. Mindestens ein zünftiger Weltuntergang jedenfalls gehört in den Internationalen Wettbewerb des Trickfilmfestivals, der seit den Anfängen des Großspektakels dessen künstlerisches Herz bildet.

 

Der schönste Weltuntergang dieses Jahr, „Wrapped“, kommt vom Animationsinstitut der Filmakademie Baden-Württemberg und zeigt, wie die Natur sich der menschlichen Zivilisation entledigt. In der Arbeit von Roman Kälin, Falko Paeper und Florian Wittmann wird zunächst eine tote Ratte auf den Straßen New Yorks von grünem Flaum überzogen und im Nu aufgezehrt. Der vermeintliche Schimmel überzieht in einer Mixtur aus Realfilm-Zeitraffer und Computeranimation die ganze Stadt als Riesenefeu, dessen Blüten explodieren und die Gebäude in Schutt und Asche legen. Bald ist der Planet umschlungen, doch die zurückzoomende Kamera zeigt die Erde als faulende Frucht auf der Straße, die nun von einer Ratte gefressen wird: Ein kosmischer Schlussgag nach nur vier Minuten.

High-End-Grafik und Papierbilder

„Wrapped“ illustriert, was Dittmar Lumpp, der kaufmännische, und Ulrich Wegenast, der künstlerische Leiter des Festivals, als aktuelles Kräfteverhältnis bei den Filmeinreichungen beschreiben. Die technische Ausstattung der Filmschulen sei gegenüber dem, was freie Produzenten und Einzelkämpfer aufbieten könnten, so viel besser, dass Newcomer oft die aufmerksamkeitsheischenderen Arbeiten als die alten Hasen vorlegen könnten.

Das soll aber nicht heißen, dass der Internationale Wettbewerb von High-End-Computergrafik dominiert wurde. „Le Sens du Toucher – The Sense of Touch“ von Jean-Charles Mbotti Malolo hätte so immer schon im Internationalen Wettbewerb stehen können, dessen Hauptpreis (15 000 Euro) er dieses Jahr gewonnen hat. Er ist ganz klassisch aus Zeichnungen auf Papier aufgebaut. Aber seine Idee ist wunderbar frisch, die Durchführung sensibel und die Ästhetik bezwingend. Malolo erzählt vom ersten Date eines taubstummen Pärchens, davon, wie er sie zu sich nach Hause einlädt, wie er sie bekocht, wie sie einander näherkommen. Wobei das verbale Flirten nicht in Gebärdensprache stattfindet, sondern in tanzartige Ganzkörperkommunikation überführt wird. Dann aber wird es kompliziert, denn die Katzenhaarallergie kommt ins Spiel: er leidet daran, sie holt zwei Fundkätzchen in die Wohnung.

Anregendes Durcheinander

Formspielerei und inhaltliche Substanz bilden gerade im Animationsfilm nicht unbedingt ein Gegensatzpaar. Der Gewinner des Lotte-Reiniger-Förderpreises ( 10 000 Euro), „The bigger Picture“ von Daisy Jacobs aus Großbritannien, macht sehr auf seinen Stil aufmerksam, einen Multimix aus Malerei, Sach- und Stoptrick, eine verloren wirkende Zweidimensionalität der Personen in dreidimensionalen Räumen. Aber das hat eben mit Verlorenheit in der Geschichte zu tun sowie dem Getrenntwerden von Mensch und Raum. Zwei Söhne wollen ihre Mutter ins Heim bringen. Aber die kämpft, die will nicht vom beruhigenden Drumherum ihres bisherigen Lebens lassen.

„Suleima“ von Jalal Maghout, einen syrisch-libanesische Produktion, erzählt vom mutigen Kampf einer Frau gegen das Assad-Regime, „Driving“ von Nate Theis in schriller Karikatur vom täglichen Autofahrerzorn. Eigentlich kann keine Jury der Welt so etwas fair gegeneinander wägen, aber das ist seit Anbeginn das Prinzip des Trickfilmfestivals, die ganze Bandbreite des weltweiten Animationsschaffens zu zeigen, Eigenbrötlerisches, Kommerzielles, Experimentelles, Politisches, Possierliches und Poetisches. Wer sich in dieses anregende Durcheinander wagt, der wird ein wenig abgehärtet gegenüber dem Versuch der routinierten Unterhalter, uns mit klaren Formaten abzuspeisen.

Die Preisträger

Kurzfilme
Den Grand Prix des Internationalen Wettbewerbs (15 000 Euro) erhielt „Le Sens du Toucher“ von Jean-Charles Mbotti Malolo aus Frankreich. Der Lotte-Reiniger-Förderpreis (10 000 Euro) ging an „The Bigger Picture“ von Daisy Jacobs aus Großbritannien. Den Young-Animation-Preis (2500 Euro) errang „Cup no naka ko koushi“von Yantong Zhu aus Japan.

Langfilm
Im Wettbewerb Animovie siegte „Resan till Fjäderkungens Rike“ von Esben Toft Jacobsen aus Norwegen.

Kinderfilme
Den Tricks-for-Kids-Preis (4000 Euro) erhielt „Neige“ von Antoine Lanciaux und Sophie Roze aus Frankreich. Beste Serie wurde „Cleo“ aus Spanien. Der Animationsdrehbuchpreis (2500 Euro) ging an „Robbi, Tobbi und das Fliewatüt“ von Jan Berger.