Schwäbisch Hall prosperiert, die Einwohnerzahlen steigen, die Freilichtspiele ziehen Touristen an. Doch bei der Anbindung ans überregionale Schienennetz hapert es: die Pendler sowohl auf der Hohenlohebahn (Heilbronn-Crailsheim) als auch auf der Murrbahn (Stuttgart-Nürnberg) müssen mit tristen Bahnhöfen und anderen Widrigkeiten leben.

Schwäbisch Hall - Gerade mal 56,06 Kilometer Luftlinie ist Schwäbisch Hall von der Landeshauptstadt entfernt – eine blühende Stadt im so genannten Ländlichen Raum. Entgegen dem Trend steigen die Einwohnerzahlen, die Wirtschaft wächst. Die Kunsthalle Würth, die Freilichtspiele und die Altstadt ziehen das ganze Jahr über Touristen an. Und doch landen auf dem Tisch des Haller Oberbürgermeisters Hermann-Josef Pelgrim ständig Beschwerdeschreiben von Bürgern und Touristen. Einhelliger Tenor: die Haller Bahnhöfe befinden sich in einem „furchtbaren Zustand“. Die Stadt ist über zwei Bahnstrecken an das überregionale Schienennetz angebunden, über den innenstadtnahen Bahnhof an die Hohenlohebahn (Heilbronn-Crailsheim) und über den Bahnhof im Ortsteil Hessental an die Murrbahn (Stuttgart-Nürnberg). Pendlern aus und Reisenden nach Schwäbisch Hall bietet sich freilich an beiden Stationen das gleiche Bild: Tristesse pur.

 

Besonders am Bahnhof Schwäbisch Hall-Hessental wähnt sich der Reisende nicht im Jahr 2016. Wer von Stuttgart mit der Murrbahn hier ankommt, muss vom Mittelbahnsteig mit den Gleisen zwei und drei unter Bahnsteig eins hindurch sein Gepäck 25 Stufen hinunter und anschließend noch mal 25 Stufen hinaufschleppen. Toiletten? Fehlanzeige. Aufzug? Fehlanzeige. Ohne fremde Hilfe geht’s mit einem Kinderwagen nicht. Und wer auf eine Gehhilfe oder den Rollstuhl angewiesen ist, hat ohnehin Pech gehabt. „Wir sind kein behindertengerechter Bahnhof, leider“, sagt der Schaffner und verweist auf den Bahnhof in Backnang und den in Crailsheim, wo Menschen mit Behinderung nach Voranmeldung aus- beziehungsweise einsteigen können. 72 Euro kostet übrigens die Taxifahrt von Backnang an den Zielbahnhof. „Menschen mit Behinderungen stellen für die Deutsche Bahn eine bedeutende Kunden- und damit Zielgruppe dar“, heißt es in der Werbung des Unternehmens.

Barrierefrei wird der Bahnhof in Hessental noch lange nicht

Die Fakten sehen anders aus: 50 Millionen Euro hat das Bundesverkehrsministerium Anfang 2016 für barrierefreie Stationen aufgelegt. Das Land Baden-Württemberg hat Schwäbisch Hall-Hessental – wie andere an der Murrbahn gelegene Stationen – für das Erneuerungsprogramm angemeldet. Dass sich etwas tut, ist sehr unwahrscheinlich, schätzt der Verein Barrierefrei Schwäbisch Hall die Dinge realistisch ein: „Eine Änderung auf Barrierefreiheit im Reiseverkehr mit der DB wird wohl noch lange dauern.“

78 Prozent der Bahnhöfe im Land sind laut Stefan Schwinn von DB Netze stufenfrei erreichbar, der Bahnhof Schwäbisch Hall-Hessental konnte „im laufenden Bahnhofmodernisierungsprogramm leider nicht berücksichtigt werden“ – und das (laut DB-Netze) trotz 2100 Ein- und Aussteigern täglich. Ins Leere ging auch der Vorstoß des Haller Oberbürgermeisters aus dem Jahr 2013. Die Stadt habe Interesse, den Bahnhof zu erwerben, schrieb das Stadtoberhaupt dem damaligen Konzernbevollmächtigten Eckart Fricke: „Der dem Eigentümer DB Netz AG zufließende Kaufpreiserlös könnte dann in die Verbesserung des Bahnhofs investiert werden.“ Die Antwort der DB Netze: Die Verwendung von Einnahmen aus dem Verkauf von Immobilien für Investitionen in die Stationen sei ausgeschlossen.

Laut Ministerium übverwiegen die Vorteile eines reinen Nahverkehrs

Große Hoffnung hatten die Beteiligten – neben Oberbürgermeister und Landrat auch Bundestags- und Landtagsabgeordnete quer durch alle Parteien – zuletzt in die Ankündigung der Bahn gesetzt, von Dezember 2018 an zweistündig IC-Züge über die Murrbahn verkehren zu lassen und den Raum damit an den Fernverkehr anzubinden. Eine Variante, die auch der Verkehrsclub Deutschland favorisiert. Die Verbindung zwischen Stuttgart und Nürnberg (und damit Richtung Berlin) verläuft nämlich über zwei Routen: über Schwäbisch Hall-Hessental (Murrbahn) und über Aalen (Remsbahn). Im Oktober kam der Rückzieher: Die Vorteile eines reinen Nahverkehrs überwögen, ließ das baden-württembergische Verkehrsministerium verlauten. Alles werde besser: kürzere Fahrzeiten, neue Schienenfahrzeuge, Wlan, Klimaanlage und „bessere Barrierefreiheit“ – die vor Schwäbisch Hall-Hessental endet.

Die Argumente überzeugen die Beteiligten nicht. Sie verweisen darauf, dass die Murrbahn nicht nur kürzer, sondern auch schneller die Strecke zwischen Stuttgart und Nürnberg überwinden kann. Das Manko: Die Strecke von Backnang nach Schwäbisch Hall-Hessental ist nicht durchgängig zweigleisig ausgebaut, Züge müssen warten, damit der Entgegenkommende passieren kann. Auf 180 Millionen Euro wird der Ausbau des rund 42 Kilometer langen Streckenabschnitts zwischen Backnang und Schwäbisch Hall-Hessental geschätzt. Trotz intensiver Bemühungen etwa der örtlichen SPD-Bundestagsabgeordneten Annette Sawade, die im Verkehrsausschuss sitzt, blieb das Projekt im jüngst verabschiedeten Bundesverkehrswegeplan 2030 im „potenziellen Bedarf“ hängen.

In Hall und Hohenlohe ist man frustriert

„Verärgerung und Frustration in Schwäbisch Hall und ganz Hohenlohe sind groß“, schrieb die SPD-Frau an Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Wieder einmal habe man das Empfinden, dass der ländliche Raum fallen gelassen wird. Die Schuldigen für die Bahnmisere sind aus hiesiger Sicht bereits ausgemacht.

„Unsere Einschätzung ist, dass nicht die DB den IC über die Murrbahn verhinderte, sondern das Land beziehungsweise einige Städte im Stuttgarter Speckgürtel“, lässt der Haller Oberbürgermeister verlauten. Der These schließt sich seine Parteigenossin Annette Sawade an: „Die denken doch nur an die Metropolregion Stuttgart.“