Was ist im Umfeld der Fußball-WM 2006 wirklich passiert? Die Geschichte um das Sommermärchen ist auch eine Mediengeschichte: Es wirkt bisweilen wie ein Duell „Springer“ gegen „Spiegel“.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Alfred Draxler ist einer der mächtigsten Männer des Fußballs, aber, ohne ihm zu nahe treten zu wollen, mutmaßlich nicht allen StZ-Lesern bekannt.

 

Deshalb hier kurz etwas zu seiner Vita: Draxler arbeitet seit 1978 für den Springer-Verlag, 1992 wurde er Mitglied der Chefredaktion bei „Bild“, vor seinem Wechsel als Chefredakteur zur „Sport-Bild“ 2014 war er bei „Bild“ zehn Jahre lang Stellvertreter von Chefredakteur Kai Diekmann. Draxler ist durch die publizistische Kraft der Springer-Produkte so etwas wie eine Ein-Mann-Macht des Sports, was in diesen Tagen sichtbar wird wie selten zuvor.

Alfred Draxler ist ein Duz-Freund von „Bild“-Kolumnist und „Bild“-Heiligtum Franz Beckenbauer sowie mit vielen weiteren einflussreichen Personen des deutschen Fußballs eng befreundet. Zum Beispiel mit Günter Netzer, Wolfgang Niersbach, Fedor Radmann. Diese Clique taucht zurzeit in unangenehmem Kontext auf, mit schwarzen Kassen und derlei.

Aber da gute Freunde niemand trennen kann, springt Draxler mit „Bild“ und „Sport-Bild“ seinen Kumpels zur Seite und bietet nicht nur großflächigen Schutz im Blatt, sondern agiert auch selbst: „Der @DerSPIEGEL muss jetzt Beweise bringen! Sonst haben wir neue #HitlerTagebücher!“, twitterte er gleich zu Beginn zum „Spiegel“-Titel „Das zerstörte Sommermärchen“. Die Fehde begann.

Ein Kampf um die Deutungshoheit der WM 2006

Die Geschichte um die WM 2006 ist längst auch eine Mediengeschichte, in der es nicht nur um die Suche nach der Wahrheit geht, sondern auch alte Fronten wiederbelebt werden. „Springer“ gegen „Spiegel“. Auf jede Berichterstattung hier folgt eine Gegenberichterstattung dort. „Bild“ ist seit Beginn der Affäre das Sprachrohr derjenigen, die vom „Spiegel“ attackiert werden. Vereinfacht stellt sich die Gefechtslage so dar: „Bild“ und „Sport-Bild“ gegen „Spiegel“, der aus Sicht von „Bild“ und Co. den Supersommer 2006 mit ihren Unterstellungen in den Dreck ziehen. Getreu dem Motto: Macht uns die WM nicht kaputt. Und vor allem den Franz nicht. Die medienkritische Seite „Bildblog.de“ nennt Draxler den „DFB-Außenverteidiger“.

Es ist der Kampf um die Deutungshoheit und die Kommunikationsherrschaft in den sozialen Netzwerken und auf den verlagseigenen Plattformen, der viele Fragen über die Nähe einiger Journalisten zum Gegenstand ihrer Berichterstattung aufwirft.

Am Anfang sollte die ganze Story als vermeintliche Luftnummer enttarnt werden, und sie bietet ja auch Schwachstellen, auf die „Bild“ sich mit Wucht konzentriert. Der „Bild“-Kolumnist Franz-Josef Wagner („Post von Wagner“), von Kritikern „Gossen-Goethe“ genannt, schrieb so einen seiner gefürchteten Briefe und geißelte die Konjunktive in der Geschichte. „Heute bist Du der „Spiegel“, der verdächtigt mit Worten wie angeblich, offenbar, möglicherweise“ und schloss: „Mein alter „Spiegel“ hätte so eine Story nie geschrieben.“

Der „Spiegel" bietet Angriffsflächen

Tatsächlich ist in der Ausgangsgeschichte vieles im Konjunktiv, die Story in sich ist zwar schlüssig kombiniert, glaubwürdig und wahrscheinlich, allein: es fehlt bisher an den Beweisen für Stimmenkauf. Das ist bis heute auch so, aber die Indizien für schwarze Kassen werden mehr, und die schmierige Überweisung von 6,7 Millionen Euro ist belegt und hat heilloses Chaos im DFB ausgelöst. Der Deutsche Fußball-Bund, angeführt von Wolfgang Niersbach, stolpert durch diese Affäre wie eine Kreisklassenabwehr gegen Lionel Messi.

„Bild“ fordert, dass der „Spiegel“ endlich Beweise auf den Tisch legen solle und lässt den „Spiegel“-Kronzeugen Theo Zwanziger, der fraglos viel Angriffsfläche bietet, attackieren. Otto Schily etwa griff Zwanziger an, am Dienstagabend vermeldete „Bild“ exklusiv, dass Günter Netzer eine Anzeige gegen den Ex-DFB-Boss erwägt. „Sport-Bild“ legte wiederum angebliche Beweise vor, die den DFB, der traditionell eine enge Beziehung zur meinungsmachenden „Bild“-Zeitung pflegt, entlasten würden. „Um Aufklärung geht es nur vordergründig. Viel wichtiger ist das Unglaubwürdigmachen der Ausgangsgeschichte und das Reinwaschen der Beschuldigten“, schreibt die „taz“ unter der Überschrift: „Eine gruselige Allianz – Wie Springer seine Buddies schützt“. Auch Helmut Markwort spielt eine Rolle in der Meinungsschlacht. Der „Focus“-Gründer nannte die „Spiegel“-Story einen „journalistischen Offenbarungseid“. Zitat: „Hier wird versucht, mit einer wackeligen und dünnen Geschichte die Erinnerung an ein wunderbares Fußballfest kaputtzuschreiben.“ Markwort, mit „Bunte“-Chefredakteurin Patricia Riekel liiert, saß bis 2014 im Aufsichtsrat des FC Bayern München. Mittlerweile ist aber klar, dass im Umfeld der WM 2006 schmutzige Millionen-Geschäfte liefen.

Das „Sommermärchen“ als solches wird ja gar nicht attackiert – auch wenn der „Spiegel“ mit seiner Schlagzeile die falsche Lunte legte. Es geht nicht um diesen vierwöchigen Rausch. Niemand hat behauptet, dass es im WM-Sommer 2006 vier Wochen geregnet hat, dass die Stimmung mies war, dass die Deutschen ihre Gäste anpöbelten und einen Pegida-Patriotismus auslebten.

Nein, die Frage ist: was ist im Umfeld gelaufen? Gab es schwarze Kassen? Da gibt es unzählige offene Fragen, aber sicher ist laut Draxler: „Das Sommermärchen war nicht gekauft“, war der Titel über einem Artikel von ihm am Donnerstag. Warum? Weil der Franz das gesagt hat? Draxler kommt zu dem Ergebnis nach einer „Intensivrecherche“, wie er schreibt, in seinem Freundeskreis (Beckenbauer, Netzer, Niersbach, Radmann). Vielleicht stimmt das ja. Vielleicht. Einige Minuten nach der Veröffentlichung auf „Bild.de“ sagte Niersbach grob das, was Draxler aufgeschrieben hatte.

Die „Bild“-Zeitung hat – das wird übrigens auch den TV-Sendern Sport 1 oder Sky nachgesagt – eine Nähe zum FC Bayern. Speziell eben zu Bayern-Ikone Beckenbauer. Niersbach wiederum galt für das Blatt lange als Hoffnungsträger für den Weltfußball und forderte ihn als Fifa-Präsident: „Herr Niersbach, treten Sie an!“

Der „Spiegel“-Chef attackiert Draxler und Markwort

Nachdem der „Spiegel“ mit dem Titel „Der Fall DFB“ nachgelegt hat, fragte am Montag dann auch das Springer-Blatt auf der Titelseite: „Wann spricht Franz?“ Am Montag tat er es, wie das Blatt exklusiv wusste, und räumte „Fehler“ ein. Eng wird es aber vor allem für Niersbach, den „Bild“ lange in Schutz nahm: Sein Krisenmanagement und der irritierende Amnesie-Auftritt am Donnerstag, mit dem er seinen Freund Beckenbauer in Bedrängnis brachte, schaden ihm. „Einer großen Freundschaft droht das Ende“, mutmaßt „Bild“.

Im aktuellen „Spiegel“ rechnet der Chefredakteur Klaus Brinkbäumer mit den Kollegen ab. Unter der Überschrift „Der Franz hat gesagt. . . Wahrheit und Dichtung auf dem Planeten Fußball“ schreibt er: Außerhalb der Fußballwelt würden Draxler und Markwort „als Fans und Handlanger der Regierenden entlarvt“.

Am Mittwoch fragte „Bild“ besorgt: „Mensch Franz! Wie steckt Beckenbauer sein schreckliches Jahr weg?“