Nach der Europawahl verzeichneten die meisten Börsen in Europa Kursgewinne. Auch die Entspannung in der Ukraine und die Hoffnungen auf eine weitere Zinssenkung der Europäischen Zentralbank sorgten für positive Stimmung.

Frankfurt - Klarere Verhältnisse in der Ukraine, eine deutliche Mehrheit für die bisherige Europapolitik und verlockende Äußerungen des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) – dieser Dreiklang versetzte die Anleger an den Aktienmärkten nach dem Wahlwochenende in Kauflaune. Schon kurz nach dem Handelsauftakt legte der Dax um mehr als ein Prozent zu. Zum Börsenschluss erreichte der Index ein neues Allzeithoch von 9892,82 Punkten. Noch in dieser Woche könnte der Dax die magische Grenze von 10 000 Zählern erreichen, meinten einige Analysten.

 

Der überraschend deutliche Sieg des prowestlichen Oligarchen Petro Poroschenko bei den Wahlen in der Ukraine wurde von den Investoren als Zeichen dafür gesehen, dass sich die Lage in der Region entspannt. Auch die Reaktion der russischen Regierung, die das Wahlergebnis anerkannte und sich zum Dialog mit der künftigen Regierung in Kiew bereit erklärte, führte dazu, dass die Sorgen vor einer Eskalation in der Region in den Hintergrund gedrängt wurden. Und weil Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), auf einer Konferenz im portugiesischen Sintra die Bereitschaft der Währungshüter bekräftigte, sich mit allen Mitteln gegen eine mögliche Deflation zur Wehr setzen zu wollen, gewannen die Optimisten schnell die Oberhand.

Der Ausgang der Wahlen zum Europaparlament spielte dagegen, zumindest in Deutschland, keine zentrale Rolle. Es sei zwar bedauerlich, dass einige europakritische Parteien unerwartete Erfolge eingefahren haben, doch entscheidend sei, dass zwei Drittel der Stimmen auf solche Parteien entfallen seien, die den bisherigen Kurs der Europapolitik fortsetzen wollen, hieß es an der Frankfurter Börse. Dagegen erzeugte das starke Abschneiden des rechtsextremen Front National Verunsicherung in Frankreich. Der Pariser Leitindex verzeichnete daher geringere Zuwächse als der Dax. „Die mit einer satten Mehrheit regierende sozialistische Partei hat bei der Europawahl einen herben Schlag erlitten“, urteilte ein Commerzbank-Analyst. „Damit bleibt es für die Regierung schwierig, die notwendigen Reformen umzusetzen.“

In Griechenland ließen Anleger nach dem Sieg der im Linksbündnis Syriza versammelten Reformgegner die Finger von griechischen Aktien. Der Athener Leitindex notierte in der Spitze 0,4 Prozent schwächer. In Italien dagegen feierten Anleger das gute Abschneiden der Regierungspartei von Ministerpräsident Matteo Renzi als Votum für eine Fortsetzung des Reformkurses. Der Leitindex in Mailand legte daraufhin deutlich zu. Auch italienische Staatsanleihen waren gefragt.

An der Frankfurter Börse kamen vor allem die Äußerungen von EZB-Präsident Mario Draghi gut an. Europas Währungshüter ringen um eine ausgewogene Reaktion auf die Risiken zu niedriger Inflationsraten. „Wir werden uns nicht damit abfinden, dass die Inflation zu lange auf zu niedrigem Niveau bleibt“, bekräftigte Draghi in Sintra. Zwar erwarte die Notenbank weiterhin, dass die Teuerungsraten sich mittelfristig wieder dem Stabilitätsziel der EZB von knapp unter 2,0 Prozent annähern werden. „Es ist dennoch unsere Verantwortung, die Risiken für dieses Szenario zu sehen und bereit zu sein zum Eingreifen, falls notwendig“, betonte Draghi. Der EZB-Rat entscheidet das nächste Mal am 5. Juni über seinen geldpolitischen Kurs. Draghi hatte Anfang Mai signalisiert, dass der EZB-Rat dann Maßnahmen gegen die niedrige Inflation ergreifen könnte.

Es wird spekuliert, dass die Notenbank den Leitzins von derzeit 0,25 Prozent weiter senkt, erstmals Strafzinsen für Banken erhebt und weitere Geldspritzen einsetzt. Ziel der Maßnahmen wäre die gezielte Schwächung des Euro, dessen Stärke die Importe verbilligt und die Teuerung dadurch zusätzlich bremst. Zusätzliches Geld würde zudem sicherstellen, dass ausreichend Kredite in die Wirtschaft fließen, damit ein künftiger Aufschwung nicht an Finanzierungsproblemen scheitert.