Die Gewaltbereitschaft im Amateurfußball nimmt zu. In den vergangenen Wochen hat es wiederholt Schlagzeilen über schwere Ausschreitungen in der Region gegeben. Der Württembergischen Fußball-Verband versucht, die Schiedsrichter zu schützen.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Es ist ein Gewaltexzess in einer bislang ungekannten Dimension, der sich da am vergangenen Samstag auf dem Kreisliga-A-Sportplatz des TSV Nussdorf im Kreis Ludwigsburg entladen hat. Zu Gast war die Elf des Tabellenführers FV Kirchheim, der mit einem Sieg beim Zweiten Nussdorf am vorletzten Spieltag den Aufstieg in die Bezirksliga hätte klar machen können. Doch die Gäste lagen in der Schlussphase mit 2:3 zurück, als der Ball zu einem Einwurf für Kirchheim auf Höhe der Nussdorfer Trainerbank offenbar nicht zügig genug freigegeben wurde.

 

Und so eskalierte die Situation, „wie es für mich vor einigen Jahren nicht vorstellbar war – und wie wir das beim Württembergischen Fußballverband nicht hinnehmen können“, wie Rainer Domberg sagt, der im WFV-Vorstand sitzt – und dort unter anderem für die Gewaltprävention zuständig ist. Im Zuge der Nussdorfer Tumulte hatte zunächst der aus seinem Tor geeilte Kirchheimer Schlussmann vom Böblinger Schiedsrichter Manuel Hellwig die Rote Karte gesehen. Nach dem Schlusspfiff drehte daraufhin ein anderer Kirchheimer Spieler durch: Am Mittelkreis brachte er erst den Referee zu Fall, nahm ihm die Rote Karte ab, lief damit wedelnd zur Nussdorfer Trainerbank, wo er einer Glasflasche den Hals abschlug – und drohend zurück zum Schiedsrichter aufs Feld. Der konnte sich rechtzeitig aufrappeln und in der Kabine in Sicherheit bringen.

„Was unser Spieler gemacht hat, geht gar nicht“, wird Wolfgang Rughöft in der „Bietigheimer Zeitung“ zitiert. Der Kirchheimer Fußballchef betont aber, dass der kickende FV-Gewalttäter vorab von den Zuschauern auf dem Amateursportplatz permanent rassistisch beleidigt worden sei.

Fünf Verletzte, sechs Anzeigen wegen Körperverletzung

Einen Tag später, also am vergangenen Sonntag, ging es dann auf dem Sportplatz Speidelweg unweit des Stuttgarter Fernsehturms in die nächste Gewaltrunde. Beim Kreisliga-B-Spiel zwischen Sportkultur Stuttgart II und dem SV Özvatan Stuttgart führten die Gäste mit 2:0, als es nach einem Foul eines Spielers der Heimmannschaft zu einer Schlägerei kam, in die sich neben Spielern und Betreuern auch einige Zuschauer einmischten. Herr der Lage blieb lediglich der Schiedsrichter Krunoslav Jukic, der erst zu deeskalieren versuchte – und dann die Partie abbrach.

Die Bilanz eines absurden Fußballnachmittags, zu dem letztlich vier Streifenwagen der Polizei und ein Fahrzeug der Hundestaffel ausrückten, sind fünf verletzte Personen und sechs Anzeigen der ermittelnden Beamten wegen Körperverletzung.

Trotz der jüngsten Vorkommnisse, denen allein in den vergangenen zwölf Monaten Fälle körperlicher Gewalt auf den Sportplätzen des TSV Birkach, beim HNK Slaven Möhringen, beim Hallenturnier in Leinfelden-Echterdingen, bei einem F-Jugendspiel zwischen dem SC Geislingen und dem FC Eislingen sowie bei einem Spiel des Kreisligisten Iraklis Waiblingen voraus gingen, will Heiner Baumeister aber nicht von einer „Gefahrenzone Amateurfußball“ sprechen. „Die Anzahl der Gewaltvorfälle auf den Sportplätzen ist in den vergangenen zehn Jahren konstant geblieben“, sagt der Pressesprecher des WFV.

Der Verband müht sich, die 7000 Schiedsrichter zu schützen

So werden allein in Württemberg 237 000 Fußballspiele pro Jahr ausgetragen, wogegen sich die Zahl von rund 50 abgebrochenen Partien im selben Zeitraum tatsächlich relativ klein ausnimmt. Allerdings habe sich die Qualität der Gewalt enorm gesteigert, fügt Rainer Domberg an: „Der WFV könnte jetzt sagen: der Sport ist eben ein Spiegelbild der Gesellschaft, wo es ja überall krimineller zugeht. Aber das ist so für uns nicht hinnehmbar.“ Also versucht der Verband mittels diverser Präventionsmaßnahmen, der sich stetig eskalierenden Lage so gut es geht Herr zu werden. Doch Domberg, Vorsitzender der Kommission „Toleranz und Fairness“, sagt auch: „Der entscheidende Impuls muss immer aus den Vereinen heraus kommen.“

Parallel dazu müht sich der Verband redlich, vor allem die 7000 Schiedsrichter in seinen 16 Bezirken zu schützen. So hat eine Studie im Rahmen der Promotionsarbeit „Zielscheibe Schiedsrichter“ der Tübinger Juristin Thaya Vester ergeben, dass sich bereits jetzt 28 Prozent der Unparteiischen vor einem Spiel „unwohl fühlen“ oder gar „richtige Angst“ haben.

Geldstrafen und Sperren helfen nur bedingt weiter

Bereits 2009 ist der WFV tätig geworden und hat mit der Einführung von zwei mit Sicherheitswesten gekennzeichneten Platzordnern pro Amateurfußballspiel sowie einer technischen Zone, ähnlich der Coaching Zone im Profifußball, erste präventive Maßnahmen eingeleitet. Zudem müssen sich die Spieler beider Teams seither vor jedem Spiel per Handschlag begrüßen. „Wir gingen davon aus, dass sich so die Hemmschwelle erhöht“, sagt Rainer Domberg, der aber einsehen musste, das derlei Aktionen oft eher belächelt werden“.

Zudem belegen die Zahlen, dass vor allem monoethnische Fußballteams in der Gewaltstatistik verstärkt auftreten. „Bei Multikulti-Mannschaften gibt es dagegen nicht überproportional viele Probleme“, sagt Rainer Domberg, der beim WFV jetzt zusätzliche Wege erschließt, weil Geldstrafen und Sperren von Spielern eben nur bedingt weiterhalfen. Schließlich konnten sich viele Übeltäter mit einem Vereinswechsel ihrer Verantwortung entziehen.

Inzwischen müssen alle betroffenen Vereine einer Gewaltpartie mit ihren Spielern auf der Geschäftsstelle des WFV einen von ihnen finanzierten Kurs in Sachen Gewaltprävention belegen. Dieser wird von Experten des Hamburger Vereins „Zweikampfverhalten e.V.“ durchgeführt. Rainer Domberg setzt große Hoffnungen in den Kurs. „Manch ein Spieler kommt hoffentlich zur Vernunft, wenn er seinem Gegenspieler in einem Anti-Aggressions-Seminar mal Auge in Auge gegenüber sitzt.“